Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Herr Riedl, von den 31 neu gegründeten Genossenschaften, die der GVB im Jahr 2021 in seine Reihen aufgenommen hat, waren 17 Energiegenossenschaften. Ein deutlicher Zuwachs im Vergleich zu den Vorjahren. Worauf ist dieses verstärkte Gründungsgeschehen bei Energiegenossenschaften zurückzuführen?

Max Riedl: Der Zuwachs bei den bayerischen Energiegenossenschaften ist in der Tat sehr erfreulich. Bei genauer Betrachtung müssten aber noch viel mehr Energiegenossenschaften gegründet werden, wenn die Energiewende auch nur ansatzweise gelingen soll. Die Ziele von Bund und Freistaat dazu sind ambitioniert, aber die Umsetzung hapert gewaltig. Reichlich Potenzial gibt es nicht nur bei der Strom- und Wärmeversorgung, sondern auch im Verkehrssektor. Energiegenossenschaften sind Vorreiter auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung. Und sie sind Vorbilder für Menschen, die zur Energiewende beitragen wollen. Das fördert die positive Entwicklung bei den Neugründungen. Ansonsten fußt der Trend sicher auch auf der breiten Erkenntnis, dass die Menschheit den Raubbau an der Natur nicht mehr so fortsetzen kann wie bisher. Wir Menschen erkennen, wie unser Lebensstil, der auf der unbegrenzten Nutzung fossiler Energien basiert, unsere Lebensgrundlage zerstört. Durch die zunehmenden Unwetterereignisse wird immer offensichtlicher, dass der Klimawandel Deutschland längst erreicht hat. Auch das trägt zum Umdenken der Menschen bei.

GVB-Gründungsberater Max Riedl

Max Riedl (58) ist seit rund 20 Jahren als Gründungsberater des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) im ganzen Freistaat unterwegs. In dieser Zeit legte er bestimmt schon einmal die Strecke von der Erde bis zum Mond zurück, rund 380.000 Kilometer – natürlich nicht im Raumschiff, sondern hauptsächlich mit dem Auto. Bisher betreute er rund 300 Genossenschaftsgründungen, wobei nicht alle abgeschlossen wurden. Jede Gründung sei für ihn etwas Besonderes, betont Riedl, weil dahinter immer engagierte Menschen stehen, die etwas zum Besseren verändern wollen. Gerne erinnert er sich zum Beispiel an die Gründung der Genossenschaftsbräu Regensburg eG. „Von den Gründungsmitgliedern bin ich sehr angetan. Junge Ärzte und deren Freunde haben sich einen Traum verwirklicht, das nenne ich Überzeugung. Und ein leckeres Bier haben sie auch noch zu bieten“, sagt Riedl.

Welche Gründungsdynamik bei Energiegenossenschaften erwarten Sie im laufenden Jahr?

Riedl: Das Gründungsgeschehen im Energiebereich wird dieses Jahr nochmal deutlich intensiver. Derzeit erreichen die GVB-Gründungsberatung sehr viele Anfragen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die eine Energiegenossenschaft gründen wollen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Preise für Gas, Öl und Kohle weiter in die Höhe getrieben, Engpässe bei der Energieversorgung sind nach wie vor nicht auszuschließen. Viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch Gemeinden, setzen in dieser Lage auf erneuerbare Energien aus der Region. Sie sind nicht nur deutlich günstiger und sauberer, sondern auch vor Ort verfügbar. Das verbessert die Versorgungssicherheit und die Wertschöpfung vor Ort. Dadurch wird die regionale Kreislaufwirtschaft gestärkt. Das ist eine große Chance für Energiegenossenschaften.
 

In welchen Geschäftsgebieten sind die neu gegründeten Energiegenossenschaften aktiv?

