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Frau Professorin Gerschau, Lebensmittel und Ernährung sind bei vielen Deutschen ein wichtiges Gesprächsthema. Was bewegt die Verbraucher?

Monika Gerschau: Für immer mehr Kunden ist beim Kauf von Lebensmitteln nicht mehr der Preis das ausschlaggebende Kriterium – zumindest wird das in Befragungen so gesagt. Stattdessen hängt ihre Entscheidung zunehmend von anderen Faktoren wie Qualität, Geschmack, Regionalität, Tierwohl und Nachhaltigkeit ab. Das zeigt, dass die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion um Nahrung und Lebensmittel zu einem Einstellungswandel geführt hat: Verbraucher wollen bevorzugt Produkte kaufen, die unter fairen und gerechten Bedingungen erzeugt worden sind. Und sie sind zumindest nach ihren Aussagen zunehmend bereit, entsprechende Preise zu zahlen.


Menschen definieren sich also mehr und mehr über ihre Ernährung?

Gerschau: Ja, Essen wird zu einem Lifestyle-Produkt. Das geht einher mit der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft, bei der jeder Mensch versucht, aus Produkten einen persönlichen Mehrwert zu ziehen. Etwa der besondere Geschmack bei einem regional erzeugten Honig oder das beruhigte Gewissen bei fair gehandeltem Kaffee.
 

Wie wichtig ist es, dass Lebensmittel nachhaltig erzeugt werden?

Gerschau: Nach einer Studie des Marktforschungsinstituts GfK ist die Mehrzahl der Befragten sicher, dass das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Sie fordern, dass die Akteure im Rahmen der Wertschöpfungskette transparenter agieren. Gleichzeitig sind viele der Befragten überzeugt, dass Unternehmen den Begriff Nachhaltigkeit zu freigiebig verwenden. Die meisten Menschen sind für das Thema sensibilisiert, aber manchmal zu bequem oder zu geizig, um entsprechend zu handeln.

„Wunsch und tatsächliches Verhalten der Verbraucher gehen noch immer auseinander.“

Ein wunder Punkt: Während sich viele Verbraucher zwar in Umfragen für gerechte Produktionsbedingungen aussprechen, greifen sie im Supermarkt zur Billigmarke. Wie passt das zusammen?

Gerschau: Sowohl günstige Preise als auch Aktionen des Lebensmitteleinzelhandels und die damit verbundene Aussicht auf Schnäppchen üben nach wie vor ihren Reiz aus. Sonderangebote funktionieren immer! Das wissen die Händler und arbeiten ganz gezielt mit diesen Lockmitteln. Das ist schon lange kein Discounter-Phänomen mehr, auch Supermärkte oder Delikatessenläden nutzen diese Methoden. Hier gehen Wunsch und tatsächliches Verhalten der Verbraucher noch immer auseinander.
 

Ist das auch der Grund, warum trotz aller Bekenntnisse zu regionalen Lebensmitteln Spargel aus Peru im Einkaufswagen landet?

Gerschau: Zum einen das, zum anderen müssen wir einzelne Zielgruppen für Produkte ansehen und deren Kaufverhalten studieren. Ein und dasselbe Produkt kann bei verschiedenen Gruppen enorm polarisieren. Ein Beispiel: Manche Menschen legen für Äpfel aus der Region mehr Geld auf den Tisch, da sie mit diesen Attribute wie Frische und Geschmack verbinden. Andere hingegen greifen bewusst zu Äpfeln aus fernen Ländern, da diese vermeintlich länger in der Sonne gereift sind.
 

Welche Rolle spielen Siegel, beispielsweise für Weidemilch oder gentechnikfreie Produkte?

Gerschau: Siegel liegen im Trend. Laut dem Ernährungsreport 2018 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sind 90 Prozent der Befragten bereit, mehr für Lebensmittel zu bezahlen, wenn die Tiere besser gehalten werden, als es die Gesetze vorschreiben. Das ist sicherlich nicht identisch mit dem tatsächlichen Verhalten, aber immerhin ein erster Schritt. Ich mahne dennoch zur Vorsicht: Grundsätzlich sind Siegel nützlich, um eine Grundqualität nachzuweisen. Entscheidend bei der Produktauswahl ist aber das Vertrauen. Ein gutes Marketing ist also mindestens genauso wichtig. Dazu kommt, dass sich Trends oft schnell ändern. Heute sind Klimaschutz und Tierwohl in der Diskussion, morgen könnte das zentrale Thema der Wasserverbrauch oder die Frauenquote im Betrieb sein.

