Krisenmanagement: Was brauchen die bayerischen Genossenschaften jetzt, um einigermaßen heil aus der Corona-Krise zu kommen? Ein Interview mit GVB-Präsident Jürgen Gros.
Genossenschaften sind gelebte Demokratie: Jedes Mitglied hat unabhängig von der Höhe seiner Anteile genau eine Stimme. Ihr demokratisches Mitbestimmungsrecht üben die Mitglieder in der jährlichen General- oder Vertreterversammlung aus. Dort stellen die Teilnehmer unter anderem den Jahresabschluss fest und entscheiden über die Entlastung des Aufsichtsrats und des Vorstands.
Was unterscheidet die General- von der Vertreterversammlung?
„Bei Genossenschaften mit mehr als 1.500 Mitgliedern kann die Satzung bestimmen, dass die Generalversammlung aus Vertretern der Mitglieder (Vertreterversammlung) besteht“, lautet Paragraf 43a des Genossenschaftsgesetzes. In diesem Fall ist die Vertreterversammlung das höchste Entscheidungsorgan der Genossenschaft. Vertreter müssen Mitglied der Genossenschaft sein und dürfen weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat angehören.
Zu den General- oder Vertreterversammlungen können – je nach Größe der Genossenschaft – mehrere hundert Menschen zusammenkommen. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen für Veranstaltungen in Bayern sind solche Treffen derzeit nicht möglich. Es ist zudem nicht sicher, ob die Versammlungen im späteren Verlauf des Jahres stattfinden können. Der Gesetzgeber hat reagiert und Ende März das Gesetz zur Abmilderung der Folgen durch die COVID-19-Pandemie verabschiedet.
Rechtliche Bestimmungen
Nach der Gesetzesnovelle können Genossenschaften ihre General- und Vertreterversammlungen im Jahr 2020 digital durchführen – auch, wenn die Satzung dies nicht ausdrücklich zulässt. Wichtig dabei: Dem Protokoll ist ein Verzeichnis derjenigen Mitglieder beziehungsweise Vertreter beizufügen, die an der Beschlussfassung mitgewirkt haben. Auch die Art der Stimmabgabe muss festgehalten werden. Die Anfechtung eines Beschlusses kann nicht auf die Verletzungen des Gesetzes oder der Mitgliederrechte gestützt werden, die auf Störungen der digitalen Technik im Zusammenhang mit der Beschlussfassung beruhen. Die Genossenschaft darf jedoch nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben.
Weitere Bestimmungen des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen durch die COVID-19-Pandemie
- Die Einladung zur Versammlung kann auf der Internetseite der jeweiligen Genossenschaft erfolgen.
- Der Aufsichtsrat kann den Jahresabschluss feststellen.
- Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder bleiben auch nach Ablauf ihrer Amtszeit im Amt, bis ein Nachfolger bestellt ist. Die Anzahl der Mitglieder in den Gremien darf weniger als die in der Satzung bestimmte Mindestanzahl betragen.
Identifikationscode für die Abstimmung
Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) hat die veränderte Gesetzeslage umgehend analysiert und Möglichkeiten sondiert. Entsprechend empfiehlt der Verband, eine digitale General- beziehungsweise Vertreterversammlung mit direkter Abstimmung durchzuführen. Zwei Varianten sind möglich: Entweder ein Live-Stream, bei dem die Veranstaltung wie etwa ein Fußballspiel in Echtzeit übertragen wird. Die zweite Möglichkeit ist eine sogenannte „On-Demand“-Variante, bei der beispielsweise die Redebeiträge von Vorstand und Aufsichtsrat vorher aufgezeichnet werden.
Passende Lösungen stellen das Unternehmen Conventex (Live-Stream) und die VR-Networld (On-Demand-Verfahren) zur Verfügung. Bei beiden Angeboten erhalten die stimmberechtigten Vertreter oder Mitglieder im Vorfeld einen Identifikationscode, beispielsweise per Brief oder in das elektronische Postfach. Dadurch ist sichergestellt, dass die Abstimmung rechtssicher durchgeführt werden kann. Für Volksbanken und Raiffeisenbanken mit Generalversammlungen ergeben sich zudem Fragen hinsichtlich der Vergabe von Vollmachten oder gesetzlichen Vertretungen. In solchen Fällen rät der Verband dazu, sich eng mit den Ansprechpartnern beim GVB abzustimmen.
Abstimmung über Fusionen online durchführen
Eine besondere Herausforderung ergibt sich für Volksbanken und Raiffeisenbanken, die eine Fusion planen. Dort entscheiden ebenfalls die Mitglieder beziehungsweise die Vertreter über einen Zusammenschluss. Zur Frage, ob eine virtuelle Versammlung den Anforderungen einer Verschmelzungsversammlung entspricht, hat sich der GVB eng mit den zuständigen Stellen ausgetauscht. Ergebnis: Das Deutsche Notarinstitut in Würzburg kommt in einem Gutachten zu der Auffassung, dass eine entsprechende digitale Versammlung möglich ist. Der GVB hat die betroffenen Volksbanken und Raiffeisenbanken informiert und steht für Rückfragen und Unterstützungsleistungen gerne zur Verfügung.
Weiterführende Informationen
Mehr Informationen zu digitalen General- und Vertreterversammlungen erhalten Mitglieder des GVB auf der Webseite des Verbands. Dort stellt dieser zudem ein Musterschreiben zur Verfügung, mit dem Genossenschaften ihre Vertreter und Mitglieder über eine Verschiebung der Versammlung informieren können.
Kontakt: Bereich Rechtsberatung, 089 2868-3700, recht(at)gv-bayern.de.