Mitgliedernutzen: Verschiedene bayerische Energiegenossenschaften bieten eigene Ökostrom-Tarife an. Warum lohnt sich das?
Wo sind sie nur, die Flussperlmuscheln? Josef Pauli steht am Ufer der Wolfsteiner Ohe, einem Nebenfluss der Ilz im niederbayerischen Landkreis Freyung-Grafenau. Das Unterholz ist schneebedeckt und glitschig. Um mehr zu sehen, hält er sich am Stamm einer Fichte fest, geht in die Hocke und beugt seinen Kopf über das Wasser. Einige Sekunden lang sucht er den Fluss ab, dann bleibt sein Blick hängen und er zeigt mit dem Finger auf eine am Grund verankerte Kiste. Sie ist schwarz und aus Holz gefertigt, etwa halb so groß wie ein Wäschekorb. „Darin befinden sich zwischen fünf und zehn Jahre alte Flussperlmuscheln“, erklärt Pauli. Die Kiste lässt er im Wasser und steigt zurück auf einen nahen Pfad. „Muscheln sind sehr empfindlich. Sie zu betreuen, ist Aufgabe von Fachleuten. Diese kommen regelmäßig vorbei, um zu schauen, wie sich die Weichtiere in den Aufzuchtkästen entwickeln“, erzählt der Geschäftsführer der Elektrizitäts-Versorgungs-Genossenschaft Perlesreut.
Flussperlmuscheln sind besonders streng geschützt
Die Genossenschaft beteiligt sich an einem Projekt zum Erhalt der Flussperlmuschel an der Wolfsteiner Ohe. Dafür stellt sie einen Platz am Unterlauf einer Wasserkraftanlage zur Verfügung. Die Aufzuchtkästen sind dort im Wasser befestigt. „Der Standort eignet sich aus zwei Gründen: Erstens hält das Kraftwerk Treibgut wie Äste zurück. Diese könnten sich ansonsten in den Boxen verfangen und sie beschädigen. Zweitens sind die Fließmenge und die Wassergeschwindigkeit sehr konstant, was der Entwicklung der Muscheln zugutekommt“, sagt Marco Denic, der das Muschelschutzprojekt beim Landschaftspflegeverband Passau betreut. Ihm ist wichtig, dass der genaue Platz der Kisten nicht verraten wird. Denn es ist bereits vorgekommen, dass die Muschelkästen gestohlen wurden. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren: Haben es die Täter auf die Perlen abgesehen, die der Flussperlmuschel ihren Namen gaben? Das wäre eigentlich sinnlos, denn nur wenige Muscheln enthalten tatsächlich Perlen und lediglich ein Bruchteil davon ist als Schmuck brauchbar. Ganz davon abgesehen, dass die Flussperlmuschel eine nach Bundesnaturschutzgesetz besonders streng geschützte Art ist. Wer sie entwendet, dem droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
Die Flussperlmuschel: Zierde für Kronen
Die Bayerische Landesausstellung „100 Schätze aus 1.000 Jahren“ zeigte von September 2019 bis März 2020 genau 100 bedeutende Exponate der bayerischen Geschichte. Mit dabei: Die sogenannte „Hedwigskrone“, in die der Brautschmuck der Landshuter Hochzeit von 1475 eingearbeitet sein soll. Damals heiratete Georg der Reiche die polnische Königstochter Hedwig. Auch die Perlen der Flussperlmuschel zieren die Votivkrone, die sich online anschauen lässt. Zahlreiche weitere Könige, aber auch Fürsten und Grafen schmückten sich mit Perlen der Flussperlmuschel aus dem Bayerischen Wald. Sie ist übrigens die einzige Süßwassermuschel in Deutschland, die Perlen produziert.
