Geschäftsentwicklung: Die genossenschaftlichen Waren- und Dienstleistungsunternehmen in Bayern konnten sich im Corona-Jahr 2020 behaupten. GVB-Präsident Jürgen Gros zieht Bilanz.
Herr Gros, 2020 war ein Ausnahmejahr. Wie haben sich die Genossenschaftsbanken geschlagen?
Jürgen Gros: Die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben den Corona-Stresstest bestanden. Die Höhe der ausgereichten Kredite legte um 7,6 Prozent auf 117,1 Milliarden Euro zu – ein neuer Rekordwert. Bei der Bilanzsumme ging es um 8,5 Prozent auf 190,7 Milliarden Euro nach oben. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken waren wichtige Akteure bei der Bekämpfung der Corona-Folgen. Alles in allem hat das Modell der regionalen Hausbank einmal mehr seine Stärke bewiesen. Kurzfristige Liquidität, Stundungen, Förderkredite und Firmendarlehen – all das stand im Zentrum der Arbeit der Banken. Auch das Immobiliengeschäft entwickelte sich weiter stabil. Das Niedrigzinsumfeld, das uns die Europäische Zentralbank (EZB) beschert, drückt weiter auf das Ergebnis. Eine weitere Steigerung der Kundeneinlagen macht es nicht einfacher. Dennoch bleiben die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken unter den profitabelsten Bankengruppen in Europa.
„Die Banken haben ihre Kreditbücher eng im Blick. Anzeichen einer Pleitewelle sind aktuell nicht erkennbar.“
Immer wieder ist davon zu hören, dass die Banken bald von einer riesigen Pleitewelle überflutet werden. Wie bereiten sich die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken darauf vor?
Gros: Die Banken haben ihre Kreditbücher eng im Blick. Anzeichen einer Pleitewelle sind aktuell nicht erkennbar. Bei ihrer Kreditvergabe waren die Institute schon vor Corona sorgsam. Hinzu kommt: Jene Wirtschaftszweige, die unter Corona besonders leiden, wie Kultur, Tourismus oder Gastronomie, gehören kaum zu den Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Zudem muss man differenzieren: So litten beispielsweise Hotels in Ballungszentren mit starker Ausrichtung auf Geschäfts- und Kongresskunden besonders unter den politischen Einschränkungen. In ländlichen Regionen hingegen – wo die Volksbanken und Raiffeisenbanken besonders stark sind – sind diese Betriebe bei allen Herausforderungen bisher zumeist besser durch die Lockdowns gekommen. Diese Unternehmen sind häufig familiengeführt, wirtschaften in der eigenen Immobilie und konnten im Sommer von den zahlreichen Heimaturlaubern profitieren.
Wie ist es den Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften ergangen?
Alexander Büchel: Da kann ich an die Aussage von Herrn Gros unmittelbar anschließen. Das Bild ist differenziert. Die Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften decken 35 Branchen ab. Entsprechend unterschiedlich ist die Betroffenheit. Wir sehen, dass der Energiebedarf zurückgegangen ist. In vielen Touristenzentren standen alle Räder still, das wirkte sich auf die Energiegenossenschaften aus. Es zeigte sich zudem, dass Unternehmen mit Absatzkanälen in Richtung Lebensmitteleinzelhandel gut durch die Pandemie gekommen sind. Sofern Großabnehmer wie Gastronomie und Hotellerie zu den Hauptabnehmern gehören, war es schwierig. Diese konnten ihre Produktion nicht einfach auf andere Gebindegrößen umstellen. Neben den Einkaufsgenossenschaften im Bereich Gesundheit sowie IT-Dienstleistern blicken die Raiffeisen-Warenunternehmen auf ein gutes Jahr zurück. Wer nicht in den Urlaub fahren konnte, hat es sich zu Hause schön gemacht. Das ständige Hin und Her zur Öffnung beziehungsweise Schließung der Raiffeisen-Märkte hat in der Praxis allerdings für Unmut gesorgt.
In den vergangenen Jahren zeichnete sich bei den Gründungen ein Trend ab im Bereich der Nahwärme-Genossenschaften.
