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Herr Pointner, die Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land hat vor 50 Jahren zum ersten Mal Bio-Milch erfasst und verarbeitet. Was waren damals die Gründe für diese Entscheidung?

Bernhard Pointner: Gemeinsam mit fünf leidenschaftlichen Demeter-Landwirten wagte die Chiemgau Molkerei in Truchtlaching 1973 den Schritt, Bio-Milch zu erfassen und zu verarbeiten. In einer Zeit also, in der Bio weit weg vom Mainstream war. In der es keine Hashtags „bio“ gab und auch kein 30-Prozent-Bio-Anbau-Ziel der Politik. 1976 fusionierte die Chiemgau Molkerei mit der Pidinger Molkerei zu den Milchwerken Berchtesgadener Land Chiemgau eG. 1983 stellte mein Vater Helmut Pointner für unsere Genossenschaft langfristig die Weichen: Bio und Nachhaltigkeit! Bio wurde ein wichtiges Standbein der Molkereigenossenschaft und dementsprechend wurden 1986 die separate Erfassung und Verarbeitung von Bio-Milch beim Neubau der Molkerei am Hockerfeld in Piding berücksichtigt.

„Mutig neue Wege gehen und gesellschaftliche Trends frühzeitig erkennen – diese Grundhaltung führte schon häufig zu wegweisenden Entscheidungen in unserer Molkereigenossenschaft.“

Wie bewerten Sie die damalige Entscheidung aus heutiger Sicht?

Pointner: Mutig neue Wege gehen und gesellschaftliche Trends frühzeitig erkennen, bevor sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind – diese Grundhaltung führte schon häufig zu wegweisenden Entscheidungen in unserer Molkereigenossenschaft. Aus anfangs fünf sind heute 600 Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern geworden, die zwischen Watzmann und Zugspitze ihre Höfe anerkannt ökologisch bewirtschaften. Die guten Erfahrungen mit der separaten Erfassung und Vermarktung der Bio-Milch führte 1988 auch zu der Idee, die konventionelle Milch von Bergbauernhöfen in einer eigenen Produktlinie zu vermarkten.

Wie hat sich der Umsatz mit Bio-Milch-Produkten der Molkerei Berchtesgadener Land seitdem entwickelt?

Pointner: Anfangs wurden täglich 200 Liter Bio-Milch verarbeitet. Bis Mitte der 90er Jahre wurde Milch von Bio-Höfen erfasst, die biologisch-dynamisch von Demeter-Betrieben erzeugt wurde. Aufgrund der steigenden Nachfrage entschied die Molkerei 1998, die Milch von einem weiteren Anbauverband – Naturland – zu erfassen. Von unseren 1.800 Mitgliedern wirtschaften heute 600 anerkannt ökologisch, 100 nach Demeter-Richtlinien, 500 nach den Naturland-Richtlinien. Sie liefern 100 Millionen Kilogramm Bio-Milch im Jahr an. Das ist ein Drittel unserer insgesamt erfassten Milch. Anfangs wurden die Bio-Produkte ausschließlich im Fachhandel vermarktet. In den vergangenen zehn Jahren haben wir schrittweise die Distribution für das Bio-Sortiment in den Lebensmitteleinzelhandel ausgeweitet.

„Bio war und ist ein laufender Ideengeber für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Landwirtschaft in der Alpenregion.“

Welche Bedeutung hat Bio für die Geschäftspolitik und das Selbstverständnis der Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land?

Pointner: Für unser Denken in Generationen und unser Handeln im Einklang mit Mensch, Tier und Natur ist die Molkerei Berchtesgadener Land 2019 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet worden. Bio war und ist auf diesem Weg ein wichtiges Standbein und ein laufender Ideengeber für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Landwirtschaft in der Alpenregion.


Nachdem die Coronakrise den Bio-Bauern und Bio-Lebensmitteln noch hohe Zuwachsraten bescherte, herrscht in der Branche nun Katerstimmung. Was ist passiert?

Pointner: Die Bio-Landwirte mussten zuschauen, wie die Erzeugerpreise für konventionelle Milch extrem gestiegen sind und der Abstand zur Bio-Milch kleiner wurde. Auslöser waren ein geringeres Milchangebot aufgrund einer Dürre in Europa und weil China so viele Milchprodukte wie noch nie importiert hat. Die Erzeugerpreise für Bio-Milch stiegen aber in gleichem Maße wie für konventionelle Milch, die Erzeuger konnten diese Mehrkosten aber wegen fehlender Akzeptanz nicht an die Verbraucher weitergeben. Inflation und Krieg haben die Konsumenten verunsichert und sich auf ihr Einkaufsverhalten ausgewirkt. Sparen wurde wieder zur Tugend, vom Bio-Markt wechselten viele Verbraucher zum Lebensmitteleinzelhandel oder gleich zum Discounter. Dies führte zu einem zweistelligen Absatzrückgang bei Bio-Produkten. Die Molkerei Berchtesgadener Land hat sich an dieser Preisrallye – deren katastrophale Auswirkung wir aktuell erleben – nur bedingt beteiligt. Wir haben mit moderaten Preiserhöhungen und viel Kommunikation zu Handel und Endverbrauchern weder Handelskunden noch Endverbraucher verloren. Als Genossenschaft denken wir langfristig, unsere Landwirte brauchen langfristig hohe Milchpreise und Planungssicherheit – egal ob Bio- oder konventionelle Betriebe.

