Erneuerbar: Bayerns Energiegenossenschaften leisten seit mehr als 100 Jahren einen Beitrag zur dezentralen Energieversorgung des Freistaats. Dafür müssen sie sich immer wieder neu erfinden.
Gerd Mulert (Energie-Genossenschaft Fünfseenland): PV-Anlagen verleasen
„Mit modernen Heizungen und Eigenstromanlagen lässt sich viel Geld sparen. Doch viele Eigentümer schrecken vor den hohen Einmalinvestitionen zurück. Wir, die Energie-Genossenschaft Fünfseenland mit Sitz in Herrsching, bieten deshalb an, PV-Anlagen sowie Blockheizkraftwerke zu bauen und zu verpachten. Energie-Contracting nennt sich dieses Geschäftsmodell.
Wie das geht, zeigt beispielhaft eines unserer Projekte in Gilching im Landkreis Starnberg. Für das dortige Schulzentrum gab es kein ganzheitliches Energiekonzept, die Wärme stammte von einer Gasheizung, die das Ende ihrer Lebenszeit längst erreicht hatte. Gemeinsam mit dem Gemeinderat und dem Zweckverband für weiterführende Schulen entwickelten wir den Plan, PV-Anlagen auf den Schuldächern zu montieren und die alten Gaskessel durch ein modernes Blockheizkraftwerk zu ersetzen. Die gesamten Investitionen für das Projekt wurden von der Genossenschaft erbracht, außerdem übernehmen wir die Wartung der Anlagen. Dafür erhalten wir von der Gemeinde und vom Zweckverband eine monatliche Pacht über die Vertragslaufzeit von 20 Jahren.
Das Konzept lohnt sich für alle Seiten. Die Genossenschaft verdient Geld und leistet einen Beitrag, um den Klimaschutz vor Ort voranzutreiben und die Bürger daran zu beteiligen. Die Gemeinde und der Zweckverband sparen ebenfalls bares Geld. Die Energiekosten für das Schulzentrum sind um mehr als zehn Prozent gesunken, der Ausstoß von Treibhausgasen um mehr als 40 Prozent.
Insgesamt haben wir seit 2014 rund zehn Projekte im Bereich des Energie-Contractings umgesetzt. Neben dem Schulzentrum haben wir etwa eine neue Heizung für die evangelische Kirche in Herrsching installiert, eine PV-Anlage für die Gemeinde Tutzing realisiert oder ein Blockheizkraftwerk sowie eine PV-Anlage für das Tierheim in Starnberg errichtet. Zudem installieren wir als Auftakt für eine komplette energetische Sanierung, ebenfalls mit Blockheizkraftwerk und vielem mehr, in Kürze auf der Munich International School in Starnberg eine große Solaranlage mit einer Spitzenleistung von bis zu 200 Kilowatt. Energie-Contracting ist nicht nur etwas für Kommunen oder Vereine; auch in einer Hausgemeinschaft kann es sich lohnen, gemeinsam eine Solarstromanlage zu leasen.
Mit dem Konzept des Contractings haben wir ausschließlich positive Erfahrungen gemacht. Wer Interesse hat, sollte dennoch einige Fallstricke beachten. Ich empfehle, mit einem kleineren Projekt anzufangen und Stück für Stück Expertise aufzubauen. Zudem ist es lohnenswert, sich mit Spezialisten in der Region wie Anwaltskanzleien und kommunalen Energieversorgern zu vernetzen. Mit den richtigen Fachleuten bekommt man schließlich jedes noch so große Projekt in den Griff.“
Marco Kleemann (Nahwärme Pfofeld eG): Leerrohre für Glasfaser verlegen
„In Pfofeld, einer Gemeinde im mittelfränkischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, entstand 2012 die Idee, ein Nahwärmenetz zu bauen. Gleichzeitig stand die Überlegung im Raum, ebenfalls Breitbandinternet einzuführen. Die Geschwindigkeiten lagen damals bei lediglich acht Megabit pro Sekunde. Der Vorteil war klar: Um die Rohre für das Nahwärmenetz zu verlegen, mussten die Straßen sowieso aufgerissen werden. Dabei würde es sich anbieten, auch die Glasfaserkabel für die Internetverbindung zu verlegen.
