Direkt vom Hausdach: Mieterstrom-Modelle sind eine interessante Alternative für Bürgerenergiegenossenschaften. Erste Projekte in Bayern laufen schon
Grundsätzliche Aussagen
Die Koalitionäre wollen den Anteil der erneuerbaren Energien (EE) am Bruttostromverbrauch bis 2030 auf 65 Prozent erhöhen. Das sind rund 15 Prozentpunkte mehr als im aktuellen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vorgesehen. Dadurch will die Bundesregierung ihre selbst gesteckten Klimaziele erreichen. Gleichzeitig erhalten Genossenschaften die Chance, auf Grundlage des neuen Zielwerts ihre geschäftlichen Tätigkeiten im EE-Sektor auszuweiten. Grundsätzlich will die Bundesregierung Genossenschaften – und damit auch Energiegenossenschaften – als nachhaltige und krisenfeste Unternehmensform stärken.
Technologieübergreifend will die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode eine bundeseinheitliche Regelung einführen, die Standortgemeinden beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien stärker an der Wertschöpfung von EE-Anlagen beteiligt und die Möglichkeiten einer Projektbeteiligung von Bürgern verbessert. Ferner ist geplant, die Akteursvielfalt bei der Energiewende zu erhalten. Das kommt den Energiegenossenschaften sehr entgegen: Sie beziehen die Menschen vor Ort aktiv in die Energiewende ein und tragen so zu ihrer Akzeptanz bei.
Photovoltaik
Im Bereich der Photovoltaik (PV) werden Freiflächenanlagen mit einer Spitzenleistung über 750 Kilowatt (kWp) seit Anfang 2017 nur noch nach dem EEG gefördert, wenn sich die Betreiber zuvor in einer Ausschreibung gegen andere Teilnehmer durchgesetzt haben. In den Jahren 2019 und 2020 will die Bundesregierung, dass zusätzliche PV-Anlagen mit einer Gesamtleistung von jeweils zwei Gigawatt gebaut werden. Wenn die Koalitionsparteien ihre Aussage ernst nehmen, müssen die Sonderausschreibungen schon dieses Jahr über die Bühne gehen, damit die Gewinner 2019 ihre Projekte umsetzen können. In der Regel erhalten dabei viele Vorhaben aus dem Freistaat den Zuschlag. Für Volksbanken und Raiffeisenbanken, die PV-Anlagen finanzieren, könnten die geplanten Sonderausschreibungen daher interessant werden.
Ob auch Energiegenossenschaften wieder an den Ausschreibungen für große PV-Anlagen teilnehmen werden, bleibt abzuwarten. Denn während Energiegenossenschaften in den ersten vier Ausschreibungsrunden 2015 und 2016 noch elfmal direkt boten und zweimal den direkten Zuschlag erhielten, gaben sie in den weiteren sechs abgeschlossenen Runden bis Anfang 2018 keine direkten Gebote mehr ab. Beide direkten Zuschläge gingen im Dezember 2015 nach Bayern, und zwar an die Bürger Energie Region Regensburg eG und die Energielandkreis-Cham eG.
Ungleiche Marktbedingungen bei den PV-Ausschreibungen können nur ausgeglichen werden, wenn es separate Ausschreibungen für kleine Marktakteure und Anlagen gibt. Zudem müssen die Planungsrisikokosten in Form eines pauschalisierten Aufwendungsersatzes bei Misserfolg ersetzt und die sogenannte „De-minimis-Grenze“ für PV-Anlagen laut europäischen Umweltbeihilfeleitlinien auf ein Megawatt Spitzenleistung erhöht werden. Fallen Unternehmen unter die De-minimis-Grenze, werden Beihilfen von einem EU-Mitgliedsstaat als geringfügig angesehen und sind nicht mehr durch die EU-Kommission genehmigungspflichtig.
Mieterstrom
Auch das Thema „Mieterstrom“ greift der Koalitionsvertrag auf. So sollen Wohnungsbaugenossenschaften ihre tradierte gewerbesteuerliche Behandlung nicht verlieren, wenn sie Mieterstromanlagen auf ihren Gebäuden errichten. Die Beseitigung dieser gewerbesteuerlichen Hemmnisse würde die Verbreitung von Mieterstromprojekten fördern, es gibt aber noch viele weitere Hindernisse. So bleibt unter anderem das steuerliche Hemmnis im Körperschaftssteuergesetz für die mehrheitlich steuerbefreiten Vermietungsgenossenschaften weiterhin erhalten.
