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Andreas Lipécz blickt mit gemischten Gefühlen auf den kommenden Sommer. Auf der einen Seite freut er sich auf laue Grillabende mit der Familie und Ausflüge in die Umgebung. Auf der anderen Seite bereitet ihm Sorge, dass es auch in diesem Jahr wieder außergewöhnlich warm werden könnte. Schließlich gibt es in Deutschland immer häufiger Tage mit Temperaturen jenseits von 30 Grad Celsius. Regelmäßig klettert das Thermometer sogar über 40 Grad.

Warum sich Lipécz sorgt? Seit 2002 betreibt der Internist eine Gemeinschaftspraxis im Herzen von Nürnberg. „Dort behandele ich viele Seniorinnen und Senioren. Ihnen machen solche Hitzewellen besonders schwer zu schaffen. Zu den häufigsten Folgen zählen Herz-Kreislauf-Störungen, Schlaganfälle oder Nierenversagen“, sagt Lipécz. Er ist nicht nur als Arzt tätig, sondern auch als Vorstandsvorsitzender des Nürnberger Gesundheitsnetzes Qualität und Effizienz eG (QuE). Der Genossenschaft gehören 63 haus- und fachärztliche Praxen mit 117 Mitgliedern an. Hauptziel des 2005 gegründeten Unternehmens ist es, den Praxen ein stabiles Netzwerk zu bieten. Dadurch können sie einheitliche Behandlungsstandards definieren und den Patientinnen und Patienten ein hohes messbares Qualitätsniveau bieten.

Medikamente: Bei Hitzewellen steigt das Risiko von Nebenwirkungen

Problematisch sind Hitzewellen auch für Menschen, die Herzmedikamente einnehmen. Das Risiko von Nebenwirkungen steige bei hohen Temperaturen deutlich an, erklärt Lipécz. Ein Beispiel dafür seien entwässernde Mittel, sogenannte Diuretika. Wer diese Medikamente nimmt und stärker als üblich schwitzt, dem droht eine Nierenschwäche oder ein stark abfallender Blutdruck. „Deshalb sollten die Patienten vor Hitzeperioden mit ihrem Hausarzt sprechen, ob sie gegebenenfalls die Dosierung der Medikamente oder ihre Trinkmenge anpassen müssen“, betont Lipécz.

Die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen auf die menschliche Gesundheit wurden in Deutschland lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt. Doch seit einiger Zeit setzen sich Ärztinnen und Ärzte verstärkt mit dem Thema auseinander. Die QuE eG will die Diskussionen nicht nur verfolgen, sondern als Pionier auf diesem Feld vorangehen. Ende März hat die Genossenschaft eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. „Der menschengemachte Klimawandel ist die größte zivilisatorische Bedrohung unserer Zeit. Wir möchten unsere gesellschaftliche Verantwortung annehmen und haben uns deshalb zu diesem Schritt entschieden“, erläutert Lipécz.

Dem Vorstandsvorsitzenden ist wichtig zu betonen, dass sich die QuE eG zunächst auf Klimaschutzmaßnahmen fokussiert, perspektivisch jedoch auch die anderen Dimensionen der Nachhaltigkeit angehen und sich etwa verstärkt sozial engagieren möchte. Beispielsweise fördert die Genossenschaft das Lesehund-Projekt des Nürnberger Vereins Therapiehunde Deutschland mit 8.000 Euro. Dabei werden Kinder mit besonderem Förderbedarf animiert, Hunden laut vorzulesen und dadurch ihre Lese- und Sprechfähigkeiten zu üben. Die Tiere eignen sich dazu ideal, da sie nicht werten und bei Fehlern oder Unsicherheiten keine Miene verziehen. Mit der Spendensumme kann der Verein über ein Jahr  lang den Bedarf an Lesehunden an allen Nürnberger Schulen decken.

Mit der Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt die QuE eG mehrere Ziele. „Zunächst ist sie ein starkes Signal, dass wir dem Thema eine hohe Bedeutung einräumen. Gleichzeitig möchten wir mehr liefern als schöne Worte. Deshalb haben wir Maßnahmen eingeleitet, um sowohl selbst nachhaltiger zu agieren als auch die Mitglieder auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen“, sagt Lipécz. Ein Beispiel: Gemeinsam mit der Barmer Krankenkasse bietet die Genossenschaft seit Kurzem eine besondere Zusatzleistung an, einen jährlichen „Arzneimittel-Hitze-Check-up“. Wer sich für das Angebot registriert, kann seine Medikamente einmal im Jahr auf Hitzeverträglichkeit überprüfen lassen.

