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Herr Semmelmann, die Raiffeisenbank Straubing verlässt beim Marketing gerne die ausgetretenen Pfade. Warum machen Sie das?

Korbinian Semmelmann: Wir verfolgen vor allem zwei Ziele. Erstens, zu möglichst geringen Kosten eine große Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dabei helfen außergewöhnliche Aktionen ungemein. Zeitungen greifen sie gerne auf und die Menschen sprechen darüber in den sozialen Netzwerken. Zweitens stärken wir unser Image als moderne sowie innovative Bank und erhöhen dadurch gleichzeitig unsere Kundenbindung.
 

Wie gehen Sie vor?

Semmelmann: Es gibt verschiedene Strategien. Eine Möglichkeit ist es, für Überraschungseffekte zu sorgen. Zum Beispiel haben wir einen neuen Geldautomaten an einem strategisch günstigen Standort mitten in einem Gewerbegebiet aufgestellt. Unsere Aufgabe als Marketingabteilung war es, den Automaten bekannt zu machen. Also haben wir dem Geldautomaten eine überdimensionale Weihnachtsmannmütze aufgesetzt sowie das Gewinnspiel „Abheben und Abkassieren“ ins Leben gerufen. Das funktionierte so: Zwischen dem 1. und dem 24. Dezember haben wir jeden Tag bei einer Person, die an dem Automaten Geld abgehoben hat, den Betrag im Nachhinein verdoppelt. Über das Gewinnspiel haben die Zeitungen berichtet und auf diese Weise für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Mittlerweile ist das unser Geldautomat mit den meisten Abhebungen und den meisten Erträgen.

Der Geldautomat hat auch in einem Musikvideo eine wichtige Rolle gespielt, oder?

Semmelmann: Wir haben eine lokale Band namens Trio Voigas gebeten, ein Lied über die Raiffeisenbank Straubing zu schreiben. Damit es authentisch ist, haben wir keine Vorgaben gemacht. Auf diese Weise ist das Straubinger Raiffeisenliad entstanden. Zur Premiere haben die Musiker den Song auf dem Dach des Geldautomaten gespielt. Dazu haben wir ein Musikvideo gedreht. Das ist super angekommen. Seitdem nutzen wir das Straubinger Raiffeisenliad für die Warteschleife im KundenServiceCenter, für Werbespots sowie bei Veranstaltungen.

Umso besser, wenn man das Lied mehrfach nutzen kann…

Semmelmann: Es geht immer darum, die maximale Reichweite aus allen Aktionen zu generieren. Das Lied kommt super an, deswegen können wir es immer wieder spielen. Aber natürlich haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir den Song noch einmal überraschend inszenieren können. Eine gute Gelegenheit ergab sich durch eine Spende an das Straubinger Jugendorchester. Wir haben angefragt, ob das Orchester das Raiffeisenliad als neue, orchestrale Version bei der Spendenübergabe aufführen würde. Zu der Aktion haben wir Medien eingeladen, aber unserem Vorstand Stefan Hinsken nichts erzählt. Als er dann den symbolischen Spendenscheck überreicht hat, kamen plötzlich rund 70 Mitglieder des Orchesters auf die Bühne und haben das Lied aufgeführt. Das hat ihn total überrascht und für Gänsehaut gesorgt. Auf diese Weise war die Spendenübergabe plötzlich ein Ereignis, über das die Zeitungen und der lokale Fernsehsender berichtet haben. Auch wir haben einen Beitrag für unsere sozialen Netzwerke erstellt – das war der Beitrag mit den meisten Interaktionen und Reaktionen im gesamten Jahr. Und das beste: Da wir alles selbst gefilmt und geschrieben haben, hat uns die ganze Aktion nicht einen Euro gekostet. Die Spende hätten wir ja so oder so geleistet.

Haben Sie ein weiteres Beispiel, wie man als Bank einen Überraschungseffekt erzielen kann?

Semmelmann: Wenn man vor allem jüngere Paare fragt, wie sie sich kennengelernt haben, antworten viele: per Dating-App. Wir haben uns überlegt, wie wir diesen Trend nutzen können. Herausgekommen ist unser Berater-Match, sozusagen eine Dating-App für den Bankberater. Kerngedanke ist, dass sich Berater und Kunde besser verstehen, wenn sie die gleichen Interessen teilen – und dadurch die Wahrscheinlichkeit auch größer ist, dass sie mehr Geschäft miteinander machen. Also haben wir eine Webseite erstellt, bei der sich die Kunden durch sechs Fragen klicken. Zum Beispiel: Wie verbringen sie ihre Freizeit? Oder: Wohin fahren sie gerne in Urlaub? Ein Algorithmus gleicht die Eingaben mit den Antworten unserer Berater ab und schlägt den Kunden denjenigen Berater vor, der am besten zu den Interessen passt. Auf diese Weise haben wir über 15.000 Menschen erreicht und viel Neukundengeschäft generiert. Dazu kommt: Mit dem Angebot richten wir uns explizit an die schwer zu erreichende junge Zielgruppe und senken zudem die Hürde für den Erstkontakt mit der Bank.