Büchel: Ja, das Gründungsgeschehen setzt sich fort. 2020 gab es vier weitere Gründungen in diesem Bereich. Und auch im laufenden Jahr zeichnet sich ebenfalls ein reges Gründungsgeschehen ab. Wir erwarten circa sieben neue Nahwärmegenossenschaften. Weitere Initiativen in diesem Bereich sind in Bearbeitung. Die anderen Gründungen des vergangenen Jahres erstreckten sich von Unverpackt-Läden über Beratungsdienstleister bis hin zu genossenschaftlichen Modellen für Altenpflege und Seniorenwohnheime. Genossenschaften sind und bleiben ein beliebtes und gefragtes Modell. Insbesondere dort, wo der Staat Versorgungslücken klaffen lässt oder der Markt keine Lösung bietet, nehmen die Menschen die Gestaltung ihres Lebensumfelds selbst in die Hand.
Wo liegen die größten Probleme?
Büchel: Genossenschaften, die im Bereich Kultur agieren, waren sehr betroffen. Das gilt beispielsweise für Kinos und Theater. Die Gastronomie und alle Genossenschaften, die im Bereich Tourismus tätig sind, tun sich derzeit ebenfalls schwer. Auch Taxi-Genossenschaften haben den Stillstand des öffentlichen Lebens zu spüren bekommen. Die Taxi München eG berichtet von einem Umsatzrückgang um 85 Prozent. Hinzu kommen etwa Brauereien. Der Bierkonsum ist zurückgegangen. Der Wegfall von Festen und die Schließung der Gastronomie wirken sich entsprechend negativ aus. Unter den Schließungen und Absagen leiden auch die Winzergenossenschaften.
„Die Nähe zu unseren Mitgliedern hat sich in der Krise bewährt. Der Verband konnte schnell auf die Pandemie reagieren und die Mitglieder mit allen Informationen versorgen, die nötig waren.“
Welches Fazit treffen Sie für den GVB?
Gros: Der Verband hat gezeigt, was er kann. Die Nähe zu unseren Mitgliedern hat sich in der Krise bewährt. Der Verband konnte schnell auf die besondere Situation der Pandemie reagieren und die Mitglieder mit allen Informationen versorgen, die nötig waren. Die Lage haben wir jeden Tag neu bewertet und die Erkenntnisse für unsere Mitglieder aufbereitet. Wir haben die Frequenz unserer Kommunikation deutlich erhöht, um die Mitglieder über Webseite, Newsletter und FAQ-Listen auf dem Laufenden zu halten. Dafür haben wir auch viel Lob erhalten. Was uns dabei sehr geholfen hat, waren die ersten Ergebnisse des Change-Prozesses, mit dem wir dabei sind, den Verband auf die Zukunft auszurichten. Wir haben die Strukturen verschlankt, Schnittstellen beseitigt und die interdisziplinäre Zusammenarbeit deutlich gestärkt. Den Prozess der Neuorganisation haben wir im vergangenen Jahr vollzogen. Es ist dann sehr schnell deutlich geworden, dass uns diese Aufstellung dabei hilft, die Bedürfnisse und Erwartungen unserer Mitglieder noch fokussierter in den Blick zu nehmen.
Wie äußert sich das?
Gros: Wir haben frühzeitig damit begonnen, den Mitgliedern aufzuzeigen, wie sie die Chancen der Krise nutzen können. Mit dem Projekt „Vollgas Vertrieb“ haben wir beispielsweise die Kreditgenossenschaften dabei unterstützt, trotz Krise vertriebliche Aktivitäten zu starten. Es hat sich gezeigt, dass der Beratungsbedarf groß war. Die Banken sind gezielt auf ihre Kunden zugegangen, haben mit ihnen alternative Anlageformen besprochen und vor allem eines deutlich gemacht: Die Banken sind weiterhin für ihre Kunden da, sind ansprechbar und beraten zu sämtlichen Finanzdienstleistungen. Das hat geholfen, die Beziehungen zu den Kunden zu stärken.
