Antrittsgespräch: Wie das neue GVB-Vorstandsteam Gregor Scheller und Siegfried Drexl den Verband für die Zukunft aufstellen will.
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„Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig setzen.“ Das wusste Aristoteles schon vor gut 2.300 Jahren. Was hat dieses Zitat mit Genossenschaften zu tun, die es auf gerade einmal knapp 200 Jahre bringen? Sie haben immer wieder auch den Rat des antiken Philosophen befolgt und die Segel richtig gesetzt, und sie tun dies bis heute. Genauso aktuell wie das Aristoteles Zitat bis heute ist, so haben sich auch Genossenschaften ihre Aktualität stets bewahrt, sich angepasst, Chancen ergriffen und sich weiterentwickelt. Das taten sie nicht allein um ihrer selbst willen, sondern aus ihrem Selbstverständnis heraus. Genossenschaften binden ein, wirken regional, wollen ihre Mitglieder fördern und gesellschaftlichen Nutzen entfalten. Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) steht ihnen dabei mit Rat und Tat zur Seite.
Genossenschaften sind wesentlicher Pfeiler der mittelständischen Wirtschaft
Die Genossenschaften in Bayern haben im vergangenen Jahr erneut bewiesen, dass sie ein wesentlicher Pfeiler der mittelständischen Wirtschaft in Bayern sind. Auch bei den aktuellen Herausforderungen liefern Genossenschaften Antworten auf die Fragen der Zeit. Beispiel Energie: Nicht zuletzt der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat deutlich vor Augen geführt, wie fragil die Energieversorgung unseres Lands ist. Energiegenossenschaften können nicht alle Probleme lösen. Sie können aber in wichtigen Bereichen Abhilfe und Linderung schaffen. Denn sie sichern eine dezentrale Energieversorgung, bringen die Energiewende durch den Ausbau erneuerbarer Energien voran und sorgen dafür, dass Wertschöpfung in der Region bleibt. Im vergangenen Jahr sind 17 Energiegenossenschaften gegründet worden – mehr als in den Jahren zuvor. Das mag aktuell noch ein zartes Gewächs im Energiemarkt sein, es spricht aber viel dafür, dass die Bedeutung von Energiegenossenschaften stark zunehmen wird.
Immer wieder protestieren Bürgerinnen und Bürger gegen Projekte wie Windräder oder große Solarparks. Für diese Proteste mag es viele Gründe geben. Einer davon ist sicherlich: Mit dem Windrad müssen die Menschen rund um den jeweiligen Standort leben. Den Gewinn machen andere. Mit genossenschaftlichen Modellen ist dies anders: Jede Bürgerin und jeder Bürger kann dank der Dividende auf dem eigenen Konto sehen, warum es sich lohnt, dass sich das Windrad in der Nachbarschaft dreht. Diese unmittelbare Mitgliederbeteiligung ist ein genossenschaftliches Grundprinzip und sie ist nicht veränderbar. Kein Investor kann eine Genossenschaft übernehmen, die Mitglieder herausdrängen oder sich zur bestimmenden Instanz erheben. Eigenverantwortung, Mitgliederförderung, Mitbestimmung und Selbsthilfe – das macht Genossenschaften aus.
„Genossenschaften können einen großen Beitrag zur Lösung offensichtlicher Probleme leisten.“
Leider ist diese schlichte Wahrheit noch nicht überall in den Köpfen verankert. Nach wie vor bestimmen überbordende Regulierung und gesetzliche Regelungen bis in die kleinsten Details den Gang der Energiewende. Was jetzt nötig ist, sind mutige Schritte, um die Energiewende zuzulassen. Und was es braucht, ist das Verständnis dafür, dass Genossenschaften einen großen Beitrag zur Lösung offensichtlicher Probleme leisten können.
Die Volksbanken und Raiffeisenbanken sind und bleiben der Ansprechpartner vor Ort
Beispiel Banken: Sie sind und bleiben Ansprechpartner vor Ort für Privat- und Firmenkunden. Sie haben ein Gesicht und sind bereit und in der Lage, auf individuelle Fragestellungen einzugehen. Vielen Menschen helfen Volksbanken und Raiffeisenbanken dabei, sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen und begleiten sie bei sämtlichen Finanzfragen durchs Leben. Für Firmenkunden sorgen sie für Liquidität und die finanziellen Spielräume, um investieren zu können. Diesen Erfolg belegen die Zahlen. Im vergangenen Jahr konnten die genossenschaftlichen Kreditinstitute in Bayern ihre Bilanzsumme erstmals über die 200-Milliarden-Euro-Marke heben. Das Kreditvolumen wuchs um fast neun Prozent auf 127 Milliarden Euro, die Kundengelder ebenfalls auf fast 263 Milliarden Euro. Das sind Vertrauensbeweise der Kundinnen und Kunden für die genossenschaftlichen Institute und ein Beleg dafür, wie richtig ihre Philosophie ist.