Riedl: Der größte Teil sind Wärmegenossenschaften. Die Gründungsmotive unterscheiden sich dabei kaum von anderen Energiegenossenschaften. Heimische Rohstoffe sorgen für dauerhafte, kostengünstige und klimaschonende Versorgungssicherheit – egal, ob es um Strom oder Wärme geht. Außerdem planen Energiegenossenschaften wieder verstärkt Photovoltaik-Freiflächenanlagen. Nachdem Deutschland bei der Stromversorgung das Aus von Kernkraft und Kohle beschlossen hat, werden Sonne und Wind die wichtigsten Energielieferanten. Für Energiegenossenschaften sind das interessante Geschäftsfelder.

Genossenschaft gründen: Der GVB unterstützt

Nur drei Personen braucht eine eG zur Gründung. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Diese und viele weitere positive Eigenschaften machen die Genossenschaft zu einer attraktiven und demokratisch organisierten Rechtsform. Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) unterstützt Genossenschaftsgründer mit einem umfangreichen Dienstleistungsangebot. So können sich potenzielle Gründer auf der Webseite des GVB umfangreich über die Rechtsform sowie die notwendigen Schritte bis zur Gründung informieren. Dazu gibt es zahlreiche Dokumente zum Download, zum Beispiel einen Rechtsformenvergleich, eine Checkliste zur Genossenschaftsgründung, Hinweise zum Geschäftsplan, eine Mustersatzung sowie eine Mustereinladung und ein Protokollmuster für die Gründungsversammlung. Zudem hat der GVB die häufigsten Fragen zur Genossenschaftsgründung zusammengestellt. Für weitere Informationen steht das GVB-Gründungsteam gerne zur Verfügung. Wie eine Gründung im Detail abläuft, beschreibt „Profil“ in der Februar-Ausgabe 2019 am Beispiel der Bürgerenergie Chiemgau eG.

Die neue Bundesregierung möchte die Bürger aktiv an der Energiewende beteiligen. Inwiefern ist das eine Steilvorlage für die Gründung von Bürgerenergiegenossenschaften?

Riedl: Ob das wirklich eine Steilvorlage wird, würde ich lieber abwarten. Im politischen Umfeld werden gerne Begriffe wie Bürgergenossenschaft oder Bürgerenergie verwendet, ohne damit eine konkrete Unterstützung für die genossenschaftliche Rechtsform zu verbinden. Trotzdem hege ich die Hoffnung, dass die Politik ihren Worten endlich Taten folgen lässt und den Bürgern bessere Möglichkeiten einräumt, sich in ihrer Region an der Energiewende zu beteiligen. Die Gesellschaft übernimmt mit dem Klimaschutz und der Energiewende gigantische Aufgaben, das geht nicht ohne Bürgerbeteiligung. Dazu eignen sich Genossenschaften mit ihrer transparenten und demokratischen Rechtsform nun mal am besten.

Die GVB-Neuzugänge 2021 bei den Energiegenossenschaften

Bürgerenergie Parkstein eG

Saubere und nachhaltige Energie erzeugen – das ist der Antrieb der Bürgerenergie Parkstein eG. Die Energie soll direkt vor der Haustüre der Bürgerinnen und Bürger des Marktes Parkstein im oberpfälzischen Landkreis Neustadt an der Waldnaab erzeugt werden. „Wir wollen mit PV-Anlagen auf kommunalen Dächern, auf größeren Gewerbedächern und eventuell auf Freiflächen einen Beitrag zur Energiewende leisten“, erklärt Vorstandsvorsitzender Josef Langgärtner. Doch das ist noch nicht alles: Die Genossenschaft plant, einen Windpark mit drei Windkraftanlagen zu bauen. Frühestens in vier Jahren könnte das erste Windrad nach Langgärtners Einschätzung stehen.

Weitere Informationen zur Bürgerenergie Parkstein eG gibt es auf der Webseite der Genossenschaft oder auf der Homepage des GVB.