Genossenschaftliche Stromnetzbetreiber
Auch die rund 35 genossenschaftlichen Stromnetzbetreiber in Bayern müssen mit Veränderungen rechnen. Unter anderem will die Bundesregierung zur Optimierung des Bestandsnetzes und zum schnelleren Ausbau der Stromleitungen einen ambitionierten Maßnahmenplan erarbeiten. Außerdem ist geplant, ökonomische Anreize für eine Optimierung der Netze zu schaffen. Der Regulierungsrahmen im Bereich der Verteilnetze soll weiterentwickelt werden, um einen Anreiz für Investitionen in intelligente Lösungen zur besseren Vernetzung von Stromanbietern und Verbrauchern zu schaffen.
Ferner soll die schon länger diskutierte Reform der Netzentgelte auf Verteilnetzebene in der laufenden Legislaturperiode umgesetzt werden. Durch die Reform würden die Kosten verursachergerecht und unter angemessener Berücksichtigung der sogenannten Netzdienlichkeit verteilt. Stromverbraucher würden von einer flexibleren Preisgestaltung profitieren, während der Wettbewerb gewahrt bliebe. Grundsätzlich bietet eine Änderung der Netzentgelte sowohl Chancen als auch Risiken. So könnten die Netzkosten regional gerechter verteilt, aber auch dezentrale EE-Projekte wirtschaftlich schlechter gestellt werden.
Der GVB berät
Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) berät und unterstützt die bayerischen Energiegenossenschaften in rechtlichen, steuerlichen und fachspezifischen Angelegenheiten. Dazu gehören unter anderem die Themen Technologieauswahl, Anlagendimensionierung, Wirtschaftlichkeitsberechnung, Preisgestaltung sowie Energieaudits und Energiemanagementsysteme. Ansprechpartner ist Daniel Caspari. Er ist unter energie-gvb@gv-bayern.de oder 089 / 2868-3577 erreichbar.
Windenergie
Auch bei der Windenergie an Land plant die Bundesregierung gleichlautend zur Photovoltaik gesonderte Ausschreibungen: In den Jahren 2019 und 2020 sollen zusätzlich Windräder mit einer Gesamtleistung von jeweils zwei Gigawatt errichtet werden.
Bioenergie
Der Bestand an Bioenergieanlagen soll durch entsprechende Vorgaben in den Ausschreibungen weiterentwickelt werden. Unter anderem ist geplant, die Reststoffverwertung in den Anlagen zu verstärken und mehr Blühpflanzen als Biomasse einzusetzen. Ob diese Maßnahmen ausreichen, damit ein großer Teil der Biogasanlagen auch über die 20-jährige EEG-Vergütungszeit hinaus erhalten bleiben, ist fraglich. Sollte dies nicht gelingen, geht ein großes Potenzial für neue genossenschaftliche Nahwärmeprojekte verloren.
Energieeffizienz
Fördermittel für Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz werden laut dem Koalitionsvertrag auf dem derzeitigen Niveau weitergeführt. Das kann auch für Energiegenossenschaften unternehmerisch interessant sein, wenn sie ebenfalls an den Programmen teilnehmen können.
Elektromobilität
Die Koalitionsparteien wollen die Elektromobilität durch eine Vielzahl kleiner Maßnahmen fördern. Damit bieten sich für Energiegenossenschaften interessante Möglichkeiten, zukünftig verstärkt Elektromobilitätsprojekte umzusetzen. Bestehende Förderprogramme sollen, wo erforderlich, über 2020 hinaus aufgestockt und ergänzt werden. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass bis 2020 mindestens 100.000 zusätzliche Ladepunkte für E-Autos und davon mindestens ein Drittel Schnellladesäulen geschaffen werden. Zudem ist geplant, gesetzliche Bedingungen für benutzerfreundliche Bezahlsysteme einzuführen. Außerdem sollen Fördermittel zur Umrüstung und Anschaffung von E-Autos für Car-Sharing-Projekte verstetigt werden.
René Groß ist Referent für Energierecht und Energiepolitik der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV). Kontakt: gross@dgrv.de.