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Zusammenfassung

  • Die Agrarwirtschaft hat auf sehr lange Sicht deutlich an Bedeutung für die Gesamtwirtschaft verloren. Betrug der Anteil der Landwirtschaft an der gesamten deutschen Bruttowertschöpfung im Jahr 1970 noch 3,3 Prozent, war es im Jahr 2022 lediglich noch 1,0 Prozent.
  • Landwirtschaftliche Betriebe haben sich angesichts des gestiegenen Wettbewerbs und der zunehmenden Abhängigkeit von Weltmarktpreisen für heimische Agrarprodukte von kleinen Höfen, die zumeist im Nebenerwerb bewirtschaftet wurden, immer mehr zu mittelständischen Wirtschaftsunternehmen entwickeln müssen.
  • Die seit dem Jahr 2022 zu beobachtende Verteuerung der Lebensmittel ist zwar auch auf einen deutlichen Anstieg der Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte zurückzuführen. Auf lange Sicht hin entwickelten sich die Abgabepreise der Landwirte allerdings wesentlich weniger dynamisch als die Verbraucherpreise für Lebensmittel.
  • Der weitere Umbau der landwirtschaftlichen Betriebe hin zu wirtschaftlich effizienten, digitalisierten Unternehmen, die darüber hinaus die zunehmenden Umweltschutz- und Tierschutz-Anforderungen an sie erfüllen, wird ein hohes Investitionsvolumen erfordern. Das erhöht den Druck zur Bildung größerer Betriebseinheiten.
  • Die DZ Bank erwartet einen Rückgang von 256.000 Betrieben im Jahr 2022 auf rund 100.000 Höfe im Jahr 2040. Im gleichen Zeitraum wird die Durchschnittsgröße eines Betriebs von 64,8 Hektar auf 160 Hektar zulegen.

Die aktuellen Bauernproteste lenken den Blick einmal mehr auf den wichtigen Agrarsektor, der zwar nach Zahlen eine vergleichsweise geringe wirtschaftliche Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft aufweist. Die Landwirtschaft ist aber notwendig, um die heimische Versorgung mit Nahrungsmitteln auch in Krisenzeiten sicherzustellen. Auf den ersten Blick erscheint die Landwirtschaft als traditionelle, vielleicht sogar altmodische Branche und tatsächlich hat die Agrarwirtschaft auf sehr lange Sicht merklich an Bedeutung für die Gesamtwirtschaft verloren.

Betrug der Anteil der Landwirtschaft an der gesamten deutschen Bruttowertschöpfung im Jahr 1970 noch 3,3 Prozent, war es im Jahr 2022 lediglich noch 1,0 Prozent. Damit fiel der Bedeutungsverlust in der Landwirtschaft intensiver aus als in der Industrie. Der Anteil von produzierendem Gewerbe und Baugewerbe an der gesamten deutschen Wertschöpfung sank im gleichen Zeitraum von 48,3 Prozent auf 29,7 Prozent. Letztendlich war dies das Ergebnis der Entwicklung der deutschen Wirtschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Die Dienstleistungen bauten ihren Anteil an der Wertschöpfung von 48,3 Prozent im Jahr 1970 auf mittlerweile knapp 70 Prozent aus.

Tiefgreifender Strukturwandel

Die Landwirtschaft in Deutschland befindet sich schon seit vielen Jahren in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Landwirtschaftliche Betriebe haben sich angesichts des gestiegenen Wettbewerbs und der zunehmenden Abhängigkeit von Weltmarktpreisen für heimische Agrarprodukte von kleinen Höfen, die zumeist im Nebenerwerb bewirtschaftet wurden, immer mehr zu mittelständischen Wirtschaftsunternehmen entwickeln müssen. Gestiegene Anforderungen durch Bürokratie und Betriebswirtschaft steigerten zusätzlich die Belastung der Betriebe. Dadurch blieb auch immer weniger Zeit für die eigentliche landwirtschaftliche Tätigkeit.

