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Herr Professor Voigtländer, wie hat sich der Immobilienmarkt in Deutschland in den vergangenen Monaten entwickelt?

Michael Voigtländer: Die Corona-Pandemie hat ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Sektoren. Im Bereich der Wohnimmobilien spüren wir nahezu keine Abweichung vom langfristigen Trend aus steigenden Preisen und Mieten. Auch bei den Büroimmobilien bleibt die Entwicklung positiv: Die Umsätze sind zwar zurückgegangen, doch die Preisentwicklung zeigt nach oben. Das bedeutet, dass die Unternehmen ihre bestehenden Einheiten behalten, aber vorsichtig sind, neue Flächen anzumieten. Sehr starke Folgen hat die Pandemie für die Bereiche Hotel und Einzelhandel. Dort sind die Preise vielfach zurückgegangen. Diese Entwicklung hatte sich bereits vor der Pandemie abgezeichnet, allerdings nicht in dieser Deutlichkeit.
 

Corona verstärkt also langfristige Trends im Immobilienmarkt?

Voigtländer: Ja, die Pandemie wirkt wie ein Trendbeschleuniger. Dazu drei Beispiele: Erstens haben schon zuvor viele Menschen online gekauft, der Lockdown beschleunigt diese Entwicklung massiv. Das belastet den Einzelhandel, gleichzeitig ist die Nachfrage nach Logistikstandorten für Lagerung und Versand von Produkten erheblich gestiegen. Zweitens haben noch mehr Menschen die Vor- und auch Nachteile des Mobile Working kennengelernt. Wir erwarten, dass in Zukunft mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten möchten. Drittens ziehen die Menschen seit einiger Zeit verstärkt ins Umland der Großstädte. Ich habe diese Zahlen bisher so interpretiert, dass sie in den Städten nicht das richtige Angebot gefunden haben, schließlich gibt es noch immer einen eklatanten Wohnungsmangel. Aber es hat wohl eine Präferenzverschiebung stattgefunden, die sich durch Corona verstärkt hat und in dieser Formel zusammenfassen lässt: Lieber ein Haus im Umland als eine Wohnung in der Stadt.

Sie haben es bereits erwähnt: Die Preise für Häuser und Wohnungen steigen weiter. Woran liegt das?

Voigtländer: In der Tat verwundert diese Entwicklung auf den ersten Blick, schließlich gibt es auf der Nachfrageseite deutliche Belastungen. Viele Menschen sind in Kurzarbeit, die Arbeitsmarktmigration ist zum Erliegen gekommen und die Löhne stagnieren, um einige Faktoren zu nennen. Dass die Preise dennoch nicht gefallen sind, führe ich auf mehrere Faktoren zurück. Schauen wir zunächst auf den Mietmarkt: In den Städten gibt es nach wie vor einen Wohnungsmangel, München baut nur zwei Drittel der benötigten Wohnungen, Berlin 70 Prozent, Köln und Leipzig weniger als die Hälfte. Dazu kommt, dass die Menschen wegen Lockdown, Home Schooling und Mobile Work mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen. Also investieren sie ihr Geld in größere Wohnungen oder in Häuser und sparen stattdessen beim Urlaub oder beim Auto. Das stabilisiert den Markt.

„Die Preise sind nicht überbewertet, sondern es gibt noch immer Luft nach oben.“

Und beim Immobilienkauf?

Voigtländer: Es gibt seit Jahren eine Diskussion darüber, ob es eine Spekulationsblase gibt. Wenn wir eine gehabt hätten, dann hätte ein Ereignis wie die Corona-Pandemie mit seinen negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft die Blase zum Platzen gebracht. Das haben wir aber nicht erlebt. Folglich sind die Preise nicht überbewertet, sondern es gibt noch immer Luft nach oben. Der entscheidende Grund dafür ist, dass die Zinssenkungen noch nicht vollumfänglich eingepreist sind. Unsere Simulationsmodelle am IW Köln zeigen, dass die Preise noch stärker steigen könnten – ohne, dass es zu einer Blasenbildung kommt.

Die eigene Wohnung bleibt also auch in Zeiten von immer weiter steigenden Immobilienpreisen erschwinglich?

Voigtländer: Es gibt seit jeher einen engen Zusammenhang zwischen Zinsen und Immobilienpreisen. Die Historie zeigt: Je niedriger die Zinsen sind, desto attraktiver ist es, in Immobilien zu investieren. Anleger können so eine höhere Rendite erzielen als mit anderen Anlageklassen, Häuslebauer ihre Kredite leichter finanzieren. Das gilt trotz des hohen Preisniveaus, welches eine Folge der gestiegenen Nachfrage ist. Denn die Prognosen zeigen, dass die niedrigen Zinsen wohl keine kurzfristige Anomalie sind, sondern voraussichtlich sehr lange auf dem Niveau bleiben. Schließlich gibt es in den Industrieländern weltweit eine alternde Bevölkerung und der Umbau zur Dienstleistungsgesellschaft benötigt nicht so viel Kapital. Aus diesen Gründen lohnt sich für viele Menschen ein Immobilienkauf, vor allem, wenn sie 30 oder 35 Jahre Zeit für die Tilgung haben.

