Umsatzeinbußen: Unternehmen im Freistaat haben zunehmend Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden. Welche Folgen hat das?
Anzeige
Anzeige
Herr Burstedde, viele Unternehmen in Deutschland und Bayern spüren den Fachkräftemangel – auch Genossenschaften. Wie wirkt sich das auf die Personalsuche aus?
Alexander Burstedde: Bayern ist nach Baden-Württemberg am zweitstärksten und damit intensiv vom Fachkräftemangel betroffen. Mittelgroße Unternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitern haben die größten Schwierigkeiten, Personal zu finden. Sie konkurrieren oft mit Großunternehmen um die gleichen Bewerber. Kleine Unternehmen finden ihr Personal häufig über persönliche Kontakte, aber auch ihnen fällt die Fachkräftesicherung zunehmend schwer. Insgesamt hat sich der Fachkräftemangel für kleine und mittlere Unternehmen bereits zum größten Geschäftshemmnis entwickelt.
Was können Unternehmen und Genossenschaften tun, um einen personellen Engpass im Betrieb zu vermeiden?
Burstedde: Kleine und mittlere Unternehmen und auch Genossenschaften sollten ihre Stellen mit mehr Vorlaufzeit ausschreiben. Dazu ist eine vorausschauende Personalbedarfsplanung notwendig. Es dauert inzwischen durchschnittlich drei Monate, eine Stelle zu besetzen – in Engpassberufen sogar deutlich länger. Längere Vorlaufzeiten können auch den Kreis der Bewerber vergrößern. Arbeitsuchende aus anderen Regionen werden sich nur bewerben, wenn sie bis zum gewünschten Einstellungstermin alle notwendigen Vorkehrungen treffen können: beispielsweise eine Wohnung suchen oder eine Kinderbetreuung organisieren. Durch aktive Unterstützung beim Ortswechsel kann der Arbeitgeber die Besetzungszeit verkürzen und die Mitarbeiterbindung stärken. Zudem sollten die Unternehmen ihre eigene Arbeitgebermarke stärker entwickeln und sich in ihrer Region als attraktiver Arbeitgeber positionieren. Dabei können sie ihre Stärken etwa im Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder flexible Arbeitszeitgestaltung betonen.
„Viele Stellen lassen sich durch frühzeitige Weiterbildung und Karriereplanung von Mitarbeitern besetzen.“
Berufsbilder verändern sich. Zum Beispiel benötigen die Volksbanken und Raiffeisenbanken immer mehr Spezialisten. Wie lassen sich solche Entwicklungen in der Personalplanung abbilden?
Burstedde: Ein zentraler Aspekt der Personalplanung sollte der laufende Abgleich der benötigten und vorhandenen Kompetenzen in der Belegschaft sein. Viele Stellen lassen sich durch frühzeitige Weiterbildung und Karriereplanung von Mitarbeitern besetzen. So wäre es zum Beispiel denkbar, dass Mitarbeiter, die intensiv mit Excel arbeiten, zum Datenbank-Administrator weitergebildet werden. So könnten sie einen Datenbank-Entwickler entlasten, die am Arbeitsmarkt nur schwer zu bekommen sind. Für solche Veränderungen müssen häufig auch Arbeitsabläufe im Unternehmen angepasst werden.
„Eine strategische Personalplanung ist das beste Mittel gegen den Fachkräftemangel.“
Wie wichtig ist eine strategische Personalplanung für den Unternehmenserfolg?
Burstedde: In den meisten Berufen und Regionen wird der Fachkräftemangel sich weiter ausbreiten, schon allein aus demografischen Gründen. Die perfekten Bewerber wird es immer seltener geben. Deswegen sollten Unternehmen auch alternative Bewerber einstellen und bei Bedarf nachqualifizieren sowie zudem die vorhandenen Mitarbeiter stetig weiterbilden – auch für neue Aufgaben. Eine strategische Personalplanung, in Verbindung mit firmeneigener Aus- und Weiterbildung, ist das beste Mittel gegen den Fachkräftemangel. Sie ist für den künftigen Unternehmenserfolg ein zentraler Aspekt.