Kein Bedeutungsverlust

Zumindest auf wirtschaftlicher Ebene scheint sich aber für die Branche insgesamt bereits ein Erfolg aus dem Umbau der landwirtschaftlichen Höfe zu mittelständischen Unternehmen abzuzeichnen. Die vergangenen zehn Jahre zeigten, dass die Landwirtschaft eine ebenso „spannende“ Entwicklung durchläuft wie die Industriebranchen. Angesichts der durch Globalisierung und zunehmende Marktwirtschaft gestiegenen Herausforderungen unterscheiden sich moderne landwirtschaftliche Betriebe mittlerweile in der Unternehmensführung gar nicht mehr so deutlich von Unternehmen in anderen Segmenten des produzierenden Gewerbes.

Auch der „Bedeutungsverlust“ der Landwirtschaft hat sich nicht weiter fortgesetzt. Die aktuellen Wertschöpfungsanteile der Sektoren sind seit rund zehn Jahren mehr oder weniger stabil. 2022 konnte der Anteil der Landwirtschaft sogar wieder leicht zulegen.

Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe erheblich gesunken

Der extreme Umbruch in der deutschen Landwirtschaft lässt sich auch an zwei weiteren Schlüsselkennzahlen ablesen: Gab es 1949 noch 1,8 Millionen landwirtschaftliche Betriebe, waren es 2022 nur noch 256.000 Höfe mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 64,8 Hektar. 1949 lag dieser Wert sogar nur bei 7,4 Hektar. Die langfristig deutlich gewachsene Durchschnittsgröße der Betriebe ist eine Folge der zunehmenden ökonomischen Herausforderungen, denen sich ein modernes Agrarunternehmen heute stellen muss. Aufgrund der sogenannten „Economies of Scale“ können größere Betriebe effizienter und wettbewerbsfähiger arbeiten als kleine Höfe.

Betriebe in Süddeutschland deutlich kleiner

Die durchschnittliche Betriebsgröße unterscheidet sich allerdings beträchtlich nach Bundesländern. Während sie in Bayern und Baden-Württemberg bei rund 37 Hektar liegt, sind es in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern über 280 Hektar. Die Größe der ostdeutschen Betriebe ist allerdings eher historisch bedingt und geht letztendlich noch auf die Großbetriebe in der früheren DDR zurück.

Preissteigerungen ermöglichten Sonderkonjunktur

Die seit dem Jahr 2022 zu beobachtende Verteuerung der Lebensmittel ist zwar auch auf einen deutlichen Anstieg der Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte zurückzuführen. Auf lange Sicht hin entwickelten sich die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise allerdings wesentlich weniger dynamisch als die Verbraucherpreise für Lebensmittel. Die Landwirte können aktuell zwar immerhin knapp 50 Prozent mehr für ihre Produkte verlangen als vor über 30 Jahren. Die Verbraucherpreise haben sich seit 1991 aber fast verdoppelt, die Verbraucherpreise für Lebensmittel stiegen sogar noch stärker. Zudem waren die Preiserhöhungen der Landwirte überwiegend eine Reaktion auf ihre gestiegenen Betriebsmittelkosten.

Die Preissteigerungen der letzten Zeit bedeuten aber nicht, dass der Agrarsektor nun zu einem dynamischen Wachstumsträger der deutschen Wirtschaft geworden ist. Stattdessen verläuft die Wertschöpfung in der Landwirtschaft preisbereinigt bereits seit Jahrzehnten tendenziell seitwärts. Die aktuelle Entwicklung stellt daher nur eine vorübergehende Sonderkonjunktur dar. In Deutschland ist das mengenmäßige Absatzpotenzial der Branche beschränkt. Ein merkliches Mengenwachstum ist aufgrund der Bevölkerungsentwicklung nicht zu erwarten. Dementsprechend kann die Branche nur unter der Voraussetzung einer positiven Preisentwicklung und/oder einer zunehmenden Auslandsnachfrage nennenswert wachsen.

Dass die Landwirtschaft durch Preissteigerungen im Trend immerhin zumindest moderat und in einigen Jahren wie etwa 2022 sogar deutlich zulegen kann, beweist die Entwicklung der nominalen Wertschöpfung während der vergangenen Jahrzehnte. Allerdings zeigt sich an der Entwicklung der vergangenen Jahre auch die mittlerweile stark gestiegene Volatilität bei den Preisen.

