Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

    Anzeige

Anzeige

Herr Vogel, die neue Bundesregierung will die Bürger-Energie und den dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien stärken. Sie sind Vorstand der Jurenergie e.G. aus Neumarkt in der Oberpfalz, die mit Bürgerbeteiligung mehrere Photovoltaik- und Windkraft-Projekte realisiert hat. Warum ist Bürgerbeteiligung wichtig für das Gelingen der Energiewende?

Michael Vogel: Ganz einfach, weil es ohne die Bürgerinnen und Bürger nicht geht. Sie sind direkt betroffen, wenn sprichwörtlich vor ihrer Haustüre neue Photovoltaik- oder Windkraft-Anlagen entstehen. Diese Anlagen brauchen wir, um den enormen Bedarf an erneuerbaren Energien zu decken, der in Zukunft weiter steigen wird. Wenn die Bürger bei solchen Projekten nur die Nachteile sehen, weil sie nicht unmittelbar teilhaben, dann lassen sich solche Anlagen wenn überhaupt nur mit erheblichem Widerstand realisieren. Deshalb ist es so wichtig, durch die unmittelbare Beteiligung der Bürger Akzeptanz zu schaffen – in erster Linie für die Projekte vor Ort, aber auch für die Energiewende allgemein.
 

Wie können die Bürger am besten an Energiewende-Projekten beteiligt werden?

Vogel: Über den Geldbeutel, indem sie auch finanziell von solchen Projekten profitieren und ein Mitbestimmungsrecht haben. Dazu müssen die Bürger die Möglichkeit haben, Eigentum an örtlichen Energiewende-Projekten wie einer Photovoltaik-Anlage, einem Windpark oder einem Nahwärmenetz zu erwerben, entweder direkt oder indem sie Mitglied einer Energiegenossenschaft werden, die diese Anlagen betreibt. Als Teilhaber einer Genossenschaft werden die Bürgerinnen und Bürger Miteigentümer eines Unternehmens, das ihnen echte Mitbestimmungsrechte garantiert und dem die Anlagen dauerhaft gehören. Das erhöht die Akzeptanz enorm. Wenn die Bürger nur als Darlehensgeber oder als virtuelle Miteigentümer auftreten, bleiben ihnen diese Mitbestimmungsrechte verwehrt. Ich finde es wichtig, darüber ein gemeinsames Verständnis in Politik und Gesellschaft zu erzielen, was Bürgerbeteiligung wirklich heißt und wie sie konkret auszugestalten ist. Meiner Wahrnehmung nach fehlt dieser Konsens an vielen Stellen.

„Wichtig ist, dass die Bürgerbeteiligung sowohl finanziell als auch formell niederschwellig bleibt.“

Wie lässt sich die finanzielle Beteiligung der Bürger an Energiewende-Projekten konkret gestalten?

Vogel: Wichtig ist dabei, dass die Bürgerbeteiligung sowohl finanziell als auch formell niederschwellig bleibt. Die Anteile müssen zum einen für jedermann erschwinglich sein. Zum anderen sollten auch formell die Hürden niedrig gehalten werden. Der Mitgliedsantrag einer Genossenschaft oder die Beteiligung an einem Energiewende-Projekt sollten mit möglichst wenig Bürokratie auskommen.


Warum halten Sie Genossenschaften besonders gut dafür geeignet, um die Menschen an Energiewende-Projekten zu beteiligen?

Vogel: Ich will gar nicht sagen, dass echte Bürgerbeteiligung nur mit einer Genossenschaft möglich ist, aber sie funktioniert auf diese Weise am besten. Neben den garantierten Mitbestimmungsrechten in der General- oder Vertreterversammlung ermöglichen die allermeisten bayerischen Energiegenossenschaften eine Mitgliedschaft niederschwellig schon mit einem relativ geringen Betrag. Bei der Jurenergie e.G. ist das zum Beispiel schon ab 500 Euro möglich. Die Bürger können ganz einfach schriftlich beitreten. Dafür ist kein Notar nötig.

„Kommunen haben durch ihre Planungshoheit die Möglichkeit, bei Energiewende-Projekten konkret vorzugeben, die Bürger vor Ort finanziell zu beteiligen.“

Warum betonen Sie das Thema Bürgerbeteiligung gerade jetzt so stark?