Auf welchen Wegen erreichen Unternehmen heute am besten geeignete Fachkräfte für offene Stellen?
Burstedde: Der Suchweg muss zum gewünschten Mitarbeiter passen. Junge Menschen nutzen soziale Medien häufiger und können dort aktiv angesprochen werden. Im Personalwesen läuft die vorausschauende Suche und Ansprache potenzieller Mitarbeiter unter „Active Sourcing“. Doch nicht jede Fachkraft ist über diese Kanäle zu erreichen. Bei manchen Zielgruppen ist das Inserat in der Zeitung, einer Online-Stellenbörse oder bei der Arbeitsagentur vielversprechender. Sehr spezialisierte Mitarbeiter sind eher über Fachmedien zu erreichen, egal ob nun gedruckt oder digital. Man sollte seine Fachkräfte demnach dort suchen, wo man sie am besten erreicht. Das spart Rekrutierungskosten. Für die Zielgruppenanalyse und die Auswahl des geeigneten Suchwegs sollte ausreichend Zeit eingeplant werden.
Praxistipps für die Personalplanung
Weil es immer schwieriger wird, geeignete Fachkräfte auf dem freien Arbeitsmarkt zu finden, sollten kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Genossenschaften die Personalplanung deutlich hochrangiger ansiedeln als bisher und über das Tagesgeschäft hinaus strategischer ausrichten. Bei der Umsetzung hilft beispielsweise das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung mit Tipps und Praxisbeispielen. Die Webseite ist eine kostenlose Informationsplattform für KMU.
Unternehmen im ländlichen Raum haben es noch einmal schwerer, Fachkräfte zu finden. Wie können diese Betriebe ihre Suche nach qualifiziertem Personal optimieren?
Burstedde: In den Stellenanzeigen sollten auch die Unternehmensregion und ihre Vorzüge beworben werden. Weiterhin ist es wichtig, den vorhandenen Nachwuchs frühzeitig über seine Chancen in der Region zu informieren und zu binden, beispielsweise über Schulkooperationen und Orientierungspraktika. Auch können Fachkräfte in anderen Regionen aktiver umworben werden. Hierzu können sich auch mehrere Unternehmen mit Unterstützung der Kommune, regionaler Verbände oder der Wirtschaftsförderung zusammenschließen, für die eine überregionale Präsenz alleine nicht herstellbar ist.
Wird die betriebliche Weiterbildung von Mitarbeitern in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen?
Burstedde: Die Personalsuche am Arbeitsmarkt wird aufgrund der demografischen Entwicklung noch schwieriger werden. Demnach kommt der betrieblichen Aus- und Weiterbildung neben der Zuwanderung die Schlüsselrolle zur Überwindung des Fachkräftemangels zu. Die perfekten Bewerber werden weniger und die Unternehmen müssen sich die gewünschten Fachkräfte zunehmend selber qualifizieren. Dazu sind höhere Investitionen in Aus- und Weiterbildung nötig. Förderprogramme können die Qualifizierungskosten deutlich mindern.
„Die Einstellung von Quereinsteigern ist in vielen Bereichen sinnvoll.“
Sollten Unternehmen bei der Suche nach Fachpersonal mehr auf Quereinsteiger setzen?
Burstedde: Die Einstellung von Quereinsteigern ist in vielen Bereichen sinnvoll, beispielsweise in den IT-Berufen ist das sogar weit verbreitet. In der Informatik sind die Grenzen zwischen den einzelnen Berufen fließend. Quereinsteiger haben häufig relevante Vorkenntnisse und sind es gewohnt, sich neue Kenntnisse eigenständig anzueignen. Diese Chance sollten Unternehmen mehr Bewerbern geben und sie dabei unterstützen. Auch bei anderen Berufen sollte etwa im Rahmen von Praktika geprüft werden, inwiefern eine Nachqualifizierung möglich ist.
Herr Burstedde, vielen Dank für das Interview!
Alexander Burstedde ist Referent für Berufliche Bildung und Fachkräfte am Institut der deutschen Wirtschaft.