Wie hoch ist der CO2-Ausstoß des deutschen Gesundheitswesens?

Der von der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ herausgegebene Report „Lancet Countdown for Health and Climate Change“ veröffentlicht jährlich eine Bestandsaufnahme des Klimawandels und seiner Folgen für die menschliche Gesundheit. Auf der Grundlage des Reports hat eine Gruppe von deutschen Institutionen Empfehlungen erarbeitet, wie der deutsche Gesundheitssektor das Klima schützen und die Gesundheitsgefahren durch den Klimawandel mindern kann. Mitgewirkt haben die Bundesärztekammer, das Institut für Epidemiologie des Helmholtz Zentrums München, die Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Empfehlungen wurden im Policy Brief für Deutschland 2019 publiziert. In einem neuen Dokument, dem Policy Brief für Deutschland 2021, überprüfen die beteiligten Institutionen, wie die Empfehlungen bisher umgesetzt wurden. Die Dokumente nehmen vor allem drei Handlungsfelder in den Fokus: Erstens die systematische und flächendeckende Umsetzung von Hitzeschutzplänen, zweitens die Reduktion des CO2-Fußabdrucks im deutschen Gesundheitssektor und drittens sollen die Wechselwirkungen zwischen Gesundheit und Klimawandel rasch in die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen integriert werden. Laut dem Policy Brief 2019 betrug der CO2-Ausstoß des deutschen Gesundheitswesens im Jahr 2016 etwa 70 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente oder 5,2 Prozent der gesamten nationalen Emissionen.

Klimaneutrales Büro, klimaneutrale Arztpraxis

Zudem plant die QuE eG, ihr Büro bis Ende 2022 klimaneutral zu betreiben. Dazu hat sie den CO2-Fußabdruck analysiert und optimiert. Für diesen Prozess war Jörg Lindenthal verantwortlich, Leiter des QuE-Netzbüros. „Wir beziehen mittlerweile regionalen Ökostrom, haben unseren Papierverbrauch signifikant reduziert und ein Konzept zum Stromsparen aufgestellt, um einige Beispiele zu nennen. Außerdem haben alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Möglichkeit, ein Job-Rad zu leasen oder kostenfrei den ÖPNV zu nutzen. Diejenigen Emissionen, die wir nicht vermeiden können, kompensieren wir“, betont er.

Ebenso sind Projekte angelaufen, um den Mitgliedern dabei zu helfen, eine klimaneutrale Arztpraxis zu führen. Die ersten Praxen sollen bereits im kommenden Jahr CO2-neutral wirtschaften, formuliert Lindenthal das ehrgeizige Ziel der QuE. Der Weg dahin sei nicht leicht, wie der Leiter des Gesundheitsnetzes am Beispiel des Abfallaufkommens erklärt: „Im Gesundheitsbereich werden Einwegmaterialien wie Masken oder Handschuhe massiv gebraucht. Aus hygienischen Gründen ist das sinnvoll, aber es fällt natürlich viel Müll an. Gemeinsam mit den Praxen arbeiten wir daran, passende Lösungen zu finden, um einerseits Abfall einzusparen und andererseits die hohen hygienischen Standards zu halten.“

Klimaschädliche Medikamente

Von Lebensmitteln ist bekannt, dass einige wegen ihrer Herstellung schlecht für das Klima sind. Dazu zählt zum Beispiel Rindfleisch. Gibt es auch klimaschädliche Medikamente? „Ja, durchaus“, sagt Jörg Lindenthal von der QuE eG. Als Beispiel führt er Asthma-Sprays an. Nach einer Studie aus Großbritannien verursacht jeder Zug am Inhalator viel CO2, der Inhalt eines Inhalators entspricht dabei einer Autofahrt von fast 300 Kilometern. Als Alternative bieten sich Pulverinhalatoren an, bei denen deutlich weniger CO2 anfällt. „Ob Menschen, die unter Asthma leiden, von Sprays auf Pulverinhalatoren umsteigen, müssen sie selbstverständlich mit ihren Ärztinnen und Ärzten besprechen“, betont Lindenthal.

