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Herr Gros, Herr Büchel, das Jahr 2019 war sowohl für die Kreditgenossenschaften als auch für die Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften überwiegend von Wachstum geprägt. Wie wird sich das laufende Jahr voraussichtlich entwickeln?

Jürgen Gros: Die Corona-Krise hat manche Planungen infrage gestellt. Aber klar ist auch: Die bayerischen Genossenschaften agieren hier aus einer Position der Stärke heraus. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben im vergangenen Jahr ihre Geschäfte ausgeweitet und sind nun auf Basis einer komfortablen Ertragssituation in der Lage, in der gegenwärtigen Krise als verlässlicher Finanzpartner an der Seite ihrer Kunden zu stehen. Solides Wirtschaften der Vergangenheit zahlt sich jetzt aus. Das gilt auch für die Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften, die die negativen Auswirkungen der Krise in einigen Monaten sehr heftig zu spüren bekommen werden.

Alexander Büchel: Was sich in der Krise bewährt, ist die regionale Verankerung der Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften. Denn die meisten von ihnen sind wenig von den volatilen Weltmärkten abhängig und können so ihre Stärke ausspielen: die Nähe zu den Kunden, ihre tiefe Verwurzelung und Vernetzung in der bayerischen Wirtschaft sowie das Modell der Genossenschaft. Sie müssen sich nicht gegenüber anonymen Anteilseignern verantworten, sondern können sich auf Mitglieder verlassen, die mehr im Blick haben als nur die momentane Geschäftslage.

Corona-Krise: Aktuelle Informationen abrufen

Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) stellt seinen Mitgliedern auf einer Sonderseite die wichtigsten Informationen rund um die Corona-Krise zusammen. Zu aktuellen Entwicklungen erscheint zudem regelmäßig ein Newsletter. Mit einem Klick geht es zur Sonderseite. Dort können sich GVB-Mitglieder auch für den Newsletter anmelden.

Im vergangenen Jahr ist auf der politischen Ebene für die Genossenschaften viel passiert. Wie wirkt sich das aktuell aus?

Gros: Einige der großen politischen Debatten, beispielsweise zur europäischen Einlagensicherung (EDIS), die Bundesfinanzminister Olaf Scholz im vergangenen Jahr wieder aus der Schublade geholt hat, oder auch das Riesenthema „Green Finance“, sind aktuell in den Hintergrund getreten. Aber sie werden wieder an Fahrt aufnehmen. Ein Grundanliegen der Kreditgenossenschaften bleibt aktueller denn je: In den vergangenen Jahren ist der Spielraum der Banken aufgrund regulatorischer Vorgaben immer geringer geworden. Die aktuelle Krise hat aber gezeigt, wie wichtig es ist, den Banken geschäftspolitischen Spielraum zu belassen, damit sie den Unternehmen in Finanzierungsfragen schnell und effektiv beiseite stehen können. Hierfür werden wir uns über die aktuelle Krise hinaus weiter einsetzen.

Was waren die wesentlichen Weichenstellungen im Verband, von denen der GVB in der aktuellen Situation profitiert?  

Büchel: Im vergangenen Jahr haben wir vieles bewegt, um unsere Mitglieder bestmöglich zu unterstützen. Ein Beispiel ist die Einführung eines elektronischen Prüfungsvermerks. Hierfür haben wir als erste Prüfungsorganisation in Deutschland eine Lösung entwickelt. Wie wichtig dieser Schritt für uns werden würde, konnten wir damals noch nicht ahnen. Jetzt, in der Krise und in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und Home Office, macht uns diese Innovation deutlich handlungsfähiger als wir es ansonsten gewesen wären. Das Jahr 2019 war für den GVB ein Jahr der Veränderungen. Das zahlt sich jetzt aus.

„Wir haben eine klare, langfristige Vision formuliert: Wir wollen das modernste und attraktivste Ökosystem für Genossenschaften bilden.“

Jürgen Gros

Was steckt hinter den Veränderungen, die der GVB letztes Jahr begonnen hat?