Wichtige Kriterien beim Lebensmittelkauf

97 Prozent der Menschen in Deutschland achten beim Lebensmitteleinkauf darauf, dass ihnen die Produkte schmecken. Das hat der Ernährungsreport 2018 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ergeben. Doch auch andere Aspekte sind den Verbrauchern wichtig: Mehr als drei Viertel (78 Prozent) legen Wert darauf, dass die Lebensmittel aus ihrer Region stammen. 57 Prozent der Befragten schauen auf den Preis, 41 Prozent orientieren sich an Siegeln.

Wie ist in diesem Kontext die Rolle des Lebensmitteleinzelhandels zu bewerten?

Gerschau: Oftmals fordert der Einzelhandel besondere Leistung, etwa glyphosatfreie Produkte, die er dann nach kurzer Zeit zum Standard erklärt. Eine richtige Produktstrategie fokussiert sich also nicht ausschließlich auf den Verbraucher, sondern berücksichtigt ebenso das Verhalten des Einzelhandels.
 

Smartphones sind heute unsere ständigen Begleiter, in Kürze sollen Techniken wie die künstliche Intelligenz folgen. Wie verändert sich dadurch das Einkaufsverhalten?

Gerschau: In Zukunft werden Menschen beim Einkaufen immer weniger Kontakt zu anderen Menschen haben. Erste Tendenzen gibt es bereits, beispielsweise den Supermarkt von Amazon in Seattle. Dort sind keine Kassen mehr vorhanden, per Smartphone wird der Kunde erkannt, ein Auschecken ist nicht erforderlich, die Einkaufssumme wird einfach abgebucht. Zudem interagieren junge Menschen viel selbstverständlicher mit künstlicher Intelligenz, als das ältere Menschen heute tun. Das könnte den Einzelhandel noch mehr verändern als in den 1960er Jahren der Übergang von der Bedienungstheke zum SB-Geschäft. Eine weitere Möglichkeit bietet der Onlinehandel. Er sorgt dafür, dass die Verlagerung der Alltagseinkäufe ins Internet weiter voranschreitet.

Welche Wachstumschancen gibt es vor diesem Hintergrund für Erzeuger?

Gerschau: Zunächst einmal bietet die Individualisierung des Angebots Chancen, etwa durch Module, mit denen Kunden ihr Angebot selbst zusammenstellen können. Wie das geht, zeigt „mymuesli“: Auf der Webseite können Verbraucher mit den Zutaten theoretisch 566 Billiarden mögliche Müsli-Kombinationen erstellen und sich dann liefern lassen. Das kommt gut an. Um junge Kunden anzusprechen, müssen Unternehmen im Internet präsent sein. Wer sich auf Blogs oder in Sozialen Medien wie Snapchat gut verkauft, dessen Produkte werden gekauft.

„Produkte aus der Region für die Region zu entwickeln ist ein nachhaltiges und Erfolg versprechendes Modell.“

Wie können sich Genossenschaften in diesem Umfeld positionieren?

Gerschau: Produkte aus der Region für die Region zu entwickeln ist ein nachhaltiges und Erfolg versprechendes Modell. Ich rate immer dazu, Kunden emotional anzusprechen. Heute geht es darum, den Nutzern ein gutes Gefühl zu verschaffen. Wer mit seinen Produkten – etwa einem Käse – eine tolle Geschichte erzählen kann, der steigert die Zahlungsbereitschaft enorm. Auch der Nachhaltigkeit sollte Rechnung getragen werden. Wenn ich etwa auf meiner Webseite detailliert über den Herstellungsprozess erzähle, sorge ich für ein einmaliges Kundengefühl.
 

Welche Vorteile hat die Rechtsform der Genossenschaften?

Gerschau: Das ist von Unternehmen zu Unternehmen individuell. Grundsätzlich ist die große Stärke von Genossenschaften natürlich die Nähe zu den Mitgliedern. Hier geht es darum, partnerschaftlich zusammenzuarbeiten und die einzelnen Erzeuger mitzunehmen. Sind alle von der eingeschlagenen Richtung überzeugt, dann sollte es kein Problem darstellen, die Produkte dem Einzelhandel und darüber dem Endverbraucher schmackhaft zu machen.
 

Vielen Dank für das Interview!

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