„Die Wertschätzung für die eigenen vier Wände steigt.“

Sie haben davon gesprochen, dass die Menschen das Umland neu entdecken. Woher kommt dieser Trend?

Voigtländer: Dafür sprechen mehrere Gründe. Wegen der Erfahrungen durch den Lockdown steigt die Wertschätzung für die eigenen vier Wände, vor allem bei Familien, die plötzlich auch tagsüber eng aufeinandersaßen. Im Umland können sie sich größere und besser ausgestattete Wohnungen oder Häuser leisten. Auch die Natur direkt vor der Haustür ist ein großes Plus. Dazu kommt der Trend zum Mobile Office: Wer nicht fünfmal pro Woche in die Innenstadt pendeln muss, akzeptiert eher längere Pendelstrecken.

Also können sich die Bürgermeister von strukturschwachen Regionen über viel Zuzug freuen…

Voigtländer: Eher nicht. Von der Entwicklung profitieren vor allem die Klein- und Mittelstädte in der Nähe von Großstädten. Die Menschen wollen weiterhin eine gute Infrastruktur mit Schulen, ÖPNV und schnellem Internet – das können viele Gemeinden im ländlichen Raum nicht bieten. Es gibt übrigens eine Metropolregion in Deutschland, die diese Entwicklung schon durchgemacht hat.
 

München?

Voigtländer: Ja, weil München so teuer ist, ziehen die Menschen schon länger verstärkt ins Umland. Die Preise sind entsprechend gestiegen und teilweise höher als in anderen Großstädten. Aber für andere Regionen – Berlin, Köln, Nürnberg – zeigen unsere Analysen, dass das Umland in Zukunft weiter an Attraktivität gewinnt.

Der Gesetzgeber hat zuletzt stark in den Wohnimmobilienmarkt eingegriffen – Bestellerprinzip, Mietendeckel oder das geplante Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Welche Auswirkungen hat die zunehmende Regulierung?

Voigtländer: Ich bin kein Anhänger von solchen Maßnahmen, da sie am grundsätzlichen Problem, dass es zu wenige Wohnungen gibt, nichts ändern. Stattdessen verteilt der Gesetzgeber die Wohnungen anders oder schafft neue Probleme. Besonders kritisch sehe ich den Mietendeckel in Berlin. Seit der Einführung ist die Zahl der inserierten Wohnungen um 40 Prozent zurückgegangen, was vor allem für Wohnungssuchende ein riesiges Problem ist. Auch die langfristigen Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen: Vermieter können vielleicht ihren Kredit nicht mehr bedienen, außerdem haben sie keinen Anreiz, den Bestand zu modernisieren und energieeffizient sowie barrierefrei umzurüsten. Darunter leiden die Mieter – nicht heute, aber in ein paar Jahren. Auch das Umwandlungsverbot, welches Mieter vor Immobilienhaien schützen soll, ist nicht zielführend. Es verbaut die Chance für viele Menschen, ihre Wohnung zu erwerben.

Was schlagen Sie alternativ vor?

Voigtländer: Der Staat sollte bei der Grunderwerbssteuer nachbessern und diese senken. Schließlich müssen Hauskäufer in vielen Bundesländern heute acht Prozent der Kaufsumme für Nebenkosten wie eben die Grunderwerbssteuer, Notar oder Grundbuchkosten einplanen. Außerdem könnte der Staat Nachrangdarlehen gewähren, die Banken als Eigenkapital akzeptieren. Wichtig ist vor allem eine langfristige und rechtssichere Strategie, keine Einzelmaßnahmen nach dem Zufallsprinzip wie das Baukindergeld.

„Das Thema Energieeffizienz wird auf dem Mietmarkt noch zu Spannungen führen.“

Wie verändern die Bestrebungen nach mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit den Immobilienmarkt?

Voigtländer: Im vergangenen Jahrzehnt ist im Wohnimmobilienmarkt im Bereich Klimaschutz wenig passiert. Untersuchungen zeigen, dass der Aspekt Energieeffizienz wenig bis gar nicht relevant für die Kaufentscheidung war. Das verändert sich langsam: Durch die CO2-Abgabe steigt der Druck, da die Menschen es im Portemonnaie spüren, wenn sie mit Öl oder Erdgas heizen. Das Thema Energieeffizienz wird auf dem Mietmarkt noch zu Spannungen führen. Denn wenn die Vermieter ihre Gebäude entsprechend modernisieren, müssen sie die Mieten erhöhen, um die Kosten zu decken. Um das abzufedern, müssen wohl Subventionen eingeführt werden.
 

Und bei Neubauten?