Nahwärme Wettelsheim-Bubenheim eG

Nahwärmegenossenschaften boomen. Zu den 17 neu gegründeten Energiegenossenschaften des Jahres 2021 in den Reihen des GVB zählen zwölf Nahwärmegenossenschaften. Eine davon ist die mittelfränkische Nahwärme Wettelsheim-Bubenheim eG. Ihr Motto: „Erneuerbar, ökologisch und gut.“ Über eine Hackschnitzelheizung, die mit Holz aus den Wäldern der Mitglieder und der Region betrieben wird, bekommen die Mitglieder Energie. „Damit bleibt die Wertschöpfung in der Region“, sagt Vorstandsvorsitzender Hannes Köhnlein. Oberstes Ziel ist es, ein zuverlässiges Wärmenetz auf die Beine zu stellen, aus dem die Mitglieder ohne zusätzlichen Aufwand bequem Wärme abnehmen können. Mit dem Bau des Nahwärmenetzes soll im Frühjahr dieses Jahres begonnen werden. In Betrieb gehen könnte das Netz dann im Jahr 2023.

Mehr Informationen zur Nahwärme Wettelsheim-Bubenheim eG gibt es auf der Homepage der Genossenschaft oder auf der GVB-Webseite.

Osterdorfer Energiegenossenschaft eG

Energie, die direkt nebenan entsteht – die Gemeinde Osterdorf im mittelfränkischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen hat das realisiert. Der Plan einiger engagierter Bürgerinnen und Bürger, am Ort ein Nahwärmenetz mit Hackschnitzelheizung als Energiequelle zu bauen, wurde vergangenes Jahr umgesetzt, sodass heuer rund 50 Hauseigentürmer regional erzeugten Strom nutzen können.

Nahwärme Amerbach eG

Bereits im Jahr 2014 lagen Pläne zum Bau eines Wärmenetzes in Amerbach im Landkreis Donau-Ries auf dem Tisch. Diese verschwanden aber erst einmal wieder in der Schublade – zu gering war das Interesse möglicher Abnehmer. 2020 bekam das Projekt jedoch neuen Schwung, Gespräche wurden wieder aufgenommen und engagierte Bürgerinnen und Bürger schlossen sich zu einer Genossenschaft zusammen. Seitdem ist viel passiert. Das Nahwärmenetz ist verlegt. Inzwischen erhalten 18 Häuser umweltfreundliche Energie über eine Hackschnitzelheizung.

Weiterführende Informationen gibt es auf der Webseite der Genossenschaft.

Nahwärme Birkhausen eG

Einen Beitrag zur Energiewende will auch die Nahwärme Birkhausen eG im Landkreis Donau-Ries leisten. Über eine Hackschnitzelheizung sollen in Zukunft 40 Haushalte mit Wärme versorgt werden.

Bürgerenergie Langlau-Rehenbühl eG

„Gemeinsam für eine klimaneutrale Gemeinde“ – das ist das Motto der Bürgerenergie Langlau-Rehenbühl eG. Dazu baut die Genossenschaft ein Nahwärmenetz, damit die Orte Langlau, Rehenbühl, Furthmühle, Hühnermühle, Neuherberg und Sorghof im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen mit zukunftssicherer und nachhaltiger Energie versorgt werden.

Mehr Informationen gibt es auf der Webseite der Genossenschaft.

BürgerEnergie Garching eG

Die BürgerEnergie Garching eG legt den Fokus auf lokale Energieerzeugung. Die Genossenschaft will ökologische Verantwortung übernehmen. Sie hat sich deshalb das Ziel gesetzt, die Energiewende in der Region Garching bei München voranzutreiben und regionale Energieprojekte zu verwirklichen – zum Beispiel den Bau einer Photovoltaikanlage an der Autobahn bei Garching.

Nahwärme Westheim eG

Einen Beitrag zur Energiewende will die Nahwärme Westheim eG leisten. Ihr Ziel: die Haushalte in der Gemeinde Westheim im mittelfränkischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen mit Wärme und schnellem Internet versorgen. Dazu errichtet sie im Ort ein Heizwerk sowie ein Nahwärmenetz, in das auch Glasfaserkabel für die Highspeed-Datenübertragung gelegt werden. Außerdem soll eine PV-Anlage entstehen.