Auch bei den Banken gilt: Kein anonymer Investor kann hier das Steuer übernehmen. Die Entscheidungsinstanz sind die Mitglieder. Die Institute übernehmen regionale Verantwortung und sind nicht allein dem Prinzip der Gewinnmaximierung unterworfen.
Genossenschaften sind in rund 35 Branchen aktiv
Die Beispiele dafür, wie Genossenschaften Nutzen stiften, ließen sich lange fortführen – in rund 35 Branchen sind Genossenschaften im Freistaat aktiv. Gemeinsam ist ihnen allen bei aller Unterschiedlichkeit des Geschäftsmodells und des Tätigkeitsfelds die Verpflichtung auf gemeinsame Grundwerte. Auf die gilt es sich immer wieder zu besinnen und öffentlich für sie einzutreten. Nicht immer ist den Akteuren vor Ort bewusst, dass Genossenschaften einen wichtigen Beitrag leisten könnten – unkompliziert, sachgerecht und im Miteinander mit Bürgerinnen und Bürgern, Verwaltung und Politik.
Doch Genossenschaften agieren nicht im luftleeren Raum. Sie müssen sich mit Mitbewerbern auseinandersetzen, teils komplexe Gesetze und regulatorische Vorgaben einhalten. Dabei unterstützt der Genossenschaftsverband Bayern.
Was der GVB leistet
Der GVB engagiert sich in der Interessenvertretung gegenüber Politik und Verbund. In der Prüfung setzt er auf Partnerschaft und den Ansatz der betreuenden Prüfung. Die Mitglieder können auf umfassende Beratung zu allen Fragen der weiteren Entwicklung von Geschäftsmodell, Strategie, zu Themen aus Recht, Steuern, Marketing und Betriebswirtschaft bauen. In der Bildung schafft der GVB zusammen mit seiner Tochter, der Akademie der bayerischen Genossenschaften (ABG), zeitgemäße Angebote. All diese Bereiche greifen ineinander, sie sind vernetzt und abgestimmt.
Knapp 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, davon die Hälfte im Prüfungsaußendienst, stehen den Mitgliedern zur Seite. Die Genossenschaften profitieren von der tiefgehenden Expertise, die der Verband an zentraler Stelle bietet – von Bankenaufsicht bis IT-Sicherheit, von Arbeitsrecht bis Umsatzsteuer. Im vergangenen Jahr hat der Verband eine Vielzahl an Webinaren und Fortbildungen angeboten, um die Mitglieder über aktuelle Entwicklungen zu informieren.
Der GVB vertritt die Interessen der Genossenschaften
Seine Stimme erhebt der Verband zu aktuellen Fragen, beispielsweise der Umsetzung von Basel III und den damit verbundenen verschärften Eigenkapitalauflagen. Er drängt darauf, bei der Regulierung von Banken auf Proportionalität zu achten, ohne kleinere und nicht-systemrelevante Institute mit ständig neuen Auflagen zu erdrücken. Er scheut dabei auch nicht, den Finger in die Wunde zu legen – wie im vergangenen Jahr mit einem Gutachten zum Vorgehen der BaFin bei der Durchsetzung ihrer Interessen mit informellen Mitteln.
Politisch war das vergangene Jahr in Deutschland geprägt vom Ende der Ära Merkel und der Bundestagswahl. Der GVB hat die Themen, die den Genossenschaften wichtig sind, in zahlreichen Gesprächen mit Politikern vieler Parteien adressiert. Eines war die europäische Bankenunion und die Einlagensicherung EDIS. Hier hat sich die langjährige Überzeugungsarbeit aller Ebenen der genossenschaftlichen FinanzGruppe bezahlt gemacht. Die neue Regierungskoalition hat sich bereits im Koalitionsvertrag klar zur europäischen Bankenunion positioniert. Zwar will man diese weiter vorantreiben. Bei der gemeinsamen Einlagensicherung (EDIS) vertritt sie aber die Ansicht, dass bestehende Institutssicherungssysteme, wie das der Volksbanken und Raiffeisenbanken, weiterhin Bestand haben und nicht in einer europäischen Lösung aufgehen sollen. Dafür hat sich der GVB lange und intensiv eingesetzt. Wie wichtig der Einsatz des GVB ist, zeigen jüngste Bestrebungen auf europäischer Ebene, die die Existenz und Leistungsfähigkeit der Institutssicherung in einem noch nie da gewesenen Ausmaß infrage stellen.
