Pilotprojekt: Drei Kreditgenossenschaften haben getestet, wie Smart Data dabei hilft, Vertriebsanlässe zu erkennen. Das Ergebnis stimmt Andreas Gams von der Raiffeisenbank im Oberland zuversichtlich.
Die genossenschaftliche FinanzGruppe arbeitet an einem Großprojekt zum Einsatz von Smart Data in der Kundenansprache. Eingebunden sind alle Verbundpartner, die Regionalverbände und auch Primärgenossenschaften. Strategisch ist das Projekt beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) angesiedelt, für die technische Entwicklung ist der genossenschaftliche IT-Anbieter Atruvia AG verantwortlich. Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) und eine Reihe bayerischer Volksbanken und Raiffeisenbanken begleiten das Projekt intensiv. Mit Abschluss der ersten Entwicklungsphase können die bayerischen Kreditgenossenschaften ab sofort die Anwendungsfälle zur gezielten Kundenansprache nutzen. Die Volksbank Raiffeisenbank Dachau hat sich an der Entwicklung beteiligt. Welche Erfahrungen hat sie bei der Einführung gemacht? Und wie Erfolg versprechend ist der Einsatz von Smart Data im Vertrieb? Andreas Hohler, Leiter Vertrieb und Marketing bei der Volksbank Raiffeisenbank Dachau, hat das Projekt von Anfang an begleitet. „Profil“ fasst sein vorläufiges Fazit zusammen.
Die genossenschaftliche Beratung hat zum Ziel, die Kundinnen und Kunden passend zu ihrer Lebenssituation und ihren Wünschen zu beraten. Den tatsächlichen Bedarf kann die Bank jedoch nur vermuten, solange die Kunden sich nicht konkret dazu äußern. Die Bestandsdaten können dazu allenfalls Anhaltspunkte liefern. Die Kreditinstitute waren deshalb bisher gezwungen, bei der Auswahl der Zielkunden für eine bestimmte Vertriebskampagne ein relativ grobes Raster anzulegen und nach dem Ausschlussprinzip vorzugehen. Vereinfachtes Beispiel: Bei einer Vertriebskampagne für Kreditkarten werden im ersten Schritt alle Kundinnen und Kunden herausgefiltert, die schon eine Kreditkarte besitzen. Das heißt aber noch lange nicht, dass alle anderen Kunden offen für eine Kreditkarte sind. Ältere Menschen, die nicht mehr reisen und auch nicht im Internet einkaufen, werden kaum Interesse zeigen, während die Abschlusswahrscheinlichkeit bei jüngeren, internetaffinen Kunden sicher höher ist. Diese gilt es zu finden.
Vorhandene Kundendaten intelligent verknüpfen
Ziel des Smart-Data-Projekts ist es deshalb, vorhandene Kundendaten mithilfe von Algorithmen so intelligent zu verknüpfen und „weiche“ Faktoren mit einzubeziehen, dass am Ende eine möglichst passgenaue Zielgruppe für die Vertriebskampagne herauskommt. Es gilt, die richtigen Kunden zur richtigen Zeit auf dem richtigen Kanal mit dem richtigen Thema anzusprechen. Dabei spielen nicht nur mögliche Affinitäten des Kunden für bestimmte Produkte eine Rolle, sondern auch dessen Lebensumstände und wie er am liebsten mit seiner Bank interagiert.
Das Smart-Data-Projekt hat dabei den Charme, dass die Banken diese smarten Analysen direkt über eine Individuelle Datenauswertung (IDA) im Banksystem abfragen können. Dort sind insgesamt 13 Smart-Data-Anwendungsfälle („Use Cases“) bereits hinterlegt. Das sind fertige Abfragestrecken mit verschiedenen Filtermöglichkeiten, damit die Banken die Abfragen eingrenzen und bestimmte Kundenmerkmale aus- oder einschließen können. Beispielsweise ließen sich alle Kunden ausschließen, die in einer bestimmten Zeit bereits zu einem bestimmten Thema angesprochen oder beraten wurden – oder umgekehrt alle Kunden einbeziehen, die seit einem bestimmten Datum keinen Kontakt mehr zu ihrem Berater hatten. „Technisch entsprechen diese ,Use Cases‘ normalen IDA-Abfragen mit dem wichtigen Unterschied, dass im Hintergrund nicht nur Formularfelder abgefragt werden, sondern ein Algorithmus die Informationen verknüpft und bewertet“, erklärt Hohler.