Nahwärmenetz Bieswang eG

Die Nahwärmenetz Bieswang eG hat es sich zum Ziel gesetzt, den Bürgerinnen und Bürgern in Bieswang im mittelfränkischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen die Möglichkeit zu bieten, sich aktiv für eine dezentrale und nachhaltige Energieversorgung einzusetzen. Aus der Abwärme von Biogasanlagen und der Verbrennung von Holzhackschnitzel will die Genossenschaft eigenständig umweltfreundliche Wärmeenergie für die angeschlossenen Haushalte des Wärmenetzes erzeugen.

Weitere Infos gibt es auf der Homepage der Genossenschaft.

Nahwärme Nennslingen eG

Regional erzeugte Energie können bald die Einwohner in Nennslingen im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen beziehen. Möglich macht das die Nahwärme Nennslingen eG, die in dem mittelfränkischen Markt ein Nahwärmenetz baut. „Mit unserem Energiemix aus Abwärme der nahegelegenen Biogasanlage in Gersdorf und unserer Heizzentrale mit zwei Hackschnitzelkesseln ersetzen wir jährlich circa 310.000 Liter Heizöl, was einer CO2-Einsparung von etwa 900 Tonnen entspricht“, heißt es auf der Homepage der Genossenschaft.

Weitere Informationen gibt es auf der Webseite der Nahwärme Nennslingen eG.

Nahwärme Emetzheim eG

In Emertzheim nahm die Nahwärmeversorgung im Februar 2022 Fahrt auf, als die ersten Hausanschlüsse vorbereitet wurden. Ende Oktober 2022 soll das Netz laufen und den Weißenburger Ortsteil mit Wärme aus erneuerbaren Energien versorgen. Jährlich sollen so rund 210.000 Liter Heizöl eingespart werden. Für die Emetzheimer bietet das Nahwärmenetz mehrere Vorteile: Sie brauchen künftig weniger Platz für ihre Heizung im Haus und können mit der Nahwärme alte Ölheizungen ersetzen. Und selbst wenn ein Einwohner keine Nahwärme beziehen will, so kann er im Zuge der Verlegung des Nahwärmenetzes sein Haus mit Glasfaserkabel ans schnelle Internet anschließen.

Nahwärme Sammenheim eG

Auch in Sammenheim im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen wollen engagierte Bürgerinnen und Bürger die Energiewende vorantreiben. Im März 2022 startete die Nahwärme Sammenheim eG die Bauarbeiten im Ort für die Verlegung der Nahwärmeleitungen.

Energiegenossenschaft Karl-Rolle-Straße eG

In Eggenfelden im Landkreis Rottal-Inn entsteht ebenfalls ein Nahwärmenetz, aufgrund des Engagements der Energiegenossenschaft Karl-Rolle-Straße eG. Das Netz soll das Gewerbegebiet „Karl-Rolle-Straße“ und das Eggenfeldener Freibad mit dezentral erzeugter Energie versorgen.

Nahwärme Beerbach eG

Die Nahwärme Beerbach eG plant den Bau und Betrieb eines Heizwerks, eines Nahwärmenetzes sowie eines Glasfasernetzes für schnelles Internet im mittelfränkischen Ort Beerbach.

Dorfheizung Berg eG

Es war ein langer Weg, bis in Berg im Landkreis Weilheim-Schongau das Nahwärmenetz im November 2021 in Betrieb gehen konnte. Insgesamt 1.300 Stunden Arbeitszeit hat die Genossenschaft investiert, um das Projekt zu realisieren. Am 18. November 2021 wurde das Nahwärmenetz erfolgreich in Betrieb genommen.

Mehr Infos zur Dorfheizung Berg eG gibt es auf der Webseite der Genossenschaft.

Bürger-Energie-Genossenschaft Berglern eG

Die Bürger-Energie-Genossenschaft Berglern hat das Ziel, einen Beitrag zur regenerativen Energieversorgung zu leisten. Um das zu realisieren, will die eG die Kraft der Sonne nutzen und sich auf die Errichtung sowie den Betrieb von Photovoltaikanlagen in der Gemeinde Berglern im Landkreis Erding konzentrieren.

