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Die Mitglieder der Klinik-Kompetenz-Bayern eG (KKB) sind frustriert. Im vergangenen Jahr haben die 66 Krankenhäuser und Klinikverbünde durchweg ein ausgeglichenes Ergebnis verfehlt. Der Jahresfehlbetrag beläuft sich insgesamt auf rund 350 Millionen Euro. Viele der Kliniken verlangen deshalb Schadensersatz vom Bundesgesundheitsministerium. In einem Schreiben an Minister Karl Lauterbach haben sie die für ihr jeweiliges Haus errechneten Kosten beziffert und unter Angabe der Bankverbindung ein Zahlungsziel gesetzt. Das Krankenhaus Aschaffenburg-Alzenau fordert beispielsweise elf Millionen Euro, die Kliniken Südostbayern stellen knapp 30 Millionen Euro in Rechnung.

Bisher habe sich Lauterbach nicht gerührt, erzählt KKB-Geschäftsführer Benjamin Stollreiter. Falls es kein Geld gibt, ist die Genossenschaft fest entschlossen, den Konflikt weiter eskalieren zu lassen. „Im Falle einer negativen Antwort aus Berlin werden wir unseren Mitgliedern nahelegen, ein juristisches Klageverfahren gegen die Bundesregierung zu prüfen, um den Schadensersatz zur Not auch gerichtlich einzufordern“, betont Stollreiter. Schließlich werde sich die Situation nicht von selbst verbessern. Das zentrale Problem: Während Leistungen und Preise, die Krankenhäuser abrechnen dürfen, größtenteils vorgegeben sind, haben sich die Kosten aufgrund der Inflation und der Energiepreiskrise deutlich erhöht. Für dieses Jahr rechnen die Mitglieder der Genossenschaft zusammen sogar mit einem Defizit von über 400 Millionen Euro.

Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung, Einkauf

Viele Lokalzeitungen und bayernweite Medien wie der „BR“ haben das Thema aufgegriffen und ausführlich berichtet. Dadurch gibt es eine große öffentliche Wahrnehmung für die Situation der Kliniken. Die Pressearbeit ist ein Vorteil für die Mitglieder der KKB. Noch wichtiger ist die gemeinsame Vernetzung. Schließlich ist das Hauptanliegen der 2011 gegründeten Genossenschaft der Erfahrungs- und Lösungsaustausch zwischen den Führungskräften der Kliniken. Regelmäßig treffen sich etwa die Einkaufsleiter, Personalverantwortlichen, Pflegedienstleiter, Geschäftsführer oder Chefärzte. „Der Dialog ist sehr wichtig, da die Kliniken meist die gleichen Herausforderungen haben“, betont Stollreiter. Die Mitglieder müssen sich nicht allein mit einem Thema beschäftigen, sondern können gemeinsam Lösungen finden und voneinander lernen. Auch die politische Interessenvertretung lässt sich in einem Verbund besser darstellen. Eine weitere zentrale Leistung der KKB ist der gemeinsame Einkauf.

Ein Überblick über die Genossenschaften im Gesundheitsbereich

Die KKB ist eine von rund 20 bayerischen Genossenschaften, die im Gesundheitssystem tätig sind. Diese lassen sich grob in sechs Kategorien einteilen, manchmal sind die Grenzen fließend:

Einkauf: Genossenschaften wie die P.E.G. Einkaufs- und Betriebsgenossenschaft eG bündeln den Einkauf für die Mitglieder. Dadurch können sie Preisvorteile für ihre Mitglieder erzielen. Die meisten Einkaufsgenossenschaften haben in den vergangenen Jahren ihr Dienstleistungsportfolio erheblich erweitert. Beispielsweise bieten sie Zusatzleistungen in Feldern wie Beratung oder Bildung.

Handel: Mehrmals täglich beliefert die 1924 gegründete Sanacorp eG Pharmazeutische Großhandlung rund 8.000 Apotheken im gesamten Bundesgebiet mit Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten. Die Genossenschaft ist mittlerweile viel mehr als ein reiner Händler. Beispielsweise unterstützt sie beim Marketing und stellt digitale Anwendungen zur Verfügung. Ganz nach dem genossenschaftlichen Prinzip „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele“, können die Apotheken auf diese Weise ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern.

Abrechnung: Schwerpunkt von Genossenschaften wie der ABZ Abrechnungs- und Beratungsgesellschaft für Zahnärzte eG ist – nomen est omen – die gemeinsame Abrechnung. Durch die Auslagerung auf die Genossenschaft sparen sich die Zahnärzte Zeit und Aufwand. Den gewonnenen Freiraum können sie in Fortbildungen investieren oder sich mehr Zeit für die Patienten nehmen. Bei der ABZ werden zudem Beratungsleistungen für die Praxen immer wichtiger.

Vernetzung: Genossenschaften wie die bereits erwähnte Klinik-Kompetenz-Bayern eG oder die Kommunale Altenhilfe Bayern eG haben sich dem Wissenstransfer verschrieben. Sie vernetzen ihre Mitglieder, damit diese jeweils vom Knowhow der anderen profitieren. Ein großer Vorteil der Zusammenschlüsse ist, dass die Mitglieder weiterhin eigenständig bleiben können.

Ärztenetze: Genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Haus- und Fachärzten verbessern die Zusammenarbeit untereinander und definieren einheitliche Qualitätsstandards. Ziel ist es, den Patienten ein hohes Qualitätsniveau zu bieten. Beispiele für Ärztenetze sind die Qualität und Effizienz eG aus Nürnberg oder die Ärztegenossenschaft Mittelfranken eG aus Seukendorf (Landkreis Fürth).

Palliativversorgung: Genossenschaften wie die SAPV Dachau eG, die SAPV Südfranken eG oder die Ambulante Palliativversorgung Nordoberpfalz eG sichern in ihrem Geschäftsgebiet die spezialisierte ambulante Palliativversorgung schwerstkranker und sterbender Menschen. Ein Team aus spezialisierten Pflegekräften sowie Ärztinnen und Ärzten sorgt dafür, dass diese Menschen trotz eines komplexen Behandlungsbedarfs ihre letzten Tage und Wochen in der häuslichen oder familiären Umgebung verbringen können.

Bei den nötigen Reformen hakt es

Die meisten bayerischen Genossenschaften im Gesundheitswesen haben nicht direkt mit Patientinnen und Patienten zu tun. Stattdessen agieren sie im Hintergrund und sorgen dafür, dass ihre Mitglieder möglichst effizient arbeiten können. Das ist gerade in der aktuellen Zeit sehr wichtig, in der beispielsweise die Kliniken – wie oben beschrieben – vor großen Herausforderungen stehen. Auch die Haus- und Fachärzte demonstrieren regelmäßig für bessere finanzielle Bedingungen. Und die Zahl der Apotheken ist seit Jahren rückläufig. Die politischen Entscheidungsträger in Berlin haben zwar erkannt, dass das Gesundheitssystem Reformen braucht. Doch bei der Umsetzung hakt es gewaltig. Über die Knackpunkte berichten Jens Leveringhaus von der P.E.G. eG und Andreas Lipécz von der Qualität und Effizienz eG im Beitrag „Belastungsgrenze überschritten“.

Nur wenige Neugründungen

Ein zentrales Problem des deutschen Gesundheitswesens ist zudem, dass viele Strukturen zementiert sind. Neuerungen lassen sich nur schwer einführen. Insofern ist auch das Gründungsgeschehen von Genossenschaften in dem Sektor überschaubar. Immerhin: In den vergangenen Jahren haben sich mehrere Genossenschaften im Bereich der Ambulanten Palliativversorgung gegründet. Ein weiteres neues Mitglied in der bayerischen Genossenschaftsfamilie ist die Klinik IT eG. Ihr Ziel ist es, gemeinschaftlich für ihre Mitglieder IT-Projekte umzusetzen, die für einzelne Kliniken zu groß wären. So treibt sie – ganz am Puls der Zeit – die Digitalisierung der Mitglieder voran. Wie weit die Genossenschaft bei der Entwicklung ist und welche weiteren Ziele sie verfolgt, darüber dreht sich der Artikel „Ein Patientenportal für über 100 Kliniken – von einer Genossenschaft“.

Einer von jenen, die davon überzeugt sind, dass Genossenschaften im Gesundheitsbereich vorteilhaft sind, ist Alexander Schraml. Der langjährige Vorstand des Kommunalunternehmens des Landkreises Würzburg war einer der Initiatoren der KKB. Aktuell ist Schraml im Vorstand der Kommunale Altenhilfe Bayern eG tätig. Die Genossenschaft vernetzt die kommunalen, bayerischen Pflegeeinrichtungen. Im Beitrag „Der Pflegenotstand spitzt sich zu“ schildert Schraml, vor welchen Herausforderungen die Einrichtungen stehen und wie die Genossenschaft dabei hilft, eine bestmögliche Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten.

Potential ist vorhanden

Schraml kann sich vorstellen, eine weitere Genossenschaft aus der Taufe zu heben. Seine Idee ist eine eG, die im Bereich des Ausfallmanagements tätig ist. Diese könnte die Alten- und Pflegeheime bei kurz- und mittelfristigen Personalengpässen unterstützen. Auch Benjamin Stollreiter von der KKB ist sich sicher, dass weitere Genossenschaften Sinn stiften können: „Es gibt definitiv Potential, wie zuletzt die Gründung der Klinik IT eG gezeigt hat, die wir gemeinsam mit der Bayerischen Krankenhausgesellschaft initiiert haben.“ Und so bekommt die bunte Gruppe der bayerischen Genossenschaften im Gesundheitswesen bald vielleicht weiteren Zuwachs. Denn obwohl sie sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle verfolgen, eint sie doch ein Anliegen: Die Mitglieder zu unterstützen, damit diese sich bestmöglich um das Wohl ihrer Patientinnen und Patienten kümmern können.

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