Unterstützungsleistungen von GVB und Atruvia
Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) und die Atruvia AG kooperieren eng, um die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken bei der Einführung der Smart-Data-Anwendung zur zielgenauen Kundenansprache zu unterstützen. Mit dem „Reifegradcheck Smart Data“ analysieren der GVB beziehungsweise die Atruvia AG zusammen mit der Kreditgenossenschaft die Voraussetzungen zur Einführung der Leistung. In dem eintägigen Workshop erstellen die Teilnehmer gemeinsam ein Qualitätsprofil zentraler Erfolgsfaktoren und leiten daraus Handlungsfelder ab.
Betrachtet werden die Bereiche Strategische Einordnung, Datenmanagement, Vertrieb und Kommunikation sowie Personal. Welche strategischen Grundentscheidungen sind zu treffen? Stimmt die Qualität der vorhandenen Kundendaten mit den Anforderungen für die Smart-Data-Anwendung überein? Welche Vertriebskanäle sollen in das Projekt einbezogen werden? Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausreichend auf das Projekt vorbereitet? Solche Fragen werden im Reifegradcheck beantwortet. Denn es ist zum Beispiel wenig sinnvoll, das Projekt zu starten, wenn die Bank Datenfelder anders befüllt als für die Anwendung benötigt und damit die Datenbasis nicht passt. Ansprechpartner beim GVB ist Martin Schor, mschor(at)gv-bayern.de, 089 / 2868-3470. Weitere Informationen finden GVB-Mitgliedsbanken auf der Themenseite „Smart Data“ im MuV-Manager. Bei der Atruvia AG hilft der jeweilige persönliche Ansprechpartner der Banken bei Fragen zu den Unterstützungsleistungen gerne weiter.
Inzwischen steht die Smart-Data-Anwendung allen Volksbanken und Raiffeisenbanken zur Verfügung. Zur Einführung der Anwendung und zur konkreten Umsetzung aller notwendigen Handlungsfelder in der Bank planen GVB und Atruvia AG gemeinsam weitere Unterstützungsleistungen.
Die Volksbank Raiffeisenbank Dachau testete etwa die Anwendungsfälle Mitgliedschaft, Kreditkarte, Wertpapier-Neukunden, Fondssparen sowie das Angebot „VermögenPlus“ von Union Investment (siehe dazu auch den Beitrag „Fonds einfach verwalten mit VermögenPlus“ in „Profil“-Ausgabe 03/2020). Der Algorithmus vergibt dabei für jeden Kunden einen Referenzwert („Score“). Je niedriger der Score ist, desto höher die Abschlusswahrscheinlichkeit des Kunden. Zur besseren Übersicht werden die Kunden je nach Score in verschiedene Gruppen (A bis F) eingeteilt. Wichtig: In die Analysen werden nur Kundinnen und Kunden einbezogen, die der werblichen Nutzung ihrer Daten zugestimmt haben. „Kunden, die das nicht getan haben, werden im System gar nicht angezeigt“, sagt Andreas Hohler von der Volksbank Raiffeisenbank Dachau.
Smart Data macht Vertrieb deutlich effizienter
Der Vertriebsleiter ist insgesamt sehr zufrieden mit dem Smart-Data-Projekt und hält es für praxisreif. Nach anfänglichen Schwierigkeiten seien die Ergebnisse inzwischen gut nutzbar. „Der Einsatz lohnt sich. Wir konnten unsere Effizienz bei der Auswahl der Kundenzielgruppen für unsere Kampagnen deutlich steigern und unsere Vertriebsressourcen gezielter einsetzen. Dadurch sind wir im Vertrieb insgesamt deutlich effizienter geworden“, sagt Hohler. Die Bank hinterlegte zum Beispiel die Kampagne „Sparen mit Zukunft“ von Union Investment mit einer Smart-Data-Auswertung aus dem Anwendungsfall Wertpapier-Neukunden. „Im Ergebnis haben wir überdurchschnittlich hohe Abschlussquoten erzielt“, berichtet Hohler. Bei Abschluss eines Fondssparplans bekamen Neukunden als Dankeschön einen Rucksack aus Ozeanplastik geschenkt.