Warum ist die Zeit reif für eine Energiewende in Bürgerhand?

Riedl: Bürgerenergiegenossenschaften stehen für die dezentrale Energiewende, indem sie vor Ort Strom und Wärme erzeugen und die Menschen damit versorgen. Wenn die Bürger diese Verantwortung für ihre Heimatregion nicht selbst übernehmen, dann wird jemand anderes einspringen, zum Beispiel ein Konzern. Dieser wird sicherlich seine Rendite oder die Dividende seiner Aktionäre im Blick haben, aber nicht die Interessen der Menschen vor Ort. Gerade bei der Grundversorgung mit Energie sollten aber Nachhaltigkeit, regionale Wertschöpfung und Versorgungssicherheit klar im Vordergrund stehen. Bürgergenossenschaften können das gewährleisten. Im Regelfall ist diese Energie auch noch günstiger. Trotzdem ist es auch für Genossenschaften existenziell wichtig, wirtschaftlich zu arbeiten. Nur billigen Strom und billige Wärme zu liefern, würde dem gesellschaftlichen Anspruch einer Bürgerenergiegenossenschaft nicht gerecht.

Was spricht für die Rechtsform Genossenschaft, um die Bürger an der Energiewende zu beteiligen?

Riedl: Viele Energiegenossenschaften bieten breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, bereits zu moderaten Beträgen Mitglied zu werden und Geschäftsanteile zu zeichnen. So können diese an der Energiewende finanziell teilhaben, ohne zum Beispiel selbst über ein Grundstück oder ein Haus zu verfügen, auf dem sie eine Photovoltaik-Anlage errichten könnten. Auf diese Weise stiften Genossenschaften für Menschen und Energiewende gleichermaßen einen großen Nutzen. Die demokratischen und transparenten Entscheidungsstrukturen nach dem Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“ sorgen zudem dafür, dass alle ihre Meinung einbringen können und nicht einzelne Mitglieder die Richtung vorgeben. Zudem geht es bei einer Genossenschaft primär um die Leistung, die sie ihren Mitgliedern und auch der Gesellschaft anbietet, und nicht so sehr um den finanziellen Ertrag dieser Leistung. Der Geschäftszweck einer Bürgerenergiegenossenschaft ist also nicht, eine möglichst hohe Dividende auf den Geschäftsanteil auszuzahlen, sondern die Energiewende voranzutreiben. Auch das unterscheidet die Genossenschaft von anderen Rechtsformen.
 

Warum ist es gerade bei Nahwärmenetzen sinnvoll, diese in genossenschaftliche Hände zu legen?

Riedl: Wärmegenossenschaften sind klassische Selbsthilfeeinrichtungen. Sie leisten Hilfe zur Selbsthilfe, indem sie ihre Mitglieder kostengünstig mit Wärme versorgen. Nur die tatsächlichen Kosten werden in den Grund- und Wärmepreis eingerechnet. Ein Dritter wird die Dorfgemeinschaft niemals so günstig mit Wärme versorgen können wie die Bürger selbst. Außerdem halten Wärmegenossenschaften die Wertschöpfung im Ort. Das Geld des Dorfes dem Dorfe, um es mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen zu sagen. Weil die Straßen für das Wärmenetz ohnehin aufgegraben werden müssen, verlegen viele Wärmegenossenschaften außerdem noch Glasfaserkabel für schnelles Internet. Auf diese Weise profitieren die Dorfbewohner gleich doppelt von der Genossenschaft. Hinzu kommt: Wärmegenossenschaften werden vom ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder getragen. Das reduziert nicht nur die Kosten, sondern trägt zu einer starken und lebendigen Dorfgemeinschaft bei. Auch das ist ein Wert, der nicht unterschätzt werden darf.

Zehn Argumente für ein genossenschaftliches Nahwärmenetz

1. Nahwärmegenossenschaften liefern zu 100 Prozent Wärme aus erneuerbaren Energien

Geheizt wird in der Regel mit der Abwärme von Biogasanlagen oder mit Hackschnitzeln. Das schützt die Umwelt und das Klima. Die Genossenschaftsmitglieder können so für sich in Anspruch nehmen, ihr Anwesen komplett klimaneutral zu heizen. Ein Argument, das in der Klimadebatte zunehmend an Gewicht gewinnt.

