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Herr Minister Beißwenger, als Staatsminister für Europaangelegenheiten koordinieren Sie die Europapolitik des Freistaats und beobachten wichtige politische Vorgänge bei der Europäischen Union. Wie bewerten Sie die EU-Politik der vergangenen fünf Jahre?

Eric Beißwenger: Die EU macht vieles mit guten Vorsätzen. Aber gut gemeint ist leider nicht automatisch gut gemacht. Nehmen Sie das europäische Lieferkettengesetz. Die Absicht dahinter ist absolut richtig. Wir wollen keine Kinderarbeit, keine Sklavenarbeit, aber mehr Klimaschutz. Wir befürchten aber, dass es dadurch zu Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten Bayerns kommt. Wenn sich bayerische Unternehmen aus bestimmten Ländern zurückziehen und dann Unternehmen aus Staaten die Lücke schließen, die überhaupt keinen Wert auf gerechte Löhne, Sozial- und Umweltstandards legen, haben wir weder der Welt noch Bayern noch der Wirtschaft einen Gefallen getan. Mein Ziel ist es, kraftvoll bayerische Interessen zu vertreten.

„Ein Dexit, also ein Austritt Deutschlands aus der EU, käme einem politischen und vor allem wirtschaftlichen Selbstmord gleich.“

Die Deutschen sind aufgerufen, am 9. Juni 2024 zur Europawahl zu gehen. Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, dass die Bürger das auch tun?

Beißwenger: Die Europawahl ist eine Richtungswahl: Ein EU-Parlament der Extremisten und Europafeinde muss verhindert werden! Ich befürchte, die EU-Skepsis hat zugenommen. Sie wird aber auch bewusst von extremen Parteien geschürt, die daraus Profit schlagen wollen. Die EU braucht uns, aber wir brauchen unbedingt auch die EU. Ein Dexit, also ein Austritt Deutschlands aus der EU, wie von der AfD gefordert, käme einem politischen und vor allem wirtschaftlichen Selbstmord gleich. Die Europawahl am 9. Juni eignet sich deshalb nicht als Protest- oder Denkzettelwahl. Kaum ein Land profitiert so sehr von der EU wie Deutschland und Bayern.

„Ich bin für ein Europa, das die großen gemeinsamen Aufgaben löst und die Eigenständigkeit der Mitgliedsstaaten und Regionen achtet.“

Was muss sich an der EU-Politik verändern, um die Sicherheit und den Wohlstand in Europa dauerhaft zu garantieren?

Beißwenger: Uns ist gerade in jüngster Vergangenheit wieder bewusst geworden, dass die EU auch eine Werteunion von Frieden, Freiheit und Demokratie ist. Entscheidend ist aber auch, dass die EU die Möglichkeit bietet, Probleme zu lösen und Themen zu regeln, bei denen einzelstaatliche Lösungen und Regelungen nicht weit führen, beispielsweise beim Klima- und Umweltschutz oder der Migration. Ich bin für ein Europa, das die großen gemeinsamen Aufgaben löst und die Eigenständigkeit der Mitgliedsstaaten und Regionen achtet – Stichwort Subsidiarität. Das ist das Fundament eines funktionierenden Europas. Die Europastrategie der Bayerischen Staatsregierung hat insbesondere drei Prioritäten: Europa muss mehr für eigene Sicherheit tun und verteidigungsfähig werden. Die ungelenkte Migration muss begrenzt und eine gemeinsame europäische Asylpolitik weiter gestärkt werden. Bayern steht zum Migrationspakt. Für eine echte Wende ist aber noch mehr nötig. Und drittens muss die EU stärker den Wohlstand sichern. Nach dem Green Deal braucht es jetzt dringend einen Economic Deal: Europa muss wieder zu einem Zentrum für Innovationen werden.


Sie haben es schon gesagt: Kaum ein Land profitiert so sehr von der EU wie Deutschland und Bayern. Woran machen Sie das fest?

Beißwenger: Dazu betone ich eines immer wieder: Bayern allein wäre – die Betonung liegt auf dem Konjunktiv – die sechstgrößte Volkswirtschaft in der EU. Über 50 Prozent unserer Exporte gehen ins europäische Ausland. Neun unserer zwölf wichtigsten Handelspartner sind EU-Länder. Also: Bayern braucht die EU, aber die EU braucht auch Bayern.

„Europa ist Freiheitsraum und gleichzeitig Schutzburg. Ein starker harmonischer Zusammenhalt ist wichtig, um im globalen Kräfteringen zu bestehen.“

Ukraine-Krieg, der Trend zur Deglobalisierung, bedrohte Handelswege und Lieferketten, Klimawandel und Energiewende: Europa muss viele wirtschaftliche Herausforderungen gleichzeitig bewältigen, um nur einige Beispiele zu nennen. Wie kann sich die EU wappnen, um mit all dem umgehen zu können?