Auch die Berater seien mit den Kundenkontakten aus den Smart-Data-Anwendungsfällen zufrieden gewesen. Diese wurden im Intranet ausführlich über das Projekt informiert und gebeten, Auffälligkeiten zu melden, um das System zu trainieren und zu verbessern. „Es kamen aber keine Beschwerden und auch das Smart-Data-System wurde nicht infrage gestellt“, berichtet Hohler. Die Volksbank Raiffeisenbank Dachau wird weiterhin die Anwendungsfälle nutzen, sofern sie zur Kampagne passen. „Smart Data ist ein wichtiges und zukunftsrelevantes Thema für die Volksbanken und Raiffeisenbanken, deshalb führen wir das Thema fort“, sagt Hohler. Außerdem erhofft sich die Bank Synergieeffekte bei der Kombination der Anwendungsfälle mit der Funktion „Next Best Action“. Das Tool soll noch dieses Jahr zur Verfügung stehen (siehe Kasten).
„Next Best Action“ kurz erklärt
Mit der „Next Best Action“ werden die gezielte Kundenansprache und die Auswahl der Zielgruppen auf eine neue Ebene gehoben. Bei der Planung der Kampagnen steht bei den Banken bisher das Produkt im Vordergrund. Die Kunden, die auf dieses Produkt angesprochen werden sollen, werden erst im zweiten Schritt ausgewählt – bisher durch klassische IDA-Abfragen, in Zukunft auch über die Smart-Data-Anwendungsfälle. Bei der „Next Best Action“ verkehrt sich diese Reihenfolge ins Gegenteil. Gleichlaufend zur genossenschaftlichen Beratung steht nicht mehr das Produkt an erster Stelle, sondern der Bedarf des Kunden. Dabei wird mithilfe der Algorithmen bewertet, welche Produkte am besten zum Kunden passen könnten.
Die Reihenfolge lautet also nicht mehr „Habe Produkt, suche passenden Kunden“, sondern „Habe Kunden, suche passendes Produkt“. Die „Next Best Action“ bezieht dabei alle Kundinnen und Kunden der Bank – sofern sie in die werbliche Nutzung ihrer Daten eingewilligt haben – und alle Anwendungsfälle mit ein. Dabei wird die Affinität des Kunden für jedes Produkt mit einem Referenzwert bewertet. Für das Produkt mit der höchsten Affinität schlägt die Software automatisch den passenden Kanal vor, über den der Kunde angesprochen werden soll und hinterlegt automatisch den passenden werblichen Inhalt. Der Vertriebssteuerer muss diesen also nicht mehr individuell auswählen.
Die „Next Best Action“ soll noch dieses Jahr angeboten werden. Perspektivisch bedeutet das für die Banken, dass sie Steuerung und Controlling komplett umstellen müssen – weg von einem produktzentrierten, hin zu einem kundenzentrierten Vertrieb. Operativ hat das enorme Auswirkungen. Denn die Kampagnen laufen mit der „Next Best Action“ nicht mehr zeitlich gestaffelt, sondern gleichzeitig mit zielgenauer Kundenansprache. Dafür müssen die Banken die entsprechenden Inhalte und Kapazitäten neu planen.
Ein Selbstläufer sei Smart Data aber nicht, warnt der Vertriebsleiter der Volksbank Raiffeisenbank Dachau. Zwar sei das Projekt mittlerweile gut ins Laufen bekommen, aber man erhalte keine Lösung mit 100 Prozent Trefferquote. „Das ist ein dynamisches System, das noch nicht perfekt ist“, sagt Hohler. So können zum Beispiel unterschiedliche Voreinstellungen der Banken zu Verwerfungen bei den Ergebnissen führen.
Datenqualität maßgeblich für Erfolg
Maßgeblich für den Erfolg sei zudem die vorhandene Qualität der Daten. Hohler: „Je besser diese ist, desto genauer kann die Smart-Data-Anwendung arbeiten.“ Wichtig sei das zum Beispiel für die Frage, auf welchen Kanälen der Kunde angesprochen werden will. „Die Kombination verschiedener Kanäle ist oftmals der Schlüssel zum Erfolg einer Kampagne. Je genauer die bevorzugten Kontaktmöglichkeiten des Kunden im System hinterlegt sind, desto gezielter kann ich ihn ansprechen“, sagt Hohler. So könne es sinnvoll sein, den Kunden zuerst mit einer E-Mail, einer Nachricht in seinem ePostfach und/oder einem Werbebanner im Onlinebanking („Overlay“) digital anzusprechen und dann telefonisch nachzuhaken. Diese Aufgabe kann zum Beispiel den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kundendialogcenter übertragen werden.