2. In einer Genossenschaft können die Mitglieder über ihr Nahwärmenetz mitbestimmen

Die Entscheidung für den Anschluss an ein Nahwärmenetz hat für Hausbesitzer weitreichende Konsequenzen, weil sie sich dauerhaft an ein Unternehmen binden. Viele befürchten deshalb, fremde Entscheidungen mittragen zu müssen, ohne darauf Einfluss nehmen zu können. Genau das ist bei einer Genossenschaft nicht der Fall: Die Mitglieder sind über ihren Geschäftsanteil Miteigentümer der Genossenschaft und können in der Generalversammlung über die Geschäftspolitik mitbestimmen, indem sie über die Mittelverwendung des Jahresabschlusses entscheiden. Im Vergleich zu anderen Unternehmensformen ist das ein zentraler Vorteil. Nach dem Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“ ist es bei Entscheidungen unerheblich, wie viele Geschäftsanteile ein Mitglied gezeichnet hat. Bei Genossenschaften hat also nicht das eingezahlte Kapital das Sagen, sondern die einzelnen Mitglieder. Genossenschaften sind eine demokratische Unternehmensform.

3. Genossenschaften sind Unternehmen mit einem geprüften Geschäftsmodell

Bevor Genossenschaften gegründet werden, wird das Geschäftsmodell von einem genossenschaftlichen Prüfungsverband wie dem Genossenschaftsverband Bayern (GVB) genau unter die Lupe genommen. Das gibt den Mitgliedern Sicherheit. Außerdem bieten Prüfungsverbände wie der GVB rund um die Gründung einer Genossenschaft umfangreiche Beratungsleistungen an.

4. Der Gesetzgeber zwingt Gebäudebesitzer zum Handeln

§72 des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) verbietet den Betrieb von Öl- und Gasheizungen in Bestandsgebäuden, die vor 1991 eingebaut wurden. Öl- und Gasheizungen mit Inbetriebnahmejahr 1991 oder später müssen spätestens nach 30 Jahren außer Betrieb genommen werden. Ab 2026 ist der Einbau von Ölheizungen verboten, wenn nicht ein Teil des Wärmebedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann. Warum also nicht gleich auf genossenschaftliche Nahwärme umschwenken, wenn in den nächsten Jahren ohnehin die alten Ölheizungen ausrangiert werden müssen? Abgesehen davon ist der Anschluss an ein Nahwärmenetz im Regelfall deutlich billiger als eine neue Heizung.

5. Die Anschließer sparen Geld und Aufwand

Weil es im Haus keine eigene Heizung mehr gibt, muss der Kaminkehrer nicht mehr kommen. Die Kosten für die Reinigung des Kamins und die Kontrolle der Feuerungsstätte auf einen ordnungsgemäßen Betrieb entfallen. Außerdem müssen sich die Hausbesitzer nicht mehr selbst um den Brennstoffkauf kümmern und aufwendig Preise vergleichen, weil die Wärme frei Haus kommt. Und ohne Öltank braucht es auch keine Öltankversicherung. Abgesehen davon bieten Nahwärmegenossenschaften in der Regel langfristige Verträge an. Dadurch lassen sich die Kosten besser kalkulieren. Die ab 2021 neu eingeführte CO2-Abgabe auf Heizöl von derzeit rund 8 Cent pro Liter lässt die Anschließer einer Nahwärmegenossenschaft kalt.

6. Ein Nahwärmenetz minimiert die Umweltrisiken

Öltankversicherungen gibt es nicht ohne Grund. Wenn Heizöl – etwa bei einem Hochwasser – ausläuft, wiegen die Schäden an Haus und Umwelt schwer. Nach der Jahrhundertflut an der Donau im Juni 2013 mussten im Deggendorfer Stadtteil Fischerdorf zahlreiche Häuser abgerissen werden, weil ausgelaufenes Öl die Bausubstanz unrettbar zerstört hatte. Dieser Aspekt sollte nicht unterschätzt werden, da der Klimawandel Extremwetterlagen wie Starkregen begünstigt, die auch in Gegenden ohne größere Wasserläufe zu Überflutungen führen können.