Beißwenger: Europa ist Freiheitsraum und gleichzeitig Schutzburg. Ein starker harmonischer Zusammenhalt ist wichtig, um im globalen Kräfteringen zu bestehen. Die EU muss sich jetzt auf ihre Stärken besinnen: Wohlstand sichern, Wettbewerbsfähigkeit stärken, Sicherheit und Freiheit garantieren und die Ernährungssicherheit durch eine kluge Landwirtschaftspolitik gewährleisten.

In der EU haben die Pläne, mit EDIS eine gemeinsame Einlagensicherung für alle Banken zu schaffen, kurz vor der Europawahl nochmal neuen Schub bekommen. Wie steht die Staatsregierung zu diesen Plänen?

Beißwenger: Bayern lehnt eine zentrale europäische Einlagensicherung mit Vollversicherungssystem und Verlustdeckung ab. 70 Prozent aller Girokonten von Privat- und Firmenkunden sind bei den Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken. Eine Vergemeinschaftung ihrer Einlagensicherungssysteme träfe Sparkassen und Genossenschaftsbanken besonders hart und würde ihr bewährtes Geschäftsmodell nachhaltig gefährden. Im schlimmsten Fall müssten mit dem Geld bayerischer Kleinanleger internationale Großbanken gerettet werden. Die trotz aller Fortschritte weiterhin äußerst ungleiche Verteilung von Bilanzrisiken bei den europäischen Banken würde zu einer Umverteilung von soliden Banken zu Instituten in Schieflage führen und damit massive Fehlanreize setzen. Hier gilt auch weiter Risikominderung vor Risikoteilung. Eine Transferunion über den Umweg deutscher und bayerischer Bankeinlagen darf es nicht geben.

„Die Bürokratielasten müssen abgebaut werden. Die vielen Berichts- und Nachweispflichten überfordern und entmutigen vor allem unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen.“

Viele Unternehmen beklagen sich über überbordende Bürokratie und Regulierung. Auslöser dafür ist häufig die EU-Gesetzgebung, allerdings ist Deutschland nicht gerade bekannt für eine schlanke Umsetzung von EU-Gesetzen. Wo sehen Sie Ansatzpunkte, EU-Gesetzgebung und die Umsetzung in Deutschland unbürokratischer zu gestalten?

Beißwenger: Leider setzt die Bundesregierung oft noch einen obendrauf und betreibt sogenanntes Gold-Plating. Bürokratische Vorgaben belasten unsere Unternehmen. Sie kosten Zeit und Geld. Die Bürokratielasten müssen abgebaut werden. Die vielen Berichts- und Nachweispflichten überfordern und entmutigen vor allem unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen. Bürokratieabbau und Deregulierung sind der Staatsregierung, aber vor allem auch mir persönlich, ein besonderes Anliegen. Bayern setzt sich dafür ein, dass Hürden und Formalien abgebaut und nicht zusätzlich geschaffen werden. In der Europapolitik müssen wir versuchen, eine ausufernde EU-Bürokratie einzubremsen und wieder stärker das Subsidiaritätsprinzip durchzusetzen. Was in Deutschland oder in unserem Fall in Bayern entschieden werden kann, soll auch hier entschieden werden.


Wie bringt sich Bayern in dieser Hinsicht in den Prozess ein?

Beißwenger: Wir versuchen mit Erfolg, politische Entscheidungen in Brüssel in unserem Sinne zu beeinflussen. Bayern stellt mit Manfred Weber den Vorsitzenden der größten Fraktion im EU-Parlament. Wichtig ist mir auch der enge Schulterschluss mit den bayerischen Abgeordneten, damit bayerische Anliegen und Positionen möglichst punktgenau eingebracht werden können. Bayern ist hervorragend vernetzt und kann deshalb hin und wieder auch bei manchen Themen mit anderen EU-Staaten – zum Beispiel Österreich oder Tschechien – über Bande spielen. Die Bayerische Staatsregierung steht darüber hinaus über ihre Repräsentanz in Brüssel in ständigem Kontakt und regelmäßigem Austausch mit den EU-Institutionen. Bayerische Ministerinnen und Minister reisen regelmäßig nach Brüssel, um im persönlichen Gespräch mit den Verantwortlichen vor Ort wichtige bayerische Anliegen zu adressieren. Darüber hinaus bietet die bayerische Vertretung eine Plattform für bayerische Unternehmen und Betriebe, um durch gezielte Veranstaltungen besonders wichtige Themen auf europäischer Ebene in den Fokus zu rücken.


Herr Minister Beißwenger, vielen Dank für das Interview!

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