Um Themen wie die Nachhaltigkeitsstrategie voranzutreiben, treffen sich die Mitglieder regelmäßig in Arbeitsgruppen. Zusätzlich findet einmal im Monat eine große Runde statt, bei der sich die Ärztinnen und Ärzte über allgemeine Themen austauschen. Hauptanliegen ist es, Defizite bei der Patientenversorgung zu erkennen und zu beseitigen. Für Vorstandschef Lipécz sind diese Formate ein zentraler Wert der QuE eG. „Es gibt viele engagierte Kolleginnen und Kollegen, die sich aber allein aus Zeitgründen nicht mit jedem Thema intensiv beschäftigen können. Dank der Genossenschaft sind wir keine Einzelkämpfer, sondern helfen uns gegenseitig und profitieren vom jeweiligen Know-how“, betont er.

Genossenschaft greift Praxen unter die Arme

Unterstützung erhalten die Mitglieder zudem durch die sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Genossenschaft. „Wir schaffen Entlastung für den Praxisalltag“, erklärt Jörg Lindenthal das Konzept. Zu Themen wie Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit, Qualitätsmanagement, Datenschutz oder IT-Sicherheit stellen er und sein Team Informationen bereit und greifen den Praxen bei der Umsetzung unter die Arme.

Besonders gefragt waren die Leistungen der Genossenschaft in den ersten Monaten der Corona-Pandemie. Zum damals noch wenig erforschten Virus hat die QuE eG die Masse an Daten und Fakten aufbereitet und den Praxen zur Verfügung gestellt. Außerdem beschaffte die Genossenschaft Schutzmaterialien wie Masken oder Desinfektionsmittel. Lindenthal: „Gerade zu Beginn der Pandemie war es für die einzelnen Praxen schwierig, die nötige Ausrüstung zu erhalten. In der Gemeinschaft geht das deutlich einfacher.“ Auch vermeintlich kleine Aktionen stärken den Zusammenhalt: Um allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Mitgliedspraxen für ihren unermüdlichen Einsatz während der Corona-Pandemie zu danken, hat die Genossenschaft jeder Mitgliedspraxis einen Gutschein für ein gemeinsames Essen zur Verfügung gestellt. „Die Aktion kam super an“, sagt Lindenthal.

Eine weitere Kernleistung der QuE ist es, die Qualität der Mitgliedspraxen zu analysieren. Dazu erhält sie von den Krankenkassen anonymisierte Parameter. „Mit den Daten können wir etwa ermitteln, ob Diabetespatienten bei uns im Vergleich zu anderen Praxisnetzen gut, durchschnittlich oder weniger gut behandelt werden“, sagt Lindenthal. Grundsätzlich geht es darum, die Versorgungsqualität zu verbessern.

Das zeigt sich beispielsweise im Bereich der sogenannten Überweisungsquote. Der Hintergrund: In Deutschland besteht grundsätzlich freie Arztwahl, auch für Kassenpatienten. Die Menschen können also zum Facharzt gehen, ohne dass ihnen der Hausarzt dafür eine Überweisung ausstellt. „Viele Patientinnen und Patienten gehen davon aus, dass die Ergebnisse der Untersuchung dann automatisch an den Hausarzt gehen. Das ist jedoch häufig leider nicht der Fall. Es ist daher sehr sinnvoll, sich eine Überweisung ausstellen zu lassen. Dann ist garantiert, dass der Hausarzt den Befund erhält“, sagt Lindenthal. Im Rahmen der Datenanalyse hatte die QuE festgestellt, dass die Überweisungsquote bei den Mitgliedern vergleichsweise niedrig war. Daraufhin stellte sie den Praxen beispielsweise Aushänge zur Verfügung, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Thema zu sensibilisieren. Außerdem warb sie in den sozialen Medien für die Arztüberweisung. Mit Erfolg: Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Quote verdoppelt.