Hinzu kam ein weiterer Nutzen: Ein Nahwärmenetz muss gesteuert werden, um die Anlage möglichst optimal auszulasten. Dafür braucht es Steuerungsmodule, die laufend mit der Hauptsteuerung kommunizieren. Es gibt die Möglichkeit, dafür Kupferleitungen zu verlegen. Diese hätten 40.000 Euro gekostet, wären allerdings für keine weiteren Zwecke nutzbar gewesen. An dieser Stelle kommen wieder Glasfaserleitungen ins Spiel. Diese kosten zwar 160.000 Euro, dafür können wir sie auch für das Internet verwenden.
Um möglichst alle Bürger zu beteiligen und genug Geld einzusammeln, haben wir im Januar 2015 die Nahwärme Pfofeld eG gegründet. Bei der Planung hatten wir Angebote von verschiedenen Unternehmen eingeholt. Da uns diese zu unstrukturiert und deshalb zu teuer erschienen, haben wir das Projekt letztlich selbst durchgeführt. Das hat – im Nachhinein betrachtet – sehr gut funktioniert. Wir konnten Geld sparen und das Netz genauso aufbauen, wie wir es haben wollten. Wer Zeit und Muße hat, sich einzulesen, dem empfehle ich, das Netz selbst zu planen.
Eines der größten Probleme im Prozess war es, einen geeigneten Internet-Provider zu finden. Für diese Aufgabe waren wir alleine zu klein. Deswegen haben wir uns mit den umliegenden Gemeinden zusammengetan und dadurch ein Gewicht von 750 potenziellen Kunden auf die Waage gebracht. Schließlich haben wir ein Telekommunikationsunternehmen gefunden, das die benötigte Technik installiert hat.
Die Bauarbeiten am Nahwärme- und Glasfasernetz in Pfofeld starteten 2016. Bereits wenige Monate später konnten wir die ersten Haushalte an die Versorgung anschließen. In anderen Gemeinden wurden zunächst nur Leerrohre verlegt, die wir an Internetanbieter verpachten können. Alles in allem ist der Prozess sehr gut gelaufen. Das schnelle Internet läuft seit mehr als zwei Jahren ohne nennenswerte Störungen. In Pfofeld hat die Genossenschaft 200 Kunden, im gesamten Netzbereich gibt es 1.300 Kunden.“
Alexander Finster (ÜZ-Mainfranken eG): Neubauten mit Kaltwärme heizen
„Mithilfe von oberflächennaher Geothermie können Wohngebäude sehr effizient und umweltfreundlich geheizt und gekühlt werden. Wir bezeichnen die Technik als Kaltwärme-Versorgung, da die Energie aus einer Wärmequelle mit einer Vorlauftemperatur im sogenannten Solekreislauf von wenigen Grad Celsius stammt. Für eine einzelne Familie ist es zu kostenintensiv, sich eigenständig die Quelle zu erschließen. Deswegen liefern wir, die ÜZ-Mainfranken eG, Bauherren ein Rundum-Sorglos-Paket.
Unser Konzept: In Neubaugebieten statten wir die einzelnen Parzellen nicht nur mit einem Anschluss für Strom, Wasser und Abwasser aus, sondern erschließen zusätzlich den Bodenschatz Erdwärme. Wer ein Grundstück kauft, erwirbt eine Erdsondenanlage für 15.000 Kilowattstunden pro Jahr Wärme gleich mit. Das reicht aus, um ein typisches Ein- beziehungsweise Zweifamilienhaus mit Wärme zu versorgen.
Um herauszufinden, ob das Grundstück für die Nutzung der oberflächennahen Geothermie geeignet ist, nutzen wir eine Probesonde. Bei den Bohrarbeiten begleitet uns ein Sachverständiger der Wasserwirtschaft. Anschließend können wir mithilfe eines sogenannten Thermal-Response-Tests sowie einer geothermischen Simulation sicherstellen, dass die geplanten Anlagen leistungsfähig sind. Die Nutzungsdauer sollte mindestens 50 Jahre betragen.
Die Hausbesitzer erhalten durch die Geothermie nicht nur eine umweltschonende Heizmöglichkeit. Ebenso können sie diese nutzen, um ihr Gebäude im Sommer zu kühlen und gleichzeitig die Wärmequelle für den nächsten Winter zu regenerieren. Ein positiver Zusatzeffekt ergibt sich, wenn sie eine PV-Anlage betreiben: Dann können sie den Eigenverbrauch an selbst genutztem Solarstrom mit der Wärmepumpe deutlich steigern und ihren Autarkie-Grad erhöhen.
Das Projekt lohnt sich auch für die Kommunen, die dank Geothermie ihre Klimabilanz verbessern. Bei der Kaltwärme entsteht – im Vergleich zu Öl- und Gas-Heizungen, kein CO2. Zusätzlich wird kein Feinstaub produziert, wie es etwa bei der Feuerung mit Biomasse der Fall ist.