Das waren sehr praxisnahe Beispiele, wie sich Überraschungseffekte erzielen lassen. Gibt es weitere Strategien für kreative Marketingaktionen?

Semmelmann: Wir setzen regelmäßig die sogenannte TAS-Mechanik ein. TAS steht für Tag, Aktion und Spende. Das bedeutet: Wir suchen uns einen besonderen Tag oder einen besonderen Zeitraum aus, fordern eine Personengruppe auf, eine bestimmte Aktion durchzuführen und geben dafür eine Spende an eine soziale Einrichtung.


Können Sie das an einer konkreten Aktion deutlich machen?

Semmelmann: 2019 haben wir zum Valentinstag eine Parkbank auf dem Stadtplatz in Straubing aufgestellt. Kinder des damaligen Kreiskinderhauses – inzwischen Teil des Thomas-Wiser-Hauses für Kinder und Jugendliche mit heilpädagogischem Betreuungsbedarf – haben die Bank bemalt. Dann haben wir auf den sozialen Netzwerken und über die Medien mitgeteilt: Für jeden Kuss auf dieser „Love Bank“ spenden wir zehn Euro an das Kreiskinderhaus. Das hat eine große Reichweite mit über 150.000 Kontakten erzielt. Vor Ort geküsst haben sich im ersten Jahr über 170 Menschen. Weil die Aktion so erfolgreich lief, wiederholen wir sie seitdem jedes Jahr. Wegen der Corona-Pandemie fand sie 2021 und 2022 digital statt.

Wie lässt sich die TAS-Mechanik noch einsetzen?

Semmelmann: Seit einigen Jahren sind im November sogenannte Movember-Aktionen angesagt. Männer lassen sich Schnurrbärte – englisch Moustache – wachsen, um Spenden für die Erforschung von Prostatakrebs und anderen Männerkrankheiten zu sammeln. Wir könnten uns vorstellen, beispielsweise eine Sportmannschaft aufzufordern, sich Movember-Bärte wachsen zu lassen. Dafür würden wir Geld an ein Klinikum oder eine Forschungseinrichtung spenden. Oder wir könnten zum Welttierschutztag die Menschen bitten, ein Foto zu schicken, wie sie mit ihrem Hund Gassi gehen. Im Anschluss würden wir dann das lokale Tierheim unterstützen.


Ist es auch vorstellbar, dass sich die Kolleginnen und Kollegen in der Bank an solchen Aktionen beteiligen?

Semmelmann: Ja, das kann gut funktionieren. Wir haben beispielsweise ein Azubi-Spenden-Takeover organisiert. Drei unserer Azubis – Tobias, Michelle und Vicky – haben einen Tag lang eine gemeinnützige Organisation begleitet und darüber auf unserem Instagram-Account berichtet. Tobias war beispielsweise mit der Tierrettung Niederbayern unterwegs. Im Anschluss konnten die Nutzer abstimmen, welche Einrichtung ihnen am besten gefallen hat. Auf dieser Basis haben wir dann abgestuft Geld gespendet. Die Aktion hat uns viele digitale Kontakte beschert, auch die lokale Presse hat berichtet.


Welche Vorteile bietet es, die TAS-Mechanik zu nutzen?

Semmelmann: Dank der TAS-Mechanik lässt sich eine sehr hohe Reichweite erzielen. Dazu hilft es, sich in die Rolle von Journalisten und Redakteuren hineinzuversetzen: Warum sollten die über eine normale Spendenübergabe an ein Tierheim berichten? Wenn es aber eine passende Aktion gibt und sich zahlreiche Menschen daran beteiligt haben, dann ist das ein toller Aufhänger für die Medien, einen entsprechenden Artikel zu veröffentlichen.


Wo sehen Sie neben den Überraschungseffekten und der TAS-Mechanik weitere Chancen, Marketing kreativ zu gestalten?

