Mitgliederförderung: Was macht Genossenschaftsbanken besonders? BVR-Präsidentin Marija Kolak gibt Antworten – und verrät erste Details zur Mitgliederkampagne des BVR.
Die Genossenschaft ist ein Zukunftsmodell mit langer Tradition. In der Mitte des 19. Jahrhunderts haben die beiden deutschen Genossenschaftsgründer Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch gezeigt, dass Landwirte und Handwerker beim Einkauf, bei der Kreditbeschaffung oder beim Absatz von Waren gemeinsam mehr erreichen können. Das Erfolgsrezept der Genossenschaften war und ist bis heute die Förderung und die aktive Einbindung der Mitglieder. Diesen Grundsatz gilt es auch in einer zunehmend digitalisierten Welt sicherzustellen. Hierbei ist auch der Gesetzgeber gefragt.
„Das Erfolgsrezept der Genossenschaften war und ist bis heute die Förderung und die aktive Einbindung der Mitglieder.“
Die besondere Rolle der Mitglieder wird gleich am Anfang des Genossenschaftsgesetzes formuliert: Genossenschaften sind gemäß § 1 Abs. 1 GenG „Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern“. Anders gewendet: Die Mitglieder profitieren unmittelbar von den Leistungen und sind zugleich Eigentümer und Geschäftspartner ihrer Genossenschaft. Diese Identität charakterisiert den Kern der genossenschaftlichen Wirtschaftsform.
Aus dem Vorgesagten folgt, dass die Mitglieder nicht an einer möglichst hohen Dividende interessiert sind. Schließlich müssten die hierfür erforderlichen Überschüsse aus der Geschäftsbeziehung mit den Mitgliedern verdient werden, was zu einer „Linke Tasche, rechte Tasche-Situation“ führen würde. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass die Mitglieder grundsätzlich nicht an den Rücklagen und dem sonstigen Vermögen der Genossenschaft beteiligt sind. Wer aus der Genossenschaft ausscheidet, erhält nur den Nennbetrag seines Geschäftsguthabens zurück und nimmt nicht an einer zwischenzeitlichen Wertentwicklung teil. Das ist konsequent, denn man bezahlt auch keinen „Kurswert“, wenn man der Genossenschaft beitritt. Dieses Nominalwertprinzip wird bisweilen bei Verschmelzungen diskutiert, ist aber eine logische Konsequenz der genossenschaftlichen Mitgliederförderung, wie der DGRV in einem Beitrag auf seiner Webseite dargelegt hat.
„Mitbestimmung und Mitgestaltung sind essenziell für den Erfolg von Genossenschaften.“
Mitbestimmung und Mitgestaltung sind essenziell für den Erfolg von Genossenschaften. Sie haben eine „natürliche“ Nähe zu ihren Mitgliedern und Kunden, kennen ihren Markt und können ihr regionales oder branchenspezifisches Wissen erfolgreich im Wettbewerb einsetzen. Beispielsweise kennt eine Volksbank oder Raiffeisenbank aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung die heimischen mittelständischen Unternehmen sehr gut, was zum Beispiel bei einer Kreditvergabe oder anderen Dienstleistungen sehr hilfreich ist. Energiegenossenschaften sind erfolgreich, weil sie als regionale Unternehmen die Bürger, Landwirte, Unternehmen und kommunale Einrichtungen einbinden und damit die Akzeptanz vor Ort für die Energiewende steigern. Es könnten an dieser Stelle noch viele weitere Beispiele aufgeführt werden, wie Genossenschaften aus der Mitgliederorientierung unternehmerische Wettbewerbsvorteile generieren.
„Da jedes Genossenschaftsmitglied unabhängig von der Kapitalbeteiligung nur eine Stimme hat, können wichtige Entscheidungen nicht von Einzelinteressen dominiert werden.“
Bei den grundsätzlichen Entscheidungen können die Genossenschaftsmitglieder in der General- oder Vertreterversammlung mitentscheiden. Dies ist der Ort, um sein Informations-, Rede- oder Auskunftsrecht wahrzunehmen. Die Entscheidungen werden demokratisch getroffen, was auch zur Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit der Genossenschaft beiträgt. Da jedes Genossenschaftsmitglied unabhängig von der Kapitalbeteiligung nur eine Stimme hat, können wichtige Entscheidungen nicht von Einzelinteressen dominiert werden. Dies wirkt Fehlentwicklungen entgegen. Die demokratische Verfassung schützt zudem vor „feindlichen Übernahmen“ durch externe Investoren. Auch diese Besonderheit trägt zur Solidität von Genossenschaften bei.
Die General- und Vertreterversammlung wurde in den vergangenen beiden Jahren zumeist in einem virtuellen oder schriftlichen Format durchgeführt. Die Corona-Pandemie hat insoweit auch hier die Digitalisierung weiter vorangebracht. Erfreulicherweise hatte der Gesetzgeber mit dem COVID-19-Maßnahmengesetz im Jahr 2020 kurzfristig eine rechtssichere Grundlage geschaffen. Langfristig ist aber eine Novellierung des Genossenschaftsgesetzes erforderlich. Diesen Handlungsbedarf zeigt auch eine Umfrage der Genossenschaftsverbände unter ihren Mitgliedern auf.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Präsenzversammlungen zukünftig zwar das dominierende Veranstaltungsformat bleiben werden (siehe dazu auch den Beitrag auf der Webseite des DGRV). Allerdings zeigt die Umfrage auch, dass sich eine relevante Anzahl der Genossenschaften auch in der Zukunft eine virtuelle oder eine hybride Veranstaltung mit einer elektronischen Zuschaltung zur Präsenzversammlung vorstellen kann. Der DGRV steht deshalb mit dem Gesetzgeber im Austausch und hat praxistaugliche Lösungen vorgeschlagen. Sie sollen digitale Formate ermöglichen, ohne die Wahrnehmung der mitgliedschaftlichen Rechte in der General- und Vertreterversammlung infrage zu stellen. Es geht somit nicht um das Ob, sondern um das konkrete Wie.
„Im 21. Jahrhundert stellt sich die Frage, ob Mitgliedschaftsanträge in schriftlicher Form erfolgen müssen.“
Auch hinsichtlich des Beitritts neuer Mitglieder muss das Genossenschaftsgesetz mit der Digitalisierung Schritt halten. Die Aufnahme neuer Mitglieder ist grundsätzlich viel einfacher als bei anderen Rechtsformen. Wie bei einem Verein können Aufnahmeanträge gestellt werden und der Vorstand entscheidet, ein Notar ist nicht erforderlich. Im 21. Jahrhundert stellt sich allerdings die Frage, ob Mitgliedschaftsanträge beziehungsweise die dazugehörigen Unterschriften in schriftlicher Form erfolgen müssen. Das ist ein Anachronismus, der korrigiert werden muss. Auch hier ist der Gesetzgeber gefragt, einen digitalen Beitritt rechtlich zu ermöglichen. Die digitale Modernisierung des Genossenschaftsrechts ist möglich, ohne den Kern der genossenschaftlichen Rechtsform – die Förderung der Mitglieder – zu gefährden. Hierfür setzen wir uns weiter ein.
Eckhard Ott ist Vorstandsvorsitzender des DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband.