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Grafik mit Frauen und Männern im Bewerbungsgespräch.

Herr Professor Schirmer, viele Unternehmen – auch die bayerischen Genossenschaften – müssen sich mittlerweile mächtig anstrengen, um noch geeignete Fachkräfte und Azubis zu finden. Stehen die Unternehmen perspektivisch vor einem unlösbaren Problem?

Uwe Schirmer: Aus meiner Sicht gibt es zwei Herausforderungen. Es ist nun einmal so, dass aufgrund des demografischen Wandels immer weniger Auszubildende, Studierende und Fachkräfte dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Dieses Problem können die Unternehmen nicht lösen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, den Fachkräftemangel durch eine kluge Zuwanderungspolitik zumindest abzufedern. Allerdings können die Unternehmen – einschließlich der bayerischen Genossenschaften mit ihrer großen Gruppe der Volksbanken und Raiffeisenbanken – dieser Entwicklung sehr wohl etwas entgegensetzen, indem sie zum Beispiel mit einem guten Personalmarketing und einer starken Arbeitgebermarke auf sich aufmerksam machen – Stichwort „Employer Branding“. Je kleiner der Pool verfügbarer Arbeitskräfte wird, desto mehr und zielgenauer müssen sich Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt positionieren, um von der gewünschten Zielgruppe wahrgenommen zu werden. Das ist sicherlich eine Herausforderung, die aber zu lösen ist. Gerade bei Genossenschaften habe ich das Gefühl, dass diese ihr Licht immer noch viel zu oft unter den Scheffel stellen, anstatt ihre Stärken zu betonen. Denn viele Menschen sprechen durchaus auf die Vorteile von Genossenschaften an.
 

Welche Vorteile meinen Sie?

Schirmer: Da ist zum einen natürlich der Unternehmenszweck einer Genossenschaft, also die Förderung der Mitglieder. Genossenschaften sind ihren Mitgliedern verpflichtet und nicht irgendwelchen Aktionären, die nur auf ihre Dividende schielen. Diese Werteorientierung spricht junge Menschen durchaus an. Ein weiterer großer Vorteil ist die starke Verbundenheit der Genossenschaften mit ihrer Region. Das sieht man an den bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken sehr gut. Sie unterstützen kulturelle sowie soziale Projekte und fördern das Vereinsleben im Geschäftsgebiet. Dadurch übernehmen sie gesellschaftliche Verantwortung für ihre Region. Außerdem sind sie ein verlässlicher Arbeitgeber und eine Stütze für die örtliche Wirtschaft. Das macht Genossenschaften als Arbeitgeber durchaus für eine größere Zielgruppe interessant.

„Menschen, die ihrer Heimat verbunden sind, wissen auch das genossenschaftliche Miteinander zu schätzen.“

Können Sie diese Zielgruppe näher beschreiben?

Schirmer: Ein ehrgeiziger junger Investmentbanker, der von der Wall Street in New York träumt, wird wohl nicht bei einer Genossenschaftsbank anfangen. Das würde ohnehin nicht passen. Aber die Menschen aus dem regionalen Umfeld, die mit ihrer Heimat verbunden sind, sich gesellschaftlich engagieren und ihre Region voranbringen wollen, die wissen dieses genossenschaftliche Miteinander zu schätzen. Sie wünschen sich einen Arbeitgeber, der in der Region verwurzelt ist und sich vor Ort engagiert. Ein großer Vorteil von Genossenschaften ist auch das soziale Miteinander und die allgemein hohe Wertschätzung der Mitarbeiter. In großen Konzernen sind die Mitarbeiter bei Umstrukturierungen und Krisen häufig Spielmasse. Da werden schnell mal 1.000 Stellen abgebaut. Das hört man von Genossenschaften nicht.


Man hört aber auch immer wieder kritische Stimmen, die sagen, dass junge Menschen lieber eigene Ziele verfolgen und nicht mehr so leistungsbereit sind wie frühere Generationen. Stimmt das?

Schirmer: Diese Frage wird mir öfter gestellt und sie ärgert mich. Die Antwort lautet: Nein, das stimmt in dieser Absolutheit nicht. In Verbindung mit dem demografischen Wandel werden häufig die verschiedenen Generationen Babyboomer, X, Y, Z oder Alpha mit ihren angeblich spezifischen Eigenschaften genannt. Wenn man sich wissenschaftlich belastbare Studien dazu anschaut, dann stellt man schnell fest, diese Generationen als trennscharfes und homogenes Phänomen gibt es so gar nicht. Das ist ein populärwissenschaftliches Phänomen, das sich leider eisern hält. Stattdessen sind diese Generationen – ich nenne sie lieber Alterskohorten – sehr heterogen mit ganz unterschiedlichen Binnen-Prägungen. Die traditionell geprägten, leistungs- und familienorientierten Menschen gehören über alle Generationen hinweg zu den größten Gruppen. Diese werden nur nicht diskutiert, weil sie nicht auffallen. Deshalb warne ich davor, im Personalmarketing immer nur auf Trends zu springen und auf die vermeintlichen Vorlieben einzelner Generationen einzugehen. Natürlich gibt es Menschen, die lieber Spaß haben wollen, als zu arbeiten. Aber mindestens genauso viele sind heimatverbunden, in Vereinen aktiv und engagieren sich auch sonst gesellschaftlich – denken Sie nur an die Fridays for Future-Bewegung. Diese Klientel stellt ein wertvolles Arbeitnehmerpotenzial für Genossenschaften dar.

Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und Klimaschutz für die Arbeitgeberattraktivität?

Schirmer: Das sind gesellschaftlich ganz wichtige Aspekte, die ich im Recruiting aber nicht überbewerten würde. Verschiedene Studien zeigen relativ klar, dass gerade junge, engagierte Leute diese Themen bei der Arbeitgeberwahl durchaus überraschend eher im mittleren bis unteren Bereich ansiedeln, also eher als Basismerkmale ansehen. Diese Themen stellen eine Mindestanforderung an ein Unternehmen dar und sind weniger als echter Vorteil im Sinne eines Begeisterungsmerkmals im Personalmarketing zu betrachten. Alles, was mit unternehmerischer Verantwortung zu tun hat, wird inzwischen als selbstverständlich angesehen. Im Umkehrschluss heißt das, dass es Unternehmen tunlichst vermeiden sollten, bei diesen Themen in ein schlechtes Licht zu geraten. Im Zweifel sind aber die Arbeitsplatzsicherheit und Karrierechancen immer noch wichtiger bei der Arbeitgeberwahl.

„Vor allem junge Menschen erwarten, dass man im Job partnerschaftlich mit ihnen umgeht.“

Was erwarten Menschen noch von einem guten Arbeitgeber?

Schirmer: Da gibt es einige Punkte zu beachten. Ein ganz wesentlicher Aspekt: Vor allem junge Menschen erwarten, dass man im Job partnerschaftlich mit ihnen umgeht. Das klingt einfach und nachvollziehbar, kann aber in der Praxis zum Problem werden. Viele Führungskräfte aus der mittleren und höheren Führungsebene wurden in den 1960er Jahren geboren, sie sind also ganz anders sozialisiert als die heutigen jungen Arbeitssuchenden. Auf diese Weise sozialisierte Führungskräfte sind deshalb dazu angehalten, gelernte Verhaltensweisen und das Denken in Hierarchien zu überwinden und zu vergessen. Das ist eine große Herausforderung.


Warum?

Schirmer: Um nochmal auf die Frage zur Arbeitsmoral junger Menschen zu kommen: Diese sind sehr wohl leistungsbereit, aber Arbeit ist nicht mehr das einzig Bestimmende in ihrem Leben. Das absolute Leistungsprinzip von früher hat merkbar an Stellenwert eingebüßt. Junge Menschen sind deshalb eher bereit, die Reißleine zu ziehen, wenn sie sich in der Arbeit nicht wertgeschätzt fühlen. Sie erwarten außerdem Handlungsspielräume. Sie wollen mitreden, sich einbringen, Ideen umsetzen und Dinge hinterfragen. Gleichzeitig erwarten sie Strukturen, die ihnen Sicherheit bieten, zum Beispiel bei der Karriereplanung. Das ist ein gewisser Spagat, der bei Führungskräften etwas Fingerspitzengefühl erfordert.


Gilt das nur für junge Menschen?

Schirmer: Menschen unterschiedlicher Alterskohorten haben ganz unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse gegenüber ihrem Arbeitgeber. Pauschale Aussagen sind natürlich schwierig, aber so viel kann man sagen: Junge Menschen möchten sich eher noch ausprobieren, neue Wege gehen und im Leben etwas erreichen – auch im Job. Für Menschen, die in der Mitte ihres Lebens stehen, eine Familie gegründet haben und vielleicht auch noch eine Immobilie finanzieren, ist Sicherheit wahrscheinlich viel wichtiger. Mit zunehmendem Alter spielen möglicherweise auch pflegebedürftige Angehörige bei den Wünschen an den Arbeitgeber eine Rolle. Unternehmen sollten das verstehen und die Zielgruppen mit intelligenten, lebensphasenorientierten Angeboten ansprechen. Das können Karrierechancen sein oder die Aussicht, phasenweise in Teilzeit zu arbeiten, um etwa Zeit für die Familie zu haben. Es macht natürlich Arbeit, passende Angebote zu erstellen und gegenüber der jeweiligen Zielgruppe zu kommunizieren. Aber sie zeigen nachhaltig Wirkung.

Viele Genossenschaften sind in ländlichen Regionen aktiv. Inwiefern kann das bei der Mitarbeitersuche und -bindung von Vorteil sein?

Schirmer: Einerseits ist es ein Nachteil. Denn in absoluten Zahlen gibt es im ländlichen Raum aufgrund der demografischen Entwicklung einfach weniger Menschen, die Arbeit suchen. Damit ist das Rekrutierungspotenzial viel geringer als in Ballungsräumen, wo die Bevölkerung aufgrund der Zuwanderung eher wächst. Andererseits können Genossenschaften ihre bereits erwähnten Stärken im ländlichen Raum besser ausspielen. Ich sehe das als große Chance. Denn die Menschen, die dort leben, haben gewissermaßen dieselbe Prägung wie die Genossenschaften. Sie sind heimatverbunden und bodenständig, aber trotzdem leistungsbereit. Genossenschaften sollten diese Menschen bewusst ansprechen, weil beide Seiten mit hoher Wahrscheinlichkeit zusammenpassen werden. Bei Genossenschaften im urbanen Bereich ist das etwas anders, denn dort konkurrieren viel mehr Unternehmen um die Arbeitssuchenden. Dort sind die Genossenschaften umso mehr gefordert, ihre Mehrwerte glaubhaft nach außen zu tragen, aber sich auch den Bedürfnissen der städtischen Bewerberinnen und Bewerber intensiv zu öffnen. Was grundsätzliche Werte und den Umgang mit den Mitarbeitenden angeht, brauchen sich die Volksbanken und Raiffeisenbanken zum Beispiel nicht zu verstecken. Denn auch in den Ballungsräumen möchten Arbeitnehmer ernst genommen werden und nicht nur Kostenfaktor sein.


Das Mediennutzungsverhalten der Menschen hat sich geändert. Welche Rolle spielt das beim Recruiting?

Schirmer: Herauszufinden, über welche Kanäle die Zielgruppen kommunizieren und was deren Bedürfnisse sind, gehört zu den Grundvoraussetzungen des Personalmarketings. Da gibt es immer Bewegung. Junge Menschen zum Beispiel nutzen immer seltener Facebook, auch wenn die Plattform noch nicht tot ist. Deshalb sollte sie weiter von den Unternehmen bespielt werden. Inzwischen gehören andere Kanäle wie Instagram, Snapchat oder Tiktok zum Lebensalltag vieler Jugendlicher und junger Erwachsener. Das sollten Arbeitgeber im Personalmarketing unbedingt berücksichtigen.

„Eltern haben viel Einfluss auf die Berufswahl ihrer Kinder. Deshalb sind sie für Unternehmen eine interessante Zielgruppe.“

Wie schätzen Sie die Bedeutung von regionalen Ausbildungsmessen ein?

Schirmer: Viele Unternehmen messen solchen Veranstaltungen eine hohe Bedeutung bei. Verschiedene Befragungen zeigen jedoch, dass die Jugendlichen den Wert von Ausbildungsmessen nicht ganz so hoch einschätzen. Trotzdem ist es kein Fehler, als Arbeitgeber dort präsent zu sein. Inzwischen gibt es aber auch Unternehmen, die Berufsinformationsveranstaltungen ausschließlich für Eltern anbieten, wo die Jugendlichen gar nicht mehr dabei sind. Denn der partnerschaftliche Erziehungsstil bedingt, dass Jugendliche ihre Eltern heute viel stärker als Ratgeber akzeptieren, als es in früheren Generationen der Fall war. Vor diesem Hintergrund ist es ratsam, beim Azubi-Recruiting auch die Erziehungsberechtigten als Zielgruppe in den Blick zu nehmen, da diese oft einen erheblichen Einfluss auf die Berufswahl ihrer Kinder haben. Da kann es auch interessant sein, bewährte Kanäle zu bespielen und auch mal eine Stellenanzeige in der Regionalzeitung zu schalten. Die wird zwar nicht von den Jugendlichen gelesen, aber von deren Eltern.


Welchen Medienmix würden Sie für das Ausbildungsmarketing empfehlen?

Schirmer: Ich würde die Zeitungen jedenfalls nicht unterschätzen – auch deshalb, weil Stellenanzeigen häufig nicht nur in der gedruckten Ausgabe erscheinen, sondern auch online. Denkbar wäre es auch, kombiniert mit digitalen Kanälen an belebten öffentlichen Plätzen oder im öffentlichen Nahverkehr der Region Plakatwerbung für Ausbildungsplätze zu schalten. Die Kosten dafür sind relativ überschaubar. Außerdem weiß man aus der Marketingforschung, dass das menschliche Gehirn bis zu sieben Impulse braucht, ehe es reagiert. So altmodisch solche Aktionen erscheinen mögen, so können sie doch ihren Wert haben. Außerdem lassen sich so gezielt die Menschen vor Ort ansprechen – also genau jene, die Genossenschaften erreichen wollen.

Wie die ABG bei der Personalentwicklung unterstützt

Personalentwicklung ist eine komplexe Aufgabe. Die Akademie Bayerischer Genossenschaften (ABG) unterstützt die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken deshalb dabei, entsprechende Spezialisten auszubilden. Angeboten werden die beiden modular aufgebauten Entwicklungswege zum Personalentwickler (neu: HR-Experte Personalentwicklung) und zum Personalbetreuer (neu: HR-Betreuer). In beide Entwicklungswege sind die personalrelevanten Themen aus der Strategieagenda und den entsprechenden Projekten des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) integriert. Zusätzlich werden die relevanten Themen aus der Personalmanagement-Lösung geno.HR berücksichtigt, um die operative Umsetzung in den Banken zu unterstützen. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite der ABG.

Zudem bietet die ABG ein Paket „Co-Creation Workshops Personal der Zukunft“ an. Die Themen drehen sich um nachhaltiges Personalmanagement, Personalmarketing, Arbeitgeberattraktivität und neue Arbeitswelten („New Work“) sowie allgemein um Herausforderungen für Unternehmen und Führungskräfte bei der Personalentwicklung. Die Formate sind ergebnisoffen, die inhaltlichen Schwerpunkte richten sich nach den konkreten Bedürfnissen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Das heißt, diese haben die Möglichkeit, die Workshops selbst zu gestalten. Die Workshops im Einzelnen:

Die ABG bietet den bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken an, diese Workshops auch im eigenen Haus durchzuführen. So können die Institute gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die bestmögliche Lösung für die eigene Bank erarbeiten.

Zudem bietet die ABG einen Erfahrungsaustauschkreis für Personalentwickler an. Beim nächsten Termin am 31. März 2022 geht es um das Thema „Employee Centricity: Kein Kundenfokus ohne Mitarbeiterfokus“ (Anmeldung hier).

Ansprechpartnerin für alle Formate ist Manuela Vogel, manuela.vogel(at)abg-bayern.de, 08461 / 650-1327.

Die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken suchen aber auch Fachkräfte, zum Beispiel für die Bereiche IT, Bankenaufsicht, Controlling oder Revision. Wie spricht man diese am besten an?

Schirmer: Wenn es die Stellenbeschreibung erfordert, überregional auf die Suche zu gehen, dann bieten sich Online-Stellenbörsen an. Gegebenenfalls kann es sinnvoll sein, einen Metadienstleister zu beauftragen. Dieser platziert die Stellenanzeige in verschiedenen passenden Stellenbörsen, ohne dass sich das Unternehmen darum kümmern muss. Ein guter Tipp für Genossenschaften ist übrigens auch das Portal meinestadt.de. Dort gibt es ebenfalls einen Stellenmarkt. Dieses Portal bietet sich an, wenn neue Mitarbeitende im regionalen Umfeld gesucht werden sollen. Es gibt sogar bei Ebay Kleinanzeigen eine Jobsuche. Ich kenne Personaler, die schwören darauf, wenn sie Bewerber aus der Region ansprechen wollen. Seit einigen Jahren erleben zudem Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programme eine Renaissance. Es lohnt sich, die Netzwerke der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu nutzen, um zum Beispiel Menschen anzusprechen, die sich in ihrem Unternehmen unwohl fühlen und deshalb potenziell wechselwillig sind. Das ist nicht zu unterschätzen. Da hilft es natürlich, wenn die Mitarbeitenden wissen, welche Stellen gerade offen sind. Dafür gibt es verschiedene Lösungen. Solche Programme funktionieren aber nur, wenn die Mitarbeitenden von ihrem Arbeitgeber überzeugt sind. Dann sind sie auch bereit, offene Stellen weiterzugeben. Auf Ansage von oben funktioniert so etwas nicht.


Und dann gibt es ja auch noch soziale Netzwerke für Geschäftskontakte wie Xing oder LinkedIn. Lohnt es sich, auf solchen Netzwerken aktiv zu sein?

Schirmer: Definitiv. Solche Business-Netzwerke spielen im Recruiting neben normalen Stellenbörsen und sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram eine tragende Rolle. Xing war lange Zeit der Platzhirsch im deutschsprachigen Raum, inzwischen verschiebt sich der Schwerpunkt zu LinkedIn. Ich würde auf jeden Fall beide Kanäle bespielen. Die aktive Ansprache von potenziellen Bewerbern – Active Sourcing – haben wir noch gar nicht angesprochen. Das ist eine gute Möglichkeit, Kandidaten auf sich aufmerksam zu machen. Niemand sollte sich jedoch der Hoffnung hingeben, dass das ein Selbstläufer wird. Mittlerweile nutzen so viele Unternehmen und Organisationen Active Sourcing für sich, dass viele Menschen auf Xing oder LinkedIn gar nicht mehr reagieren, wenn sie dort angesprochen werden. Bei begehrten Berufen passiert das einfach zu häufig. Deshalb sollten sich zum Beispiel Kreditgenossenschaften, die Active Sourcing für sich nutzen möchten, genau überlegen, wie sie vorgehen wollen. Dazu gibt es auch Schulungen, wie man richtig sucht und die Mitglieder am besten anspricht, damit überhaupt jemand reagiert.

„Ich stelle die These auf, dass Recruiting in fünf bis zehn Jahren eine eigene Profession ist.“

Das klingt nach Arbeit…

Schirmer: Oh ja. Personalmarketing und Recruiting im Vorbeigehen gibt es leider nicht. Das ist richtig viel Arbeit, die auch nicht von einem Praktikanten erledigt werden sollte. Ich stelle die These auf, dass Recruiting in fünf bis zehn Jahren eine eigene Profession ist. Ich leite an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg einen Bachelor- und einen Masterstudiengang für Personalmanagement. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir im Bachelor-Bereich eigene Recruiting-Studienangebote sehen werden. Denkbar ist auch, dass es innerhalb bestehender Personalstudiengänge einen durchgängigen Schwerpunkt Recruiting geben wird. Das Thema ist mittlerweile sehr komplex geworden und erfordert so viel Können und Kompetenzen, das läuft nicht mehr nebenher. Personalbeschaffung ist wie Vertrieb. Wer das machen will, benötigt neben der richtigen Vertriebseinstellung gute Netzwerke, digitale Anwenderkompetenzen und bis zu einem gewissen Grad sogar Programmierkenntnisse. Damit zum Beispiel Stellenanzeigen von Google for Jobs gefunden werden, muss man die Quelldateien entsprechend anpassen, damit sie von Google in den Ergebniscontainer übernommen werden. Normalerweise wird das die IT-Abteilung erledigen, aber der Personaler muss zumindest wissen, wovon er spricht. Diese Komplexität wird in den nächsten Jahren noch zunehmen. Auch im Recruiting werden datengetriebene Anwendungen und Systeme Einzug halten, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten.


Und wenn die Stelle endlich wieder besetzt ist, gibt es am ersten Tag zum Einstand ein Glas Sekt und eine Powerpoint-Präsentation über das Unternehmen…

Schirmer: Ich hoffe doch sehr, dass die Unternehmen das Stadium von Sekt und Präsentation beim sogenannten Onboarding längst überwunden haben. Denn da steckt so viel mehr dahinter. Die fachliche Einarbeitung ist das eine. Mindestens genauso wichtig ist aber die soziale Eingliederung. Wenn die Unternehmen es schaffen, dass die neue Kollegin oder der neue Kollege schnell ein soziales Netzwerk knüpfen kann, dann schützt das den neuen Mitarbeitenden vor Frustration und das Unternehmen vor hoher Fluktuation. Soziale Einbettung ist ein hoher Bindungsfaktor. Und dann gilt es noch, die sogenannte Rollenambiguität zu vermeiden. Davon spricht man, wenn eine Person wegen unklarer Erwartungen nicht weiß, wie sie sich korrekt verhalten kann. Denn am Anfang weiß der oder die Neue ja nicht, worauf es genau ankommt, wer die richtigen Ansprechpartner sind und wie im Unternehmen mit Fehlern umgegangen wird. Muss ich um 7:30 Uhr am Arbeitsplatz sein oder reicht auch 8 Uhr? Wer solche Fragen schnell klärt und den Mitarbeitenden damit Sicherheit gibt, trägt dazu bei, dass diese schneller im Unternehmen ankommen. Wenn die Signale dagegen widersprüchlich sind oder gar keine gesendet werden, kann es im schlimmsten Fall passieren, dass die Stelle gleich wieder neu besetzt werden muss. Und dann können die Unternehmen beim Recruiting wieder von vorne anfangen.


Herr Professor Schirmer, vielen Dank für das Interview!

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