7. Die angeschlossenen Haushalte erhalten mehr Platz

Weil die eigene Heizung ausgebaut werden kann, braucht es zum Beispiel keinen Öltank oder eine andere Brennstofflagerstätte mehr. Die Hausbewohner gewinnen einen ganzen Raum. Neu eingebaut wird in der Regel nur ein Pufferspeicher, der die Anschlussleistung reduziert. Dieser Speicher ist in etwa so groß wie die Heizung ohne Tank – und im Keller stinkt es auch nicht mehr nach Heizöl.

8. Die Wertschöpfung einer Nahwärmegenossenschaft bleibt in der Region

Bei Nahwärmegenossenschaften profitieren nicht die Ölscheichs, sondern die Unternehmen vor Ort, zum Beispiel die Handwerker und die Landwirte als Energielieferanten.

9. Ein genossenschaftliches Nahwärmenetz stärkt den Zusammenhalt in der Gemeinde

Die Einwohner engagieren sich gemeinschaftlich und solidarisch für ein Ziel, von dem alle profitieren: eine gemeinsame Wärmeversorgung aus regenerativen Energiequellen.

10. Mit der genossenschaftlichen Wärme kommt häufig auch das schnelle Internet ins Haus

Weil die Straßen für die Rohrleitungen ohnehin aufgegraben werden müssen, entscheiden sich viele Genossenschaften dafür, gleich ein Glasfaserkabel mit zu verlegen. Dann sind die Nutzer nicht mehr mit einem rostigen Oldtimer auf dem Datenhighway unterwegs, sondern mit einem Ferrari.

Inwiefern schaffen Energiegenossenschaften sonst noch Mitgliedernutzen?

Riedl: Neben der finanziellen Teilhabe der Bürger an der Energiewende und der umweltfreundlichen Produktion von Energie geht es hier um grundsätzliche Werte, und zwar im Wortsinn: Sowohl die Elektrizitätsgenossenschaften als auch die Wärmegenossenschaften in Bayern versorgen Menschen und Unternehmen vor Ort über ihre eigene Infrastruktur mit Strom und Wärme. Das Versorgungsnetz gehört der Genossenschaft – und damit den Mitgliedern, die an ihr beteiligt sind, also in der Regel den Bürgern und/oder Kommunen vor Ort. Bürger und Kommunen können über die Genossenschaft mitbestimmen, was mit der Infrastruktur geschieht. Sie kann nicht in fremde Hände geraten oder durch einen Teilhaber mit Anteilsmehrheit fremdbestimmt werden, wie das bei Konzernen häufiger vorkommt. So laufen Bürger und Kommunen nicht Gefahr, dass ihr Versorgungsnetz kommerziellen Absichten eines Dritten unterworfen wird, der am Wohlergehen der Region kein Interesse hat. In welche Abhängigkeiten das sonst führen kann, zeigen die deutschen Gasspeicher, die sich der russische Gaskonzern Gazprom einverleibt hat.

Der GVB berät

Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) berät und unterstützt die bayerischen Energiegenossenschaften in rechtlichen, steuerlichen und fachlichen Angelegenheiten. Dazu gehören unter anderem die Themen Energieberatung mit Fördermittelbeantragung, Energie-Audit und Energie-Managementsysteme, Technologieauswahl, Anlagendimensionierung, Wirtschaftlichkeitsberechnung und Preisgestaltung. Ansprechpartner ist Daniel Caspari. Kontakt: energie-gvb(at)gv-bayern.de oder 089 / 2868-3577. Aktuelle Meldungen für Energiegenossenschaften hat der Verband im GVB-Mitgliederportal gebündelt.