Gros: Vereinfacht gesprochen geht es um die Frage, wer wir sind, wo wir als Verband hinwollen und wie der Weg dorthin aussieht. Unsere Mission als Verband ist es, unseren Mitgliedern zu helfen, erfolgreich zu sein. Wir haben mithilfe von Befragungen unserer Mitglieder definiert, wie der Markenkern des GVB aussieht: Nah, dynamisch, solidarisch und kompetent. Und wir haben eine klare, langfristige Vision formuliert, auf die wir uns ausrichten: Wir wollen das modernste und attraktivste Ökosystem für Genossenschaften bilden.


Und wie sieht der Weg dorthin aus?

Gros: Wir haben eine Reihe weitreichender Projekte ins Leben gerufen, die unser Arbeiten vernetzter machen. Ein Beispiel ist unser GVB-Wissensmanagement. In den Fachbereichen des GVB steckt enorm viel Expertenwissen. Mit unserem Wissensmanagement-System wollen wir dieses Wissen bündeln, um es für unsere Mitglieder möglichst effektiv einsetzen zu können. Hier haben wir in der Vergangenheit viel verschenkt. Darüber hinaus haben wir neue Methoden eingeführt, mit denen wir uns Schritt für Schritt zu einer Netzwerkorganisation weiterentwickeln. Wir haben dabei Anleihen bei der Software-Industrie genommen – indem wir beispielsweise für neue Mitgliederleistungen erst Prototypen entwickeln und testen, bevor wir Produkte langwierig fertigstellen und erst dann sehen, ob es dafür einen Bedarf gibt.

Büchel: Auch unsere neue Steuerungssystematik stammt ursprünglich aus der Softwareentwicklung: Wir haben beim GVB ein OKR-Zielsystem eingeführt. O steht für „Objectives“ und KR für „Key Results“. So haben wir auf Ebene des Top-Managements OKRs definiert, und davon leitet jeder Bereich seine Prioritäten (Objectives) ab und die Kernergebnisse (Key Results), mit denen er den Fortschritt bei diesen Prioritäten messen will. Ein solcher Zyklus dauert bei uns jeweils sechs Monate, dann werden die OKRs neu definiert beziehungsweise weiterentwickelt.

Der zweite OKR-Zyklus hat im April begonnen. Wie ist der Stand der Dinge?

Gros: Während der OKR-Prozess im ersten Zyklus häufig noch als etwas Weiteres und Zusätzliches neben dem Tagesgeschäft empfunden wurde, wird er inzwischen mehr und mehr zum selbstverständlichen Bestandteil des Arbeitsalltags. Das macht vieles einfacher und ich bin sicher, dass wir das, was wir uns für die kommenden Monate vorgenommen haben, auch erreichen werden. Die Methodik wird den Verband stärken, die interdisziplinäre Zusammenarbeit voranbringen und Schritt für Schritt dem Ziel näherbringen, Leistungen anzubieten, die nicht Fragment eines Bereichs sind, sondern das Gesamtwerk vieler Beteiligter. Davon profitieren alle Mitglieder.

Die Aufgaben des GVB

Prüfung

Die Prüfung seiner Mitglieder ist eine der zentralen Aufgaben des GVB. Seine Mitarbeiter führen nach Maßgabe des Genossenschaftsgesetzes und weiterer gesetzlicher Vorschriften die vorgeschriebenen Pflichtprüfungen nach hohen Standards verlässlich durch. Damit trägt der Verband zur wirtschaftlichen Stabilität der bayerischen Genossenschaften bei. Um seinem Auftrag nachzukommen, beschäftigte der GVB zum Jahresende 294 Mitarbeiter im Prüfungsdienst.

Beratung und Betreuung

Der GVB betreut und berät die bayerischen Genossenschaften in steuerlichen, rechtlichen, betriebswirtschaftlichen und strategischen Fragen. Ob im persönlichen Kontakt, telefonisch oder über Fachbeiträge auf der Verbandswebseite und im Magazin „Profil“: Mit ihrem Know-how stehen die GVB-Experten den Mitgliedern bei sämtlichen Unternehmensangelegenheiten zur Seite. Sie unterstützen situativ im Tagesgeschäft, geben Hilfestellung bei Gesetzesänderungen oder regulatorischen Neuerungen und begleiten bei Fusionen und im Gründungsprozess.

