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Herr Professor Karl, viele bayerische Energiegenossenschaften erzeugen unter anderem Strom aus Sonnen- oder Windkraft. Damit tragen sie zu einer dezentralen und umweltfreundlichen Energieversorgung bei. Allerdings schwankt der Ertrag je nach Wetter und Jahreszeit erheblich. Vor welche Herausforderungen stellt das die Energiewirtschaft?

Jürgen Karl: Natürlich ist es nicht ganz einfach, Strom bedarfsgerecht anzubieten, wenn er nicht bedarfsgerecht erzeugt wird. Prinzipiell passen Sonnen- und Windstrom jedoch ganz gut zum Bedarf. Mittags scheint die Sonne besonders intensiv. Zu dieser Zeit wird traditionell sehr viel Strom benötigt. Wind weht besonders viel im Herbst und im Winter, wenn der Stromverbrauch über das Jahr gesehen am höchsten ist. Heute werden die Versorgungslücken bei Strom aus Sonne und Wind noch mit konventionellen Kraftwerken geschlossen. Die Zukunft wird sein, überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien zu speichern und bei Versorgungsengpässen wieder ins Netz einzuspeisen. Dafür braucht es jedoch entsprechende Transportkapazitäten – und Stromspeicher mit ausreichend Kapazitäten.

Wie stellt sich die Situation heute dar?

Karl: Das Speichern von Überschussstrom klappt teilweise schon recht gut. Um Sonnenstrom in der Nacht nutzen zu können, sind Batterien ideal, da die Energie nach kurzer Zeit wieder abgegeben wird. Wegen der kurzen Zyklen rechnet sich das zumindest für Endverbraucher schon heute. Schwieriger wird es, die Energieversorgung bei sogenannten Dunkelflauten sicherzustellen. So nennt man mehrtägige Phasen ohne Wind und Sonnenschein, etwa bei trübem Winterwetter. Um die geringe Stromproduktion aus erneuerbaren Energien in dieser Zeit auszugleichen, müssten größere Energiemengen gespeichert werden. Das funktioniert nur mit sogenannten chemischen Speichern. Technologien und Ideen gibt es dafür unglaublich viele. Power-to-Gas ist sicher die bekannteste. Durch Elektrolyse entsteht Wasserstoff, der gespeichert werden kann oder in einem zweiten Schritt mit Kohlendioxid zu Methan synthetisiert wird. Das ist nichts anderes als synthetisches Erdgas. Allerdings ist das Verfahren ineffizient und die aktuellen Rahmenbedingungen an den Strommärkten lassen es derzeit nicht zu, dass man damit Geld verdient. Heute wird auch viel über Power-to-Liquid diskutiert. Darunter versteht man die Umwandlung von Strom in flüssige Treibstoffe. Gleiches gilt für Power-to-Heat, also die Nutzung von Strom zum Heizen. Fachleute sprechen hier von Sektorenkopplung. Damit ist in erster Linie die Vernetzung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität gemeint, um Synergieeffekte zu schaffen.

„Speicher sind für die Versorgungssicherheit bei einer weitgehend Kohlendioxid-neutralen Energieversorgung die Schlüsseltechnologie schlechthin.“

Welche Rolle spielen Energiespeicher und die Sektorenkopplung für die Energieversorgung der Zukunft?

Karl: Speicher sind für die Versorgungssicherheit bei einer weitgehend Kohlendioxid-neutralen Energieversorgung die Schlüsseltechnologie schlechthin. Wir brauchen sie nicht nur, um Wind und Sonnenstrom wetterunabhängig bereitzustellen, sondern auch, um Lastspitzen abzusichern. Und wir brauchen sie, um erneuerbare Energien in den Mobilitätssektor zu bringen. Die Sektorenkopplung ist dabei eigentlich ein alter Hut. Nichts anderes ist die Kraft-Wärme-Kopplung, also die Verwendung der Abwärme bei der Stromproduktion etwa zum Heizen. Auch die Elektromobilität und elektrische Speicherheizungen gibt es schon lange. Neu ist das Bestreben, nun auch chemische Speicher für die Sektorenkopplung zu nutzen.

Kennen Sie Beispiele, wo diese neuartigen Speicherlösungen bereits kommerziell eingesetzt werden?

Karl: Vielfach kommerziell eingesetzt wird heute schon Power-to-Heat, egal ob in riesigem Maßstab, wie beispielsweise beim Warmwasserspeicher des fränkischen Energieversorgers N-Ergie für das Fernwärmenetz in Nürnberg, oder in ganz kleinem Maßstab. Wenn Sie heute Ihr Zuhause mit Sonnenstrom vom Dach für 10 Cent pro Kilowattstunde elektrisch heizen können, müssen Sie sich fragen, ob sich der Aufwand für eine teure Heizungsanlage überhaupt noch lohnt. Power-to-Gas-Anlagen oder Power-to-Liquid-Anlagen lassen sich bei uns aus vielerlei Gründen noch nicht kommerziell betreiben. Diese Anlagen müssten viele Tausend Stunden mit sehr günstigem Strom betrieben oder entsprechend gefördert werden. Allerdings werden Sie aktuell in Deutschland niemanden finden, der bereit ist, den Systemnutzen einer Power-to-Gas-Anlage zur Absicherung der Dunkelflaute zu bezahlen.

„Wenn Batteriespeicher noch günstiger werden, wird es sich für Energiegenossenschaften lohnen, damit schwankende Großhandelspreise auszugleichen.“

Wann bietet sich der Einsatz von Speichern für Energiegenossenschaften an?