QuE eG ist das Gesundheitsnetz mit den meisten Versorgungsverträgen in Deutschland

Ein weiterer Gewinn für die Mitglieder der QuE eG sind die Versorgungsverträge der Genossenschaft mit den Krankenkassen AOK, BARMER, Siemens-Betriebskrankenkasse sowie Techniker Krankenkasse. Versicherte bei einer dieser Kassen erhalten bei den Praxen, die Mitglied der QuE eG sind, Zusatzleistungen über den gesetzlichen Anspruch hinaus, sofern sie sich für die von der QuE verhandelten Angebote registrieren. Ein Beispiel: Bei Versicherten ab 35 Jahre zahlen die Kassen alle drei Jahre eine Gesundheitsuntersuchung. Bei der QuE gibt es die Check-ups jedes Jahr. Zudem profitieren die Menschen von einer abgestimmten Versorgung, da die Ärztinnen und Ärzte genau über die jeweiligen Leistungen der anderen Praxen Bescheid wissen. „Die Zusatzleistungen sind aus unserer Sicht sehr attraktiv. Zudem sind wir das einzige Gesundheitsnetz in Deutschland, das Kooperationsverträge mit gleich vier Krankenkassen unterhält. Das freut uns besonders“, bekräftigt Lipécz.

Genossenschaft mit erfolgreichem Forschungsprojekt zu Antibiotika-Resistenzen

Antibiotika retten Leben, doch weil sie zu häufig eingesetzt werden, wirken sie immer schlechter gegen bestimmte Bakterien. „Es gibt viele Menschen, die auch dann Antibiotika nehmen möchten, wenn sie beispielsweise nur eine Erkältung haben. Das ist problematisch, da Antibiotika einerseits Nebenwirkungen wie Durchfall oder Übelkeit hervorrufen können und sich andererseits Resistenzen entwickeln“, sagt Andreas Lipécz von der QuE eG. Deshalb hat die Genossenschaft 2015 ein Projekt initiiert mit dem Ziel, Antibiotika-Resistenzen zu vermindern. Daraus entstand 2016 das Forschungsvorhaben ARena (Antibiotika-Resistenzentwicklung nachhaltig abwenden). An dem Projekt waren neben der QuE dreizehn weitere Ärztenetze sowie 80.000 AOK-Versicherte und weitere Partner beteiligt. Nach Prüfung aller Projekt- und Evaluationsergebnisse hat sich der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss dafür ausgesprochen, die Ergebnisse aus ARena in die Regelversorgung zu überführen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen.

Neben den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit möchte die Genossenschaft ihre Mitglieder in den kommenden Monaten beim Recruiting unterstützen. „Es fehlt nicht nur an Ärztinnen und Ärzten, sondern vor allem auch an medizinischen Fachangestellten. Der Markt ist leergefegt und es gibt zu wenig Nachwuchs“, sagt Lipécz. Er nennt dafür zwei Gründe: Während der Corona-Pandemie hätten sich einige Fachkräfte anders orientiert und andere bei Krankenhäusern angeheuert, die verstärkt um Personal buhlen. Die QuE eG plant deshalb eine Image-Kampagne vor allem in den sozialen Medien, um für eine Tätigkeit oder eine Ausbildung bei den Mitgliedspraxen zu werben.

Vorstandschef Lipécz ist von der Notwendigkeit der Genossenschaft überzeugt: „Sie ist ein ganz wesentlicher Faktor dafür, dass es in unserem Geschäftsgebiet im Nürnberger Norden und Osten ein funktionierendes System aus Einzel- und Gemeinschaftspraxen gibt.“ Schon länger treibt ihn das Thema um, wie und wo Ärztinnen und Ärzte künftig arbeiten. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Einzelpraxen in Deutschland zurückgegangen, stattdessen entstehen immer mehr sogenannte medizinische Versorgungszentren. Dort arbeiten viele Mediziner unter einem Dach zusammen. Lipécz ist von diesem Modell nicht angetan. „Aus unserer Sicht sind Patientinnen und Patienten in Einzel- und Gemeinschaftspraxen, die in ein Gesundheitsnetz eingebunden sind, besser aufgehoben. Unser Plus: Die persönliche Betreuung unserer Patientinnen und Patienten. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die bestehenden dezentralen Strukturen zu bewahren“, bekräftigt der Vorstandsvorsitzende der QuE eG.

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