Voigtländer: Das Thema ist brandaktuell, erst vor Kurzem hat die Bezirksamtsleitung in Hamburg-Nord entschieden, dass dort keine Einfamilienhäuser mehr gebaut werden dürfen. Andere Kommunen werden diese Entwicklung aufgreifen. Ich sehe einen großen Konflikt zu den Wünschen der Bürger, denn in allen Befragungen zeigt sich, dass das Einfamilienhaus die mit Abstand beliebteste Wohnform ist. Es besteht die Gefahr, dass die Menschen ihre Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen versagen, wenn sie kein Eigenheim mehr bauen dürfen. Aus meiner Sicht ist ein Verbot auch nicht notwendig, stattdessen sollten wir verstärkt auf einen Mix aus Ein- und Mehrfamilienhäusern setzen. Gerade in Städten und boomenden Regionen ergibt das absolut Sinn. Wo aber tatsächlich Handlungsbedarf herrscht: Es gibt zahlreiche Regionen, die schrumpfen, aber dennoch neue Baugebiete für Einfamilienhäuser ausweisen. Dort sollte man eher den Bestand sinnvoll modernisieren.

Wir haben nun viel über Wohnimmobilien gesprochen – auch bei Gewerbeeinheiten und Einkaufszentren auf der grünen Wiese gibt es häufig Kritik am „Flächenfraß“. Wie entwickelt sich vor diesem Hintergrund der Markt für Gewerbeimmobilien?

Voigtländer: In der Tat gibt es immer mehr Bürgerinitiativen, die sich beispielsweise gegen Logistikzentren wehren. Und in vielen Fällen haben sie durchaus schlüssige Argumente: Manchmal gibt es in der Nähe bereits bebaute Flächen, auf denen Leerstand herrscht. Diese Flächen sollten zunächst sinnvoll umgewandelt werden. Ich warne allerdings davor, keine neuen Gewerbegebiete auszuweisen. Gerade die Großstädte wachsen weiter und damit es auch in Zukunft genug Arbeitsplätze gibt, braucht es entsprechend Platz. Wir sollten froh sein, wenn Unternehmen in Deutschland produzieren möchten – und ihnen dafür auch passende Flächen zur Verfügung stellen.

Der Einzelhandel befindet sich im Umbruch: Während vielerorts die Umsätze im stationären Handel zurückgehen, boomt gleichzeitig der Online-Handel. Welche Folgen hat das?

Voigtländer: Es ist zunächst einmal ein großes Problem für die Eigentümer, wenn sie keine Mieter finden. Die leerstehenden ehemaligen Geschäfte von Galeria Karstadt Kaufhof stehen exemplarisch für die Herausforderung. Letztlich trifft diese Entwicklung die gesamte Stadt, denn die Innenstadt ist Aushängeschild und Treffpunkt, wo die Menschen zusammenkommen. Es kann den ganzen Ort herunterziehen, wenn es dort nur noch Ein-Euro-Läden oder Leerstand gibt. Deshalb müssen Eigentümer und Geschäftsinhaber mit Vertretern von Kommunen und Gesellschaft zusammen überlegen, wie sich leerstehende Flächen besser nutzen lassen. Ideen gibt es genug: Beispielsweise Freiraum für Künstler und Events schaffen oder Einzelhandelsflächen in Wohnungen umwandeln und dadurch die Innenstadt kompakter gestalten.

„Der Büromarkt zeigt sich stabil.“

Das Thema Mobile Office hatten Sie bereits mehrfach angesprochen. Wie entwickelt sich unter anderem vor diesem Hintergrund der Markt für Büroimmobilien?

Voigtländer: Im letzten Jahr haben wir uns noch Sorgen gemacht. Aber: Der Markt zeigt sich stabil. Nach einer unserer Umfragen wollen lediglich rund 6 Prozent der Unternehmen ihre Flächen reduzieren. Es geht also nicht um Verkleinerung, sondern darum, den vorhandenen Raum besser zu nutzen und beispielsweise neue Arbeitswelten zu schaffen. Der Büromarkt gerät folglich nicht unter Druck, jedoch steigt der Bedarf nicht wie im vergangenen Jahrzehnt. Spannend ist sicherlich die Frage, was sich im Umland der Großstädte tut, wenn immer mehr Menschen dorthin ziehen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein großes Unternehmen mit Sitz in München beispielsweise eine Infrastruktur in Rosenheim aufbaut, wenn dort viele Mitarbeiter wohnen. Auch Initiativen wie Co-Working-Spaces, die besonders in Berlin und Umgebung beliebt sind, könnten ein Zukunftsmodell sein.

Wenn Sie abschließend einen Blick in die Kristallkugel werfen: Mit welchen Preisentwicklungen rechnen Sie auf dem Immobilienmarkt?

Voigtländer: Ich rechne damit, dass die Mieten in Großstädten nicht mehr deutlich steigen, vor allem in München sind Schwellen erreicht, die sich nicht beliebig weiter ausreizen lassen. Dahingegen könnten sich die Preise und Mieten im Umland der Städte weiter erhöhen. Im Büromarkt werden wir ein geringes Wachstum sehen, eher in Richtung Stagnation. Und im Einzelhandel kommt es stark auf den Sektor und die Lage an. Baumärkte oder Lebensmittel laufen gut, bei anderen Warengruppen und 1B- sowie 1C-Lagen rechne ich jedoch mit Preisrückgängen.
 

Herr Professor Voigtländer, vielen Dank für das Gespräch!

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