Der Vertriebsleiter rät anderen Banken dazu, die Anwendungsfälle einfach mal zu testen und die Plausibilität der Ergebnisse durch einen Vergleich mit den Bestandsdaten zu überprüfen. So könne jede Bank wichtige Erfahrungen sammeln. „Mit der Zeit entwickelt man ein Gefühl für die Anwendungsfälle und wie die jeweiligen Filter zielführend eingesetzt werden können“, berichtet Hohler. Außerdem testeten er und sein Team, welche Kanäle zur Kundenansprache – zum Beispiel online oder über einen Anruf des Kundendialogcenters – am besten mit den Kundenzielgruppen aus den Smart-Data-Anwendungsfällen harmonieren.
Genauso sei es ratsam, die Zielgruppen nochmal von Hand auf harte Faktoren wie Vermögen, passendes Alter oder bereits genutzte Leistungen zu überprüfen. Bieten Banken zum Beispiel eigene Produkte an, die einem der Anwendungsfälle entsprechen, sollte diese Besonderheit in die Prognosen einfließen. So bietet die Volksbank Raiffeisenbank Dachau ihren Kunden eine eigene Vermögensverwaltung an, für die im Banksystem bei den Kundendaten eigene Felder vorgehalten werden. „Diese Felder müssen bei den Anwendungsfällen natürlich mit ausgewertet werden. Ansonsten erhalten Kunden möglicherweise einen irreführenden Referenzwert, weil nicht berücksichtigt wurde, dass sie eine ähnliche Leistung bereits beziehen“, sagt Hohler.
Kritisch sieht der Vertriebsleiter, dass die Logik der Algorithmen bei den Smart-Data-Anwendungsfällen im Dunkeln bleibt. „Die Banken können nicht nachvollziehen, warum ein bestimmter Kunde ausgewählt wurde. Das macht es schwierig, die Qualität der Auswahl mit Stichproben zu überprüfen“, sagt der Vertriebsleiter. Auch das Erfolgscontrolling müsse noch transparenter werden. So sei es vorgekommen, dass alle Abschlüsse eines Kunden in einem bestimmten Zeitraum dem entsprechenden Smart-Data-Anwendungsfall zugerechnet wurden.
Neutrale Zielgruppenauswahl durch den Algorithmus
In Abwägung aller Vor- und Nachteile ist Hohler eine grundsätzliche Anmerkung wichtig: Der Erfolg des Smart-Data-Projekts hänge auch davon ab, ob die Beteiligten in der Bank bereit sind, den Algorithmen zu vertrauen und sich auf die neue Art der Zielgruppenauswahl einzulassen. Es brauche jedoch Zeit, dieses Vertrauen aufzubauen. „Jeder Banker weiß selbst am besten, was der Kunde will, wozu braucht er da noch Künstliche Intelligenz?“, formuliert es Hohler überspitzt. Die neue Art der Zielgruppenauswahl durch die Algorithmen sei jedoch neutraler. Ein Berater kenne zwar seine Kunden, aber möglicherweise übersehe er einen Bedarf, weil dieser in der Vergangenheit nicht vorgekommen ist. „Die Künstliche Intelligenz ist an dieser Stelle viel weniger voreingenommen und deckt diesen Bedarf möglicherweise auf. Auf diese Weise kommen neue Kunden in die Zielgruppe, die bei einer Auswahl durch Experten vielleicht nicht ausgewählt worden wären“, sagt Hohler.
Der wesentliche Vorteil der Anwendungsfälle liege dabei nicht in der Datenqualität, sondern in der Zeitersparnis bei der Erstellung von Kundenzielgruppen. Smart Data könne diese extreme Datenflut einfach besser verarbeiten. „Die bisherigen Zielgruppen waren auch gut und die Algorithmen sind noch lange nicht perfekt. Das ist ein stetiger Verbesserungsprozess. Aber mit Smart Data erhalte ich meine Zielgruppe viel schneller und muss weniger Ressourcen einsetzen. Wenn ich dem Algorithmus sage, ich brauche 2.000 Kunden für eine Kampagne zum Thema Kreditkarte, dann kann ich gleich danach loslegen“, sagt Hohler. Smart Data gehöre die Zukunft, ist der Vertriebsleiter überzeugt. „Die notwendigen Daten schlummern schon lange in unseren Häusern. Wir haben sie nur bisher viel zu wenig genutzt.“