Auch der Ukrainekrieg zeigt, wie abhängig Deutschland von russischen Energielieferungen ist. Inwiefern können Energiegenossenschaften dazu beitragen, diese Abhängigkeit zu reduzieren?

Riedl: Die Gleichung ist eigentlich recht einfach. Wir in Deutschland und gerade auch in Bayern haben mit Sonne, Wind, Geothermie und Biomasse mehr als ausreichend Rohstoffe, um uns günstig und dauerhaft mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Wenn Energiegenossenschaften diese Ressourcen zur Energieversorgung vor Ort nutzen, reduzieren sie gleichzeitig die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Krisenregionen. Zudem bündeln Energiegenossenschaften die Finanzkraft der Bürger vor Ort. Das hilft unseren Ingenieuren, mit ihrem Know-how innovative technische Projekte zu entwickeln, die wegweisend für die Energiewende sind. So können Genossenschaften dazu beitragen, die bisherige Abhängigkeit von fossilen Energien aus Krisenregionen zu beenden und durch einen Marktvorteil für die Exportnation Deutschland zu ersetzen.
 

Wie unterstützt der GVB bei der Gründung von Genossenschaften?

Riedl: Der GVB ist ein kompetenter Partner für seine Mitglieder. Vielseitige Erfahrungen in verschiedensten Branchen helfen den GVB-Gründungsberatern dabei, Neugründungen von der ersten Idee bis zur fertigen, im Register eingetragenen Genossenschaft in allen Schritten professionell zu unterstützen.

„Wärmegenossenschaften benötigen eine starke Gemeinschaft, denn ohne Vertrauen ist eine solide Zusammenarbeit nur schwer realisierbar.“

Welche Besonderheiten gibt es bei der Gründung von Nahwärmegenossenschaften zu beachten?

Riedl: Bei Wärmegenossenschaften ist von Anfang an eine starke Gemeinschaft notwendig, denn ohne das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die der Nachbarn ist eine solide Zusammenarbeit nur schwer realisierbar. Wenn diese erste Hürde genommen wurde, dann geht es an die technischen und wirtschaftlichen Parameter. Wichtig sind vor allem ein bezahlbares Wärmenetz, eine ausreichend dimensionierte Heizzentrale, eine moderne Übergabetechnik sowie ausreichend Abnehmer. Die Wahl des richtigen Planers ist von enormer Bedeutung, bevor die Arbeiten aufgenommen werden. Das sind alles Themen, die wir in der Gründungsberatung ansprechen. Hier empfiehlt es sich, frühzeitig mit dem GVB Kontakt aufzunehmen.
 

Sie beraten Genossenschaftsgründerinnen und Gründer im Auftrag des GVB bereits seit fast 20 Jahren. Worauf kommt es im Kern an, wenn man erfolgreich eine Genossenschaft gründen will?

Riedl: Erfolgreich ist eine Genossenschaftsgründung dann, wenn die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt auf die richtigen Menschen trifft, die gemeinsam etwas bewegen wollen. Ohne die passenden Mitglieder ist die beste Genossenschaftsidee nichts wert.
 

Wo sehen Sie noch politischen Handlungsbedarf, um die Gründer von Energiegenossenschaften in ihrem Handeln zu bestärken?

Riedl: Ein Wunsch von mir wird vielleicht bald Wirklichkeit. Genossenschaften beliefern ihre Mitglieder ganz unbürokratisch mit ihrem eigenen Strom. Die Betonung liegt dabei auf „unbürokratisch“, denn bisher hat der Gesetzgeber den Energiegenossenschaften bei der Eigenversorgung der Mitglieder mit Strom viele Knüppel zwischen die Beine geworfen. Aber im Großen und Ganzen sind die Rahmenbedingungen für Energiegenossenschaften und die Energiewende in Deutschland gar nicht so schlecht, da gäbe es schlimmere Beispiele. Insofern halte ich mich an das Motto: Alle sagten, das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht. Und dieser eine ist vielleicht eine Genossenschaft.
 

Herr Riedl, herzlichen Dank für das Interview!

Artikel lesen
Topthema