Karl: Geschäftsmodelle für Power-to-Gas oder Power-to-Liquid fehlen noch. Auf dem Regelenergiemarkt tätige Energiegenossenschaften können überschüssigen Strom in Wärme umwandeln oder in Batterien speichern. Wenn Batteriespeicher noch etwas günstiger werden, wird es sich für Energiegenossenschaften sicher auch bald lohnen, mit dieser Technologie schwankende Großhandelspreise auszugleichen.


Wie müssen die Rahmenbedingungen gestaltet werden, damit sich der Einsatz dieser Technologien für Energiegenossenschaften lohnt?

Karl: Richtig wäre zweifelsohne ein Erneuerbare-Energien-Speicher-Gesetz nach dem Vorbild des EEG in seiner ursprünglichen Fassung. Damit ließe sich eine Anschubfinanzierung sicherstellen, bis die neuen Speichertechnologien wettbewerbsfähig sind. Bei Wind- und Sonnenstrom hat das auch sehr gut funktioniert. Das würde nicht nur den Energiegenossenschaften nützen, sondern der gesamten Energiewirtschaft und vor allem den Stromkunden. Sinnvoll wäre eine technologieunabhängige und diskriminierungsfreie Vergütung für jede gespeicherte Kilowattstunde mit Tarifen, die sich an der möglichen Speicherdauer orientieren. Aber das ist in Berlin ein sehr heißes Eisen, das niemand anfassen will.

Sie haben den mangelnden Wirkungsgrad vieler Speichertechniken bereits angesprochen. Welche Ideen verfolgt die Forschung, um auf diesem Gebiet voranzukommen?

Karl: Schlecht sind die Wirkungsgrade vor allem für chemische Speicher. Batterien speichern Strom dagegen recht effizient. Dennoch brauchen wir auch chemische Speicher, um sehr große Strommengen über längere Zeit zu speichern – vor allem dann, wenn Batterien dafür zu groß oder zu teuer wären. Natürlich wird überall daran gearbeitet, den Wirkungsgrad der Elektrolyse sowie der Synthese von Wasserstoff zu Gas oder Treibstoff zu steigern. Es gibt aber auch einfachere Konzepte, um dieses Problem zu umgehen. Zum einen bietet es sich an, Strom dort in andere Energieformen umzuwandeln, wo der Wirkungsgrad wegen günstiger Kosten keine so große Rolle spielt. Warum erzeugen wir grünes Gas nicht in Ländern, wo es ganzjährig einen Überschuss an Strom aus Wasser, Wind, Geothermie oder Photovoltaik gibt? In Kanada, Island oder Brasilien ginge das zum Beispiel. Zum anderen werden chemische Speicher wirtschaftlicher, wenn zusätzlich die bei der Umwandlung des Stroms entstehende Prozesswärme verkauft werden kann, wie das bei der Kraft-Wärme-Kopplung der Fall ist. Stoff-Wärme-Kopplung oder Polygeneration nennen wir das. Es gilt, dafür günstige Standorte zu finden. Ich bin mir sicher, dass es mittelfristig der bessere Ansatz ist, grünes Gas aus Brasilien oder Kanada zu importieren, als weiterhin mehrheitlich auf Gas aus Russland zu setzen.

„Die Versorgungssicherheit leidet in Europa nicht wegen der erneuerbaren Energien, sondern wegen der hoffnungslos veralteten Kraftwerke.“

Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) schätzt, dass die Welt im Jahr 2050 ihren Strombedarf zu 86 Prozent aus erneuerbaren Energien decken kann. Halten Sie das für realistisch, ohne dass die Versorgungssicherheit leidet?

Karl: Natürlich ist das realistisch. Preislich sind Photovoltaik und Windkraft bei der Stromerzeugung schon heute jeder konventionellen Technologie überlegen. Selbst im Eldorado der nordamerikanischen Ölsand- und Erdgaswirtschaft, in Alberta, werden heute schon mehr Windturbinen als Gasturbinen errichtet. Und die Versorgungssicherheit leidet in Europa nicht wegen der erneuerbaren Energien, sondern wegen der hoffnungslos veralteten Kraftwerke. Das Durchschnittsalter der Braunkohlekraftwerke, die nach dem Kompromiss der Kohlekommission bis 2022 vom Netz gehen werden, wird dann 57 Jahre betragen, das der Steinkohlekraftwerke 50 Jahre. Wenn wir uns die Altersstruktur der Kraftwerke im benachbarten Ausland ansehen, sieht es noch viel schlimmer aus. Zwei Drittel der französischen Kernkraftwerke werden in den nächsten zehn Jahren ihre Altersgrenze überschreiten. Die Stromversorgung ist in den nächsten Jahren also alles andere als sicher – aber nicht wegen der erneuerbaren Energien, sondern weil in den vergangenen Jahrzehnten fast keine konventionellen Kraftwerke mehr gebaut wurden und weil die Bundesregierung mit den EEG-Novellen des Jahres 2012 die Energiewende in Deutschland ausgebremst hat. Dass Strom in Europa nicht schon heute knapp wird, verdanken wir der deutschen Energiewende und den massiven Investitionen in die erneuerbaren Energien in den vergangenen zehn Jahren.
 

Herr Professor Karl, vielen Dank für das Gespräch!
 

Professor Jürgen Karl ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Energieverfahrenstechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er forscht zu neuen Technologien für eine Kohlendioxid-arme Energieversorgung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Strategien zur effizienten Nutzung erneuerbarer Energien, die Herstellung von synthetischem Erdgas und die Wirkungsweise von Brennstoffzellen. Jürgen Karl ist zudem Autor des Buchs „Klimawende. Eine Energiebilanz für morgen“,  das als e-Book oder als Taschenbuch bei verschiedenen Anbietern erhältlich ist.

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