Büchel: Im Zusammenhang mit Angeboten wie „Vollgas Vertrieb“ ist einmal mehr deutlich geworden, wie wichtig interdisziplinäre Arbeit bei uns im GVB ist. Es ging um vertriebliche Impulse, die aber letztlich meist auch rechtliche, steuerliche und prüferische Fragen aufwerfen. Unsere Mitglieder erwarten, dass sie von uns Leistungen aus einer Hand erhalten, die vorher mit der gesamten Expertise des Verbands geprüft wurden. Daraus ist das im März dieses Jahres veröffentlichte GVB-Qualitätssiegel „Verlässlich – sicher – geprüft“ entstanden, mit dem wir unsere Angebote künftig versehen. Dann wissen die Mitglieder: Auf diese Leistungen können sie in der Umsetzung rechts- und revisionssicher aufbauen.
Genossenschaften sind auf Begegnung angewiesen. Es geht da um Vertreter- oder Generalsversammlungen oder auch Wahlen. Das ist unter Corona-Bedingungen nicht einfach. Wie hat der Verband dies gelöst?
Gros: Das stimmt, Genossenschaften leben von der Begegnung. Aber auch hier hat der Verband bewiesen, dass er praxisorientiert und pragmatisch agiert. Was die Vertreter- und Generalversammlungen angeht, hat der Verband rasch geprüfte digitale Lösungen entwickelt und den Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Ähnliches gilt für die verbandsinternen Wahlen. Diese sind erst vor wenigen Wochen ebenfalls im digitalen Format im GVB in München über die Bühne gegangen. Sehr beeindruckt bin ich davon, wie schnell sich die Mitglieder auf die neuen Gegebenheiten angepasst haben.
Büchel: Die Situation, die uns die persönlichen Begegnungen unmöglich macht, wird uns wohl auch in diesem Jahr noch lange begleiten. Entsprechend bleibt die Schwierigkeit bestehen, in Pandemiezeiten Vertreter- und Generalversammlungen abzuhalten. Je nach Größe und Mitgliederstruktur stellt dies für manche Genossenschaft nach wie vor eine große Herausforderung dar. Der GVB wird weiterhin allen Mitgliedern zur Seite stehen und ihnen die notwendigen Informationen liefern und Optionen aufzeigen. Die Corona-Krise hat dem Thema Digitalisierung neuerlichen Schub verliehen. Die Krise hat uns aber auch die Grenzen von digitalen Formaten aufgezeigt. Der persönliche Kontakt ist letztlich nicht ersetzbar.
Wie funktioniert in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Arbeit im Mobile Office die Zusammenarbeit innerhalb des GVB?
Gros: Der GVB ist auf Digitalisierungskurs und setzt auf Smart Office. Das heißt, der Verband ist intern ganz auf digitale Zusammenarbeit umgeschwenkt. Besprechungen finden ortsunabhängig via Microsoft Teams statt. Das hat sich in mehrerlei Hinsicht bewährt. Es hilft nicht nur, sich kontaktlos zu besprechen. Es ist ein wichtiges Kommunikationsinstrument, das die bereichsübergreifende Zusammenarbeit fördert. Die technische Unterstützung trägt zur engeren Verzahnung und Zusammenarbeit bei. Vieles davon wird uns auch erhalten bleiben, wenn Corona längst passé ist.
Welche weiteren Lehren ziehen Sie nach einem Jahr Corona?
Gros: Dass es ein Leben während und nach Corona gibt. Das wiederum heißt, wir sollten auch relevante Themen abseits der Corona-Pandemie nicht aus den Augen verlieren. Wie geht es weiter mit der Regulatorik? Was hat die Brüsseler Politik im Bereich der Einlagensicherung vor? Welche Auswirkungen hat die Nachhaltigkeitsdebatte auf die Banken? Wo liegt Digitalisierungspotenzial für unsere Gruppe? Das sind Themen und Fragestellungen, denen wir uns zurzeit stellen müssen.
Büchel: Dem kann ich nur zustimmen. In diesem Sinne müssen wir unsere Unterstützungsleistungen für die Mitglieder gestalten. Im Bereich Prüfung unterstützt der GVB die Banken insbesondere in Fragen der Rechnungslegung, der Banksteuerung und im Aufsichtsrecht. Ein wichtiges Produkt war im vergangenen Jahr die Corona-FAQ-Liste, die Antworten auf Fragen aus den vielen unterschiedlichen betroffenen Fachgebieten gebündelt hat. Außerdem gewinnt auch das Thema Nachhaltigkeit immer mehr an Schwung. Neben strategischen Aspekten spielen auch regulatorische Themen eine Rolle. Beispielsweise ergeben sich für Banken durch die Offenlegungsverordnung neue Berichtspflichten. Diese betreffen unter anderem die Unternehmensstrategie, Investitionsprozesse oder die Vergütungspolitik. Auch hierbei leistet der GVB Unterstützung.