Warum die Muscheln aussterben
Früher gab es Hunderttausende Flussperlmuscheln in den Bächen und Flüssen des Bayerischen Walds. Doch mittlerweile ist die Art vom Aussterben bedroht. Sie steht auf der „Roten Liste gefährdeter Tiere“, wie auch viele anderen der insgesamt 32 in Bayern heimischen Muschelarten. Die Ursache: Flussperlmuscheln besiedeln nur Gewässer mit guter Sauerstoffversorgung und sehr guter Wasserqualität. In den vergangenen Jahrzehnten wurde ihr Lebensraum jedoch zerstört, vor allem durch Überdüngung, das Einleiten von Abwasser in Flüsse und strukturelle Veränderungen wie Begradigungen. Zum Schutz der Muscheln haben mehrere Forschungseinrichtungen, Kommunen und Unternehmen 2015 das Verbundprojekt „ArKoNaVera“ ins Leben gerufen. Es ist im Sommer 2021 ausgelaufen. Der Muschelschutz wird aber im Bundesprojekt „Margaritifera Restoration Alliance“ (MARA) fortgeführt. Margaritifera ist der wissenschaftliche Name für die Flussperlmuschel. Marco Denic ist mit dem abgeschlossenen Projekt zufrieden: „Wir haben es erstmals geschafft, die Bestände der Flussperlmuschel auf niedrigem Niveau zu stabilisieren und eine nennenswerte Anzahl von Jungmuscheln auszuwildern. Damit ist der Rückgang der Population vorläufig gestoppt“, bekräftigt er. In den kommenden Jahren sollen die Bestände weiter vergrößert werden.
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Auch im MARA-Projekt bleiben die Muscheln an ihrem Standort. Josef Pauli erkundigt sich regelmäßig bei Denic, wie es den Muscheln geht. Das ist dem Geschäftsführer der Elektrizitäts-Versorgungs-Genossenschaft Perlesreut wichtig. „Seit jeher setzen wir uns dafür ein, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen. In der jüngeren Vergangenheit haben wir unsere Anstrengungen in diesem Bereich noch einmal verstärkt, wie beispielsweise das Muschelschutzprojekt zeigt. Auch einen Fischaufstieg und -abstieg haben wir errichtet. Wir sind überzeugt, dass intakte und stabile Ökosysteme die Grundlage sind, um zukunftsorientiert zu wirtschaften“, betont Pauli.
Zahlen und Fakten zur Elektrizitäts-Versorgungs-Genossenschaft Perlesreut
Die Elektrizitäts-Versorgungs-Genossenschaft Perlesreut eG blickt auf eine knapp 100-jährige Geschichte zurück: Sie wurde 1923 von engagierten Menschen gegründet, die damals mit der bisherigen Elektrizitätsversorgung sowie den sehr hohen Strompreisen unzufrieden waren. Perlesreut liegt im Landkreis Freyung-Grafenau rund 30 Kilometer nördlich von Passau. Nach der Gründung übernahm die Genossenschaft das Wasserkraftwerk an der Wolfsteiner Ohe, das sie noch immer betreibt. Heute ist die Elektrizitäts-Versorgungs-Genossenschaft Perlesreut Stromnetzbetreiber und Energieversorger. Insgesamt liefert sie Strom an rund 3.400 Kundinnen und Kunden. Dazu zählen nicht nur Privatleute, sondern auch Unternehmen, Kommunen und die Landwirtschaft. Das Versorgungsgebiet umfasst rund 50 Quadratkilometer in den Gemeinden Perlesreut, Ringelai, Fürsteneck und Grafenau. Neben dem Wasserkraftwerk betreibt die Genossenschaft eine PV-Anlage, zudem nimmt sie den Strom von über 600 regenerativen Erzeugungsanlagen auf. Außerdem betreibt sie alle Messstellen im Geschäftsgebiet. Aktuell beschäftigt die Genossenschaft zwölf Mitarbeiter, darunter drei Auszubildende. Die Zahl der Mitglieder liegt bei 140, neue Teilhaber nimmt die Genossenschaft derzeit nicht auf.