Verstärktes „Höfesterben“ zu erwarten

Der weitere Umbau der landwirtschaftlichen Betriebe hin zu wirtschaftlich effizienten, digitalisierten Unternehmen, die darüber hinaus die zunehmenden Anforderungen aus Umwelt- und Tierschutz erfüllen, wird ein hohes Investitionsvolumen erfordern. Das erhöht den Druck zur Bildung größerer Betriebseinheiten weiter. Hinzu kommt die sich verschärfende Nachfolgeproblematik, von der viele Landwirte in den nächsten Jahren betroffen sein dürften. Spätestens wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Ruhestand gehen, ist mit einer verstärkten Dynamik beim „Höfesterben“ zu rechnen.

Bei nichtlandwirtschaftlichen Arbeitnehmern setzt die Verrentung der in den 60er Jahren geborenen geburtenstarken Jahrgänge bereits Mitte der 2020er Jahren ein. Selbstständige Landwirte arbeiten jedoch häufig deutlich länger als Arbeitnehmer. Die „Verrentungswelle“ in der Landwirtschaft wird dementsprechend verzögert einsetzen und sich vor allem in den 2030er Jahren abspielen. Dann wird sich der Rückgang der Zahl der Bauernhöfe aber nochmals spürbar beschleunigen.

Wir erwarten einen Rückgang von 256.000 Betrieben im Jahr 2022 auf etwa 100.000 Höfe im Jahr 2040. Da die landwirtschaftliche Fläche in Deutschland bis 2040 weitgehend unverändert bleiben dürfte, wird die Durchschnittsgröße eines Betriebs von 64,8 Hektar im Jahr 2022 auf 160 Hektar im Jahr 2040 zulegen. Der Wettbewerb führt also zu deutlich weniger, aber gleichzeitig auch zu wesentlich größeren und damit auch wettbewerbsfähigeren Betrieben. Zum Vergleich: Nach Angaben des US Department for Agriculture (USDA) betrug die durchschnittliche Farmgröße in den USA im Jahr 2022 446 acres. Dies entspricht rund 180 Hektar. Im Gegensatz zu Deutschland ist sie jedoch seit den 70er Jahren weitgehend stabil geblieben.

Fazit

Digitalisierung, Nachfolgeprobleme, Regulierungsmaßnahmen für Umwelt- und Tierschutz und ein intensiver Preiswettbewerb sorgen dafür, dass sich der landwirtschaftliche Strukturwandel fortsetzen wird. Dazu sind auch hohe Investitionen in Maschinen und Technik notwendig. Insgesamt wird die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland noch kapitalintensiver, als sie heute bereits ist.

Das Flächenwachstum der Höfe dürfte vor allem über zugepachtete Felder von Bauern, die ihren Betrieb aufgeben, erfolgen. Durch die Digitalisierung der Landwirtschaft sinkt zwar der Arbeitskräftebedarf. Gleichzeitig erfordern neue Techniken und größere Betriebe jedoch eine hohe fachliche Qualifikation. Viele Landwirte haben dies erkannt, bilden sich selbst weiter und sorgen für eine gute Ausbildung des Nachwuchses.

Trotzdem droht langfristig die Abkehr vom Jahrhunderte alten Modell des bäuerlichen Familienbetriebes mit selbstständigen Bauern, kleinen Betrieben und mithelfenden Familienangehörigen. Künftig dürften zunehmend zwar inhabergeführte, aber große, kapitalintensive und betriebswirtschaftlich organisierte Agrarunternehmen die Branche prägen. Diese neue Generation landwirtschaftlicher Unternehmen nutzt intensiv modernste Technik und greift trotz rückläufigem Arbeitskräfteeinsatz auf familienfremde Fachkräfte zurück. Der traditionelle bäuerliche Familienbetrieb sollte seine Chance vor allem in der Spezialisierung und in der Öko-Landwirtschaft suchen. Aber auch die Genossenschaftsidee kann kleineren Betrieben helfen, die nötige Größe und Verhandlungsmacht zu erreichen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.


Claus Niegsch ist Economist bei der DZ Bank.

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