Der Verband will also noch stärker als bisher seinen Mitgliedern dabei helfen, sich im Dickicht von Vorschriften zurechtzufinden...
Gros: Es geht uns darum, komplexe Themen auf ihren Kern zu reduzieren, vielschichtige Zusammenhänge transparent zu machen und umfassende Anforderungen an die Mitglieder in konkrete Handlungsmöglichkeiten für die Genossenschaften zu übersetzen. Ganz im Sinne unseres Verbandsverständnisses: Wir helfen unseren Mitgliedern dabei, erfolgreich zu sein.
„Wäre Corona nicht über uns hereingebrochen, wäre ,Nachhaltigkeit‘ sicher das Schlagwort des vergangenen Jahres gewesen.“
Was bedeutet das konkret?
Gros: Das sehen Sie zum Beispiel beim Thema Nachhaltigkeit. Wäre Corona nicht über uns hereingebrochen, wäre „Nachhaltigkeit“ sicher das Schlagwort des vergangenen Jahres gewesen. Zum einen in der Interessenvertretung unter Stichworten wie Sustainable Finance oder Grünes Finanzwesen. Zum anderen wenn es darum geht, unsere Mitglieder auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu begleiten. Verbraucher legen immer mehr Wert auf eine nachhaltige Orientierung von Unternehmen. Vor diesem Hintergrund hat die genossenschaftliche FinanzGruppe bei der BVR-Mitgliederversammlung Ende 2020 ein Nachhaltigkeitsleitbild beschlossen. Das Leitbild ist viel mehr als nur ein Stück Papier.
Büchel: Das Leitbild ist die Richtschnur für die Kreditgenossenschaften, wenn sie ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen intensivieren wollen und wird die Grundlage für regelmäßige Berichte der FinanzGruppe sein. Das bringt neue Aufgaben für den GVB mit sich, aber auch eine Reihe von Möglichkeiten, um unseren Mitgliedern helfend zur Seite zu stehen. Und das passiert auch schon, in Form von Workshops und Webinaren unterstützen wir die Mitglieder, sei es in Fragen der eigenen Strategie, des Risikomanagements und der Gesamtbanksteuerung oder bei der Ausrichtung von Kerngeschäft und Geschäftsbetrieb.
„Genossenschaftliche Unternehmen des Mittelstands brauchen die richtigen Rahmenbedingungen, um weiterhin im Sinne ihrer Mitglieder und der Gesellschaft erfolgreich zu wirtschaften.“
Im Herbst findet die Bundestagswahl statt. Wie positioniert sich hier der GVB?
Gros: Genossenschaften können einiges zu den anstehenden notwendigen Veränderungen und Anpassungen in unserem Land beitragen. Mit 170 Jahren Erfahrung wirtschaften sie langfristig erfolgreich und haben die Auswirkungen ihres Handelns auf den Menschen stets im Blick. Daher haben wir eine Broschüre herausgegeben und darin aus genossenschaftlicher Sicht Positionen und Forderungen zu insgesamt 14 Punkten vorgelegt.
Was erwarten Sie für Genossenschaften?
Gros: An Unterstützungsbekundungen für die Genossenschaftsidee mangelt es nicht. Doch genossenschaftliche Unternehmen des Mittelstands, deren Wesen vom Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe, von Eigenverantwortung und einem demokratischen Miteinander getragen ist, brauchen die richtigen Rahmenbedingungen, um weiterhin im Sinne ihrer Mitglieder und der Gesellschaft erfolgreich zu wirtschaften. In der Broschüre präsentiert der GVB Vorschläge, wie dieser politische Rahmen aussehen kann – stets ausgehend von den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft. Diese müssen auch künftig die Richtschnur für Neuerungen und Veränderungen sein.
Herr Gros, Herr Büchel, vielen Dank für das Interview!