Immer wieder waren auch Kunden von Volksbanken und Raiffeisenbanken Opfer von Betrugsfällen, wobei die mutmaßlichen Betrüger jeweils ein Konto bei der N26 Bank unterhielten. Auf diesen Missstand hat der GVB die BaFin nachdrücklich hingewiesen. Die Aufsicht hat unter anderem auch darauf reagiert, einen zusätzlichen Sonderbeauftragten für die N26 Bank benannt und der Bank bis auf Weiteres untersagt, mehr als 50.000 Neukunden aufzunehmen. Dies war ein Schritt, der deutlich macht, dass bei einem so wichtigem Thema wie der Geldwäscheprävention nicht mit zweierlei Maß gemessen wird.
Rechtliche Beratung bei General- und Vertreterversammlungen
Genossenschaften leben von der Mitgliederbeteiligung. Herzstück dafür sind die General- und Vertreterversammlungen. Im Zuge der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen war es in den vergangenen Jahren oft nicht möglich, diese Versammlungen in Präsenz abzuhalten. Der GVB hat seinen Mitgliedern rechtssichere digitale Varianten für diese so wichtigen Versammlungen zur Verfügung gestellt. Im März 2021 hatte ein Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe für Unruhe gesorgt, das die Beschlüsse einer virtuell abgehaltenen Verschmelzungsversammlung als ungültig erklärt hatte. Der GVB hat sich in der Folge gemeinsam mit dem Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) und dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) gegenüber dem Bundesjustizministerium, dem Bayerischen Justiz- und dem Bayerischen Wirtschaftsministerium für eine klarstellende Gesetzesänderung eingesetzt. Diese wurde im Juni 2021 vom Bundestag beschlossen.
Beratungsleistungen zum Thema Nachhaltigkeit
Das Thema Nachhaltigkeit wird zu einem immer entscheidenderen Kriterium bei der Kreditvergabe. Der GVB hat hierzu seine Kompetenzen gebündelt und ein umfangreiches Beratungsangebot aufgebaut und wird Banken ebenso wie Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften in diesem Bereich weiter unterstützen.
Um diese Arbeit zu begleiten, hat der GVB einige seiner Informationskanäle überarbeitet und neue Formate eingeführt. So ist die Webseite und das Mitgliederportal als zentrale Informationsplattform grundlegend überarbeitet und nutzerfreundlicher gestaltet worden. Außerdem informiert der Verband auf neuen, multimedialen Wegen: Mit dem „Themenspiegel“ bietet der GVB monatlich ein Video-Nachrichtenformat zu aktuellen Themen des Genossenschaftswesens an. Der Bereich Beratung hat ein Podcast-Angebot aufgelegt und im Mitgliederbereich lassen sich beispielsweise zu einzelnen Themengebieten tägliche Benachrichtigungen zu neuen Meldungen abonnieren.
„Die Hilfsbereitschaft und die Beteiligung der Volksbanken und Raiffeisenbanken an einer groß angelegten Spendenaktion, um aus der Ukraine Geflüchteten zu helfen, sprechen Bände.“
Mit dem Krieg in der Ukraine ist zu vielen Unsicherheiten, die uns alle seit einiger Zeit begleiten – wie Inflation, die Folgen der Corona-Pandemie, die Lieferkettenproblematik oder überbordender Regulierung – ein weiterer Unsicherheitsfaktor hinzugekommen. Das menschliche Leid ist unvorstellbar. Welche wirtschaftlichen Folgen der Krieg und die Sanktionen gegen Russland noch haben werden, ist kaum absehbar. Auch hier übernehmen Genossenschaften Verantwortung. Die Hilfsbereitschaft und die Beteiligung der Volksbanken und Raiffeisenbanken an einer groß angelegten Spendenaktion, um aus der Ukraine Geflüchteten zu helfen, sprechen Bände.
Sicher werden Genossenschaften auch einen konstruktiven Beitrag dazu leisten können und wollen, um die Folgen – menschlich, wirtschaftlich, gesellschaftlich – zu mildern. Auch in dieser Frage wird es ihnen gelingen, im Miteinander und im Bewusstsein, auf einem starken Wertefundament zu stehen, die Segel richtig zu setzen und Kurs auf eine erfolgreiche Zukunft zu nehmen.
Gregor Scheller ist Verbandspräsident und Vorstandsvorsitzender beim Genossenschaftsverband Bayern, Siegfried Drexl ist Mitglied des Vorstands beim Genossenschaftsverband Bayern.