Interessenvertretung und Kommunikation

Als Interessenvertreter macht sich der GVB für die Anliegen der bayerischen Genossenschaften stark und gibt ihnen eine Stimme. Gut vernetzt und mit prägnanten Botschaften vertritt der Verband die Positionen seiner Mitglieder gegenüber Politik, in den Medien und in der Öffentlichkeit. Um seine Argumente zu adressieren, führt er Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern, tauscht sich mit Journalisten aus, veröffentlicht Pressemitteilungen, Positionspapiere und Gastbeiträge. Durch intensive Gremienarbeit stellt der Verband zudem die Vertretung der Mitgliederinteressen in der genossenschaftlichen FinanzGruppe sicher.

Bildung

Der GVB unterstützt Vorstände, Aufsichtsräte, Mitarbeiter und Auszubildende der Mitgliedsunternehmen mit einem auf sie zugeschnittenen Bildungsangebot bei ihrer täglichen Arbeit. Die Akademie Bayerischer Genossenschaften (ABG) bietet hierfür ein ganzheitliches Aus- und Weiterbildungsprogramm. Im Mittelpunkt standen vergangenes Jahr Formate, die für den digitalen Wandel qualifizieren. Mehr als 28.000 Teilnehmer nahmen die ABG-Angebote wahr.

Inwieweit hat diese Herangehensweise dabei geholfen, in der Corona-Krise agieren zu können?

Gros: Sie hat uns dabei geholfen, uns ganz auf das zu konzentrieren, worauf es ankommt: Unseren Mitgliedern dabei zu helfen, erfolgreich zu sein. Der GVB hat gezeigt, dass er sich extrem schnell auf neue Rahmenbedingungen einstellen kann. Als die Corona-Krise aufgekommen ist, hat sich der GVB sehr rasch gegenüber Politik und Aufsicht positioniert. Und wir haben schnell erste Angebote gemacht, um unsere Mitglieder zu unterstützen. Auch da hat sich die Arbeit mit Prototypen, die wir aus dem Nordstern-Projekt kennen, bewährt. Einstweilen sind die wesentlichen Punkte in der politischen Krisenbewältigung adressiert. Jetzt gilt es dran zu bleiben, zu beobachten, wie die Programme wirken und, wo nötig, auf Nachbesserungen zu pochen. Dazu setzen wir auch auf Hinweise seitens unserer Mitglieder.

Büchel: Hier bewährt sich, dass der Verband seit Jahren eng mit den Verantwortlichen in Politik und Aufsichtsbehörden vernetzt ist und damit als etablierter Ansprechpartner die Interessen seiner Mitglieder wahrnehmen kann. Für die Mitglieder untereinander dient der Verband als Plattform, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Der GVB bringt dazu sein Expertenwissen ein.

„Die Aufsicht musste in der Corona-Krise feststellen, dass sie die Banken in den vergangenen Jahren zu sehr mit Regulatorik überzogen hat.“

Alexander Büchel

Die Corona-Krise hat vieles infrage gestellt. Wie beurteilen Sie die Zukunft des Verbands?

Gros: Der Weg ist klar: Der GVB hat bewiesen, dass er seine Stärke durch seine Nähe zu den Mitgliedern bezieht. Das sind die besten Voraussetzungen, um auch in Zukunft schlagkräftig und eigenständig die Interessen der Mitglieder in allen Belangen zu vertreten. Vieles wird – wenn wir die Corona-Krise einmal überwunden haben – nicht mehr so sein wie bisher. Das gilt auch für den GVB. Schon jetzt nehmen wir diese Zeit nach Corona in den Blick und bereiten uns darauf vor, den neuen Anforderungen, die dann auf uns zukommen, gerecht zu werden. Das Leistungsspektrum wird sich dem anpassen müssen.

Büchel: Das werden wir auch im Bereich der Prüfung sehen. Die Aufsicht musste in der Corona-Krise feststellen, dass sie die Banken in den vergangenen Jahren zu sehr mit Regulatorik überzogen hat. Aufsichtsbehörden wie politische Verantwortungsträger mussten das in den zurückliegenden Tagen eingestehen und gegensteuern. Als solide Bankengruppe mit dem nach wie vor besten Branchenrating sind wir uns unserer Verantwortung bewusst – und werden auch künftig als verlässlicher und starker Partner in allen Finanzfragen an der Seite der Kunden stehen.
 

Vielen Dank für das Gespräch!

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