Vogel: Weil ich mir von der neuen Bundesregierung erwarte, dass sie ihren Ankündigungen zur Energiewende bald Taten folgen lässt. Daraus werden sich hoffentlich viele Chancen für neue Erneuerbare-Energie-Projekte ergeben – wenn wie gesagt die Bürger beziehungsweise echte Bürgerenergiegesellschaften frühzeitig mit eingebunden werden. Gott sei Dank haben viele Politiker, aber auch viele Projektanten und Planer erkannt, dass die Energiewende ohne Mitbestimmungsrecht und finanzielle Beteiligung der Bürger auf Widerstände stößt. Dennoch habe ich das Gefühl, dass diese Erkenntnis noch nicht überall den Stellenwert genießt, den sie haben sollte. Mein Anliegen ist es, dafür ein Bewusstsein zu schaffen. Insbesondere die Kommunen haben durch ihre Planungshoheit die Möglichkeit, Projektanten von Energiewende-Projekten konkret vorzugeben, die Bürger vor Ort finanziell zu beteiligen. Diese Chance sollten sie nutzen und sich nicht mit vermeintlicher Bürgernähe abspeisen lassen, die letztlich aber nur auf dem Etikett steht.

„Es liegt an den Vorständen, die Bürgermeister und Gemeinderäte von den Vorteilen ihrer Genossenschaft zu überzeugen.“

Wie kann den Kommunen eine bessere Vorstellung davon vermittelt werden, was genossenschaftliche Bürgerenergie wirklich bedeutet?

Vogel: Hier stehen wir in der Tat vor einer großen Herausforderung. Zuvorderst hat natürlich jede Genossenschaft selbst die Verantwortung, sich ins Gespräch zu bringen und aktiv den Kontakt mit kommunalen Mandatsträgern zu suchen. Es liegt an den Vorständen, die Bürgermeister und Gemeinderäte von den Vorteilen ihrer Genossenschaft zu überzeugen. Mein Gefühl sagt mir, dass die Energiegenossenschaften in manchen Gemeinden etwas in Vergessenheit geraten sind. Das mag daran liegen, dass die dezentrale Energiewende in den vergangenen Jahren politisch ins Hintertreffen geraten ist, aber auch an Personalwechseln in dem einen oder anderen Rathaus. Auf der anderen Seite werden Bürgermeister, Gemeinderäte und Rathausmitarbeiter mit einer Fülle von Sachverhalten konfrontiert, sodass ihnen oft gar nicht die Zeit bleibt, sich mit einem Thema wirklich intensiv zu beschäftigen. Hier wären konkrete Hilfestellungen und Leitfäden wünschenswert, die eine echte Bürgerbeteiligung bei Energiewende-Projekten und ihre Umsetzung detailliert beschreiben. Über entsprechende Unterstützung von Politik und Verbänden würden wir uns freuen. Der Bayerische Gemeindetag im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz zum Beispiel hat der Jurenergie e.G. die Möglichkeit eingeräumt, den Kommunen die Vorteile einer genossenschaftlichen Bürgerbeteiligung im Rahmen einer Sitzung zu erläutern. Dafür sind wir dankbar.


Wie profitieren Bürger und Kommunen bei Energiewende-Projekten von genossenschaftlicher Bürgerbeteiligung?

Vogel: Vielfältig. Da sind zum einen die Gewerbesteuern des Anlagenbetreibers, die den Kommunen unmittelbar zufließen. Bei Unternehmen, die in mehreren Gemeinden Photovoltaik- oder Windkraftanlagen betreiben, soll die Gewerbesteuer in Zukunft nach installierter Leistung aufgeteilt werden. 90 Prozent erhält die Kommune, auf deren Gebiet die Anlage betrieben wird. Dazu kommt bei Solarparks die sogenannte kommunale Wertabgabe von 0,2 Cent pro eingespeister Kilowattstunde. Bei einer Photovoltaik-Anlage mit zehn Megawatt Spitzenleistung kommen auf diese Weise bis zu 25.000 Euro pro Jahr für die Standortkommune zusammen. An die Verpächter der Flächen fließen Pachteinnahmen, an die Bürger Dividende.

„Die Sicherung geeigneter Flächen ist der entscheidende Hebel, um neue Energiewende-Projekte zu realisieren.“

Wie können Kommunen und Genossenschaften die Energiewende gemeinsam vorantreiben?