Bewegliche Wand für das Wehr
Das Engagement für mehr Nachhaltigkeit würde die Elektrizitäts-Versorgungs-Genossenschaft Perlesreut gerne weiter vorantreiben. Dazu möchte sie einen Teil der Wehranlage, durch die das Wasser von der Wolfsteiner Ohe in den Kanal zum Kraftwerk geleitet wird, durch eine bewegliche Stauwand austauschen. Dies würde einige Vorteile mit sich bringen, erklärt Pauli. Denn derzeit stoppt das Wehr das sogenannte Geschiebe – also hauptsächlich Sand und Kies, der von der Strömung des Flusses flussabwärts getragen wird. Langfristig ist das nicht ideal, denn ohne ausreichend Geschiebe sinkt der Wasserspiegel am Unterlauf der Wolfsteiner Ohe. Zudem trocknet das Erdreich aus. „Aus Umwelt- und Klimaschutzgründen wäre es sehr sinnvoll, eine bewegliche Stauwand zu errichten“, betont Pauli. Auch plant die Genossenschaft, den derzeitigen Fischaufstieg und -abstieg an der Wehranlage durch ein sogenanntes Wasserwirbelkraftwerk zu ergänzen. Dies würde saubere Energie für fünf Haushalte erzeugen, die Fische könnten die Staumauer weiterhin passieren.
Die Genossenschaft kann die Projekte jedoch nicht umsetzen. Dabei scheitert sie nicht am Geld, sondern am Widerspruch von Naturschutzverbänden wie dem Landesfischereiverband Bayern und dem Bund Naturschutz. In einem entsprechenden Positionspapier der Verbände heißt es: „Die weitere Förderung der kleinen Wasserkraft (< 1 MW Leistung) in Bayern lehnen wir ab.“ Darüber hinaus fordert der Bund Naturschutz sogar, Kleinwasserkraftanlagen mit einer Leistung von unter einem Megawatt grundsätzlich zurückzubauen. Darunter fallen laut Pauli alle Wasserkraftanlagen im Landkreis Freyung-Grafenau und somit auch das Wasserkraftwerk der Genossenschaft mit einer Leistung von 240 Kilowatt.
Genossenschaft wünscht sich faktenbasierten Dialog
Der Geschäftsführer der Elektrizitäts-Versorgungs-Genossenschaft Perlesreut würde es begrüßen, wenn die pauschale Ablehnung durch einen faktenbasierten Dialog ersetzt würde. Er hofft auf ein Gesprächsformat zwischen Politik, Naturschutzverbänden und Betreibern von Wasserkraft-Anlagen. „Mein Antrieb ist es, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die einerseits das öffentliche Interesse an der Erzeugung von regenerativer Energie bedienen und andererseits den Schutz von Natur und Fischerei sicherstellen“, sagt Pauli. Er betont, dass die Wasserkraft einen zentralen Beitrag zur Energiewende leiste. Im Landkreis Freyung-Grafenau würde sie rund zehn Prozent der erneuerbaren Energien produzieren. „Damit ist sie ein wichtiges Standbein der klimafreundlichen Energieerzeugung, vor allem, da sie im Gegensatz zur Solar- und Windkraftenergie sehr konstant Strom liefert“, betont er.
Strom im neuen Tarifmodell ist hundertprozentig regional und erneuerbar
Unabhängig davon treibt die Genossenschaft die Energiewende voran. Seit Jahresbeginn bietet sie einen neuen Stromtarif an, den sogenannten „Regionalstromtopf“. Das Prinzip: Die Genossenschaft kauft nachhaltig erzeugte Energie aus der Region ein. Diese landet in einem virtuellen Topf, in dem immer mehr Strom ist, als verbraucht wird. „Alle Kundinnen und Kunden, die den Stromtarif buchen, erhalten garantiert ausschließlich Strom aus regionalen und erneuerbaren Energiequellen“, betont Pauli. Überschüssiger Strom aus dem Topf wird an der Energiebörse verkauft. Der Geschäftsführer der Genossenschaft hofft, das Angebot in Zukunft weiter auszubauen. Dazu braucht es vor allem Stromerzeuger, die den Topf mit regionaler und nachhaltiger Energie befüllen. „Wenn das Konzept aufgeht und wir den Eigenversorgungsgrad weiter steigern, leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Energiewende“, sagt Pauli.