Semmelmann: Wir sind gerne medialer Trittbrettfahrer. Versetzen wir uns dazu in das Jahr 2019. Damals haben viele Zeitungen und Fernsehsender über Plastikmüll berichtet. Und just zu dem Zeitpunkt haben wir eine neue Geschäftsstelle aufgemacht. Also haben wir uns überlegt, wie können wir das miteinander verbinden. Ergebnis: Wir eröffnen Deutschlands erste plastikfreie Bankfiliale. Ganz funktioniert hat es zugegebenermaßen nicht, einen Info-Monitor oder einen Geldautomaten gibt es nicht plastikfrei. Aber: Wir haben bei allen Büro- und sonstigen Materialien auf Alternativen gesetzt. Beispielsweise gibt es einen Taschenrechner aus Bambus, einen Klammerhefter aus Kirschholz, Unterlagen aus Apfelleder und so weiter. Dafür gab es ein großartiges Presseecho – beispielsweise hieß es „Raiffeisen als Vorreiter“ oder „erste plastikfreie Filiale“. Solche Botschaften sind die ideale Werbung für unser Haus.


Das zahlt auch auf das Thema Nachhaltigkeit ein…

Semmelmann: Ja, Nachhaltigkeit ist für uns generell ein wichtiges Thema in der Kommunikation. Beispielsweise haben wir – wie viele andere Volksbanken und Raiffeisenbanken auch – Bäume gepflanzt. Dazu haben wir die Aktion „O’pflanzt is“ aufgelegt. Das Prinzip: Für jeden Kunden und jede Kundin, die auf elektronische Kontoauszüge umstellen, pflanzen wir einen Baum. Das ist sehr gut angekommen, im Jahr 2020 haben wir daher unseren ersten Raiffeisenwald mit über 4.000 Bäumen und Sträuchern angelegt. Jüngst ist ein zweiter Wald mit rund 2.000 Bäumen dazugekommen.

Haben Sie auch schon versucht, die Menschen spielerisch für ein Thema zu begeistern?

Semmelmann: In der Tat. Viele Menschen in Deutschland sind skeptisch gegenüber Aktien. Deshalb haben wir überlegt, wie wir das Thema spielerisch näherbringen können. Also haben wir den DEX entwickeln lassen – den Deutschen Eisindex. Dieser zeigt anhand des Kursverlaufs die Nachfrage nach Eissorten an. Mit einem lokalen Eiscafé haben wir zwei Aktionstage veranstaltet. An diesen Tagen konnten sich die Menschen kostenfrei eine Kugel Eis holen. Auf dem Tresen stand ein Monitor mit dem DEX. Haben nun viele Menschen zum Beispiel für Schokoladen- und Erdbeereis entschieden, sind die Kurse dieser Sorten gestiegen. Die Kurse für Vanille- und Kirscheis sind hingegen in den Keller gerauscht. Die Resonanz zu der Aktion war sehr positiv.

Können Sie abschließend die wichtigsten Punkte zusammenfassen, wie Banken mit kreativen Marketingaktionen viel Aufmerksamkeit erzeugen können?

Semmelmann: Erstens: Überraschen Sie! Mit mutigen, kreativen und innovativen Aktionen schafft man es in die Medien und erreicht viele Menschen. Zweitens: Maximieren Sie die Reichweite und die Wirkung ihrer Spendenübergaben. Nicht nur den Scheck überreichen, sondern einen Aufhänger finden, damit es die Menschen interessiert und sie ihren Freunden davon erzählen. Drittens: Nutzen Sie die überregionale Berichterstattung als Sprungbrett. Es gibt immer wieder die Gelegenheit, aktuelle Themen aufzugreifen und dazu auf lokaler Ebene Aktionen durchzuführen.


Haben Sie gemessen, welchen Effekt Ihre Aktionen haben?

Semmelmann: Wir lassen regelmäßig untersuchen, welches Image die Raiffeisenbank Straubing bei den Menschen in der Region hat. Seitdem wir auf unsere kreative Marketingstrategie setzen, sind unsere Werte bei Themen wie Digitalkompetenz, Nachhaltigkeit oder moderner Kommunikation gestiegen. Das zeigt, dass unsere Anstrengungen wahrgenommen werden. Zudem hat uns eine Umfrage von Focus Money bestätigt, dass wir auf einem guten Weg sind. In der Kategorie „Beste Marke bei Banken“ haben wir deutschlandweit den fünften Platz belegt. In der Kategorie Nachhaltigkeits-Image bei VR-Banken sieht uns Focus Money auf Platz vier. Darüber hinaus haben wir für unser Engagement den Straubinger Unternehmenspreis 2022 gewonnen, worauf wir besonders stolz sind. Das zeigt: Wenn wir in kreative und aufmerksamkeitsstarke Aktionen investieren, dann wird das wahrgenommen und honoriert.


Herr Semmelmann, vielen Dank für das Gespräch!

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