Vogel: Auf lange Sicht erscheint es mir für die Kommunen am besten zu sein, wenn sie in alle Richtungen frühzeitig kommuniziert, dass die Anlagen nur bei echter Bürgerbeteiligung und Sicherung der Gewerbesteuer realisiert werden. Um die Wertschöpfung in der Kommune möglichst hochzuhalten, sollten Kommunen und Genossenschaften sich frühzeitig über geeignete Flächen für neue Anlagen verständigen. Denn die Flächen sind der entscheidende Hebel, um neue Energiewende-Projekte zu realisieren. Sind diese Grundstücke erst einmal in der Hand von Projektanten, fließt ein Großteil der Wertschöpfung ab und eine Beteiligung oder Kauf wird für die Genossenschaft unattraktiv. Um geeignete Flächen zu sichern, braucht es einen langen Atem sowie sehr viel Hartnäckigkeit und Engagement der handelnden Personen. Außerdem muss eine Photovoltaik- oder Windkraftanlage unter wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen an das öffentliche Stromnetz angeschlossen werden können. Das ist neben der Flächensicherung der zweite Erfolgsfaktor, aber derzeit auch der größte Engpass bei der Realisierung neuer Anlagen. Der Rest ist reines Projekt- und Investitionsgeschäft, das jede Genossenschaft beherrschen sollte. Sobald ein Projekt konkret wird, ist es im nächsten Schritt ganz wichtig, die Bürger frühzeitig ins Boot zu holen und über das Vorhaben und die Beteiligungsmöglichkeiten transparent zu informieren.

Welche Projekte hat die Jurenergie e.G. bereits zusammen mit Bürgern und Kommunen umgesetzt?

Vogel: Wir haben – neben einigen Photovoltaik-Anlagen auf Dächern von kommunalen Gebäuden – in enger Abstimmung mit dem damaligen Projektanten und den Kommunen Birgland, Hohenfels und Beratzhausen in den Landkreisen Amberg-Sulzbach, Neumarkt in der Oberpfalz und Regensburg insgesamt fünf Windkraftanlagen errichtet – mit Beteiligung insbesondere jener Bürgerinnen und Bürger, in deren Blickfeld die Anlagen liegen. Mit zwei Kommunen haben wir uns eng abgestimmt. Dort werden Photovoltaik-Anlagen nur genehmigt, wenn der Projektant die Bürger beteiligt und das auch nachweist. Das kommt uns als Bürgerenergiegenossenschaft und lokales Unternehmen natürlich sehr entgegen.

„Echte Bürgerbeteiligung als hartes Kriterium für Energiewende-Projekte kommt leider noch zu selten in der Praxis vor.“

Welche Erfahrungen haben Sie sonst noch gemacht, wenn Sie auf Kommunen zugegangen sind?

Vogel: Mit anderen Kommunen haben wir ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Manche sind ganz offen und setzen bewusst auf Bürgerenergie, andere verfahren nach dem Gießkannenprinzip und lassen jedem Projektanten etwas zukommen. Echte Bürgerbeteiligung als hartes Kriterium kommt leider noch zu selten in der Praxis vor. Dabei sehen wir von der Jurenergie e.G. bei unseren Projekten nur Zustimmung seitens der Bürger. Erstens wegen der finanziellen Beteiligung, zweitens wegen der gut vorbereiteten Informationsveranstaltungen. Das ist auch für die Kommunen von Interesse. Wir haben aber auch gelernt, dass wir nur Erfolg haben, wenn wir aktiv auf die Kommunen zugehen. Uns ist zudem klargeworden, dass die Akquise und Realisierung von mehreren großen Photovoltaik-Freiflächenanlagen nicht in rein ehrenamtlichen Strukturen und ohne Kooperationen möglich ist. Wir reden hier über zusammen rund 80 Megawatt Leistung. Insofern möchte ich dieses Interview als Plädoyer für eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Bürgerenergiegenossenschaften und Kommunen verstanden wissen. Wenn beide an einem Strang ziehen, entsteht daraus eine fruchtbare Symbiose zum Wohle der Bürger und der Energiewende.


Herr Vogel, herzlichen Dank für das Interview!

Weiterführende Links

Artikel lesen
Topthema