Was bedeuten die aktuellen Marktverwerfungen für die Bio-Branche?

Pointner: Mitte Februar war auf der Biofach in Nürnberg, der weltgrößten Naturkostfachmesse, noch eine gedrückte Stimmung festzustellen, verursacht durch die Absatz- und Umsatzrückgänge in der Branche. Manche Stamm-Aussteller waren erst gar nicht gekommen. Bei den Konsumentinnen und Konsumenten war die gefühlte Inflation durch die Ungewissheit über die nächste Heiz- und Stromkostenabrechnung spürbar höher als die tatsächliche. Die Katerstimmung löst sich aber langsam schon wieder auf. Die Inflation sinkt, ebenso die Tankrechnung, das Kindergeld wurde erhöht, der Frühling steht vor der Tür. All das wirkt sich positiv auf das Konsumklima aus und ich rechne damit, dass die Kunden auch wieder vermehrt Premium und Bio kaufen.


Wie wirken sich die aktuellen Marktverwerfungen auf die Molkerei Berchtesgadener Land und ihre Mitglieder aus?

Pointner: Auch bei uns ist der Bio-Umsatz gesunken. Dementsprechend sind unsere Bio-Erzeugerpreise nur moderat gestiegen und der Abstand zwischen Bio und konventionell ist deutlich kleiner geworden. Neue Bio-Lieferanten werden aktuell nicht aufgenommen. Aber wir feiern heuer unser 50. Bio-Jubiläum. Das vergangene Jahr haben wir dazu genutzt, für den runden Geburtstag ein Kommunikationspaket für unsere Bio-Handelskunden sowie die Endverbraucher zu schnüren. Genau zur richtigen Zeit. Bei unserem großen Jubiläumsgewinnspiel gibt es attraktive Preise zu gewinnen. Als Hauptpreis haben wir einen VW-Käfer von 1973 mit E-Motor ausgestattet und im Retrolook gestaltet. Die Kampagne ist im März gestartet. Das Gewinnspiel kommt nach der Auswertung der ersten Wochen sehr gut bei den Kunden an. Es wird in der Fläche mit großen Promotionsaufbauten begleitet, die auf das Gewinnspiel hinweisen.

Was muss geschehen, damit der Markt für Bio-Lebensmittel und die Bio-Branche wieder auf die Füße kommen?

Pointner: Themen wie Klimaerwärmung, Tierwohl oder auch der Erhalt der bäuerlichen Familienbetriebe rücken bereits wieder in den Fokus der Verbraucher. Das spräche für eine rasche Belebung des Bio-Markts. Solange aber von unserer Regierung wöchentlich neue Spinnereien für Verunsicherung sorgen, wird das die Konsumlaune immer wieder verhageln. Das können wir als kleine Molkerei aber leider nicht beeinflussen.

„Nach dem Auf und Ab der vergangenen drei Jahre sind Prognosen schwieriger denn je. Aber der Klimawandel ist nicht vorbei und die Bio-Landwirtschaft ist eine der Antworten darauf.“

Haben Sie trotzdem Hoffnung, dass sich der Markt für Bio-Lebensmittel bald wieder normalisiert, vielleicht schon in naher Zukunft?

Pointner: Nach dem Auf und Ab der vergangenen drei Jahre sind Prognosen schwieriger denn je. Aber der Klimawandel ist – trotz der anderen weltweiten Krisen – nicht vorbei und die Bio-Landwirtschaft ist eine der Antworten darauf. Daher glauben wir, dass der Bio-Absatz bald wieder steigen wird, das Preisniveau wird aber ein höheres bleiben.


Wie wollen Sie Ihr Angebot an Bio-Produkten in nächster Zeit weiterentwickeln – auch angesichts der aktuellen Krise in der Bio-Branche?

Pointner: Wir haben schon heute ein breites Bio-Sortiment von 50 verschiedenen Artikeln an frischer Milch und Milchprodukten sowie haltbarer Bio-Milch. Damit sprechen wir Endverbraucher und auch Großverbraucher an, denn Milch, Schlagrahm, Joghurt und Quark gibt’s in Bio-Qualität auch in Fünf-Kilogramm-Eimern. Neue Zielgruppen sehen wir im Export, werden aber auch unser Kinder- und das Laktosefrei-Sortiment weiter forcieren. Bei der Demeter-Vermarktung setzen wir weiterhin auf die braune Ein-Liter-Mehrwegflasche. Hierfür wurde im vergangenen Jahr eine der modernsten und wassersparsamsten Abfüllanlagen für Mehrwegflaschen in Betrieb genommen. Bei den Naturland-Produkten setzen wir auf die Kombination von Bio und Fair. Unsere Genossenschaft stellte sich 2010 als erste Molkerei der Naturland-Fair-Produktzertifizierung. Seither werden die Naturprodukte mit dem Naturland-Fair-Siegel gekennzeichnet. Nach der Milch werden inzwischen auch Zucker, Kakao, Bananen und Mangos in Bio- und Fair-Qualität eingesetzt.


Herr Pointner, herzlichen Dank für das Interview!

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