Wir sind stolz, dass wir für das Projekt der Kaltwärme-Versorgung überregional Beachtung finden. Im November 2018 haben wir den Bayerischen Energiepreis durch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger erhalten. Dieser Erfolg und die positiven Rückmeldungen der Bauherren bestätigen uns, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.“
Ralf Hansen (Wärme-Strom-Gemeinschaft eG): Strom und Wärme gekoppelt erzeugen
„2015 hat die Weltgemeinschaft das Pariser Klimaschutzabkommen beschlossen und vereinbart, den weltweiten Temperaturanstieg auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Um das Ziel zu erreichen, setzt die Bundesregierung vor allem auf erneuerbare Energien. Dabei entsteht der Eindruck, es würde ausreichen, alle konventionellen Kraftwerke durch regenerative Stromquellen wie Wind- und Wasserkraft sowie Photovoltaik und Biomasse zu ersetzen. Das ist aber ein gravierender Denkfehler, da auch der Energiebedarf in anderen Energiebereichen im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtungsweise beachtet werden müssen.
An diese Stelle kommt die sogenannte Sektorenkopplung ins Spiel. Der Begriff umschreibt die Idee, alle Sektoren der Energiewirtschaft – also Strom, Wärme, Verkehr und Industrie – gemeinsam zu betrachten. Die Chance des Konzepts liegt darin, die Energieproduktion zu dezentralisieren und unabhängiger zu gestalten. Durch eine intelligente Vernetzung der Technologien sinkt der Energieverbrauch insgesamt, gleichzeitig steigt die Versorgungssicherheit.
Ein Praxisbeispiel für die Sektorenkopplung ist die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Die Wärme-Strom-Gemeinschaft eG (WSG eG) in Schwabach bietet dieses Modell für Ein- und Mehrfamilienhäuser an. Dabei werden anstelle der bisherigen Heizung ein Verbrennungsmotor und ein Heizkessel installiert. Der große Vorteil ist, dass die Abwärme, die bei der Verbrennung entsteht, in das angeschlossene Heizsystem eingespeist wird. Auf diese Weise werden Strom und Wärme gekoppelt erzeugt.
Derzeit arbeitet die WSG eG an einem Pilotprojekt in Schwabach, um die bestehende KWK-Anlage um einen Batteriespeicher zu ergänzen. Damit konnte die Eigennutzung des produzierten Stroms auf 98 Prozent erhöhen. Ein weiteres Projekt ist in Planung: Die WSG eG will bei einer bestehenden KWK-Anlage eine Ladesäule für E-Fahrzeuge integrieren. Das würde den Bogen zum Sektor Mobilität schließen.
Weitere Einsatzfelder im Bereich der Sektorenkopplung sind vor allem die als „Power-to-X“ bezeichneten Technologien. Das X steht etwa für Gas, Wärme oder Flüssigkeit. Ein Beispiel: Bei „Power-to-Gas" wird Brenngas aus erneuerbarem Strom mittels Elektrolyse erzeugt. Dieses Gas kann gespeichert und anschließend weiterverwendet werden, etwa um Strom und Wärme zu produzieren (Mehr Informationen zu dem Modell gibt es im Interview mit Professor Jürgen Karl).
Das Themenfeld Sektorenkopplung ist sehr spannend, da es einerseits viele Pilotprojekte gibt und andererseits einige Projekte aktuell in Serienfertigung gehen. Für Energiegenossenschaften gibt es optimale Chancen, in diesem Bereich tätig zu werden. Diese können sicherstellen, dass möglichst viele Bürger hinter diesen Projekten stehen. Die größte Herausforderung ist dabei sicherlich, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln.“
Tag der bayerischen Energiegenossenschaften
Save the date: Der nächste Tag der bayerischen Energiegenossenschaften findet am 29./30. April 2020 im Tagungszentrum der ABG in Beilngries statt. Der bayerische Energieminister und stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger wird einen Impulsvortrag halten. Das Netzwerktreffen bietet die Möglichkeit, sich über Erfahrungen auszutauschen und neue Anregungen zu erhalten. Dazu gibt es unter anderem Fachvorträge, Workshops und Diskussionsrunden. Details zum Programm und zur Anmeldung werden voraussichtlich Anfang 2020 veröffentlicht. Kontakt: Daniel Caspari, E-Mail: dcaspari[at]gv-bayern.de.