Eine dezentrale Datenbank, die nicht manipulierbar ist. Das ist das große Versprechen der Blockchain. Derzeit interessieren sich viele Menschen vor allem für Kryptowährungen wie Bitcoin, die auf dieser Technologie beruhen. Doch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit arbeiten Konzerne, Start-up-Unternehmen und Wissenschaftler daran, Blockchain-Anwendungen auch in ganz anderen Bereichen unseres Alltags zu integrieren. Welche?
1. Intelligente Verträge
Mit der Blockchain lassen sich neuartige Verträge abwickeln, die sogenannten „Smart Contracts“. Das bedeutet, dass eine Transaktion über eine Software automatisch abläuft, sobald bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Ein Mensch muss diesen Vorgang nicht autorisieren.
Ein Beispiel: Ein Händler aus Augsburg verkauft Brillen. Pro Monat liefert ihm ein chinesischer Partner 1.000 Sonnenbrillen. Dazu haben beide Parteien einen intelligenten Vertrag abgeschlossen, in dem folgende Vereinbarung festgeschrieben ist: Sobald die Lieferung im Lager registriert ist, wird automatisch eine vereinbarte Summe überwiesen. Menschliche Hilfe braucht es dafür nicht. Auf der Blockchain lassen sich alle Transaktionen nachvollziehen.
Doch Smart Contracts werfen auch neue rechtliche Fragen auf. Was passiert zum Beispiel, wenn der Brillenhändler statt der vereinbarten 1.000 Sonnenbrillen nur 700 bekommt? An dieser Stelle möchte der 2013 gegründete Blockchain-Lösungsanbieter Datarella einhaken. Das Team mit Entwickler Jonatan Bergquist arbeitet in einem unscheinbaren Bürogebäude in der Münchner Maxvorstadt.
„Wir wollen die Lücke zwischen Technologie und Recht schließen“, sagt Bergquist. Datarella hat gemeinsam mit der Rechtsanwaltskanzlei CMS ein Schiedsverfahren für Smart Contracts namens „CodeLegit“ entwickelt. Dazu wird eine sogenannte „Schiedsgerichtbarkeits-Bibliothek“ in die Blockchain eingesetzt. Der Händler hat damit die Möglichkeit, die fehlenden Sonnenbrillen zu reklamieren. Nun vermittelt das Programm automatisch. Es schlägt zum Beispiel vor, dass der Produzent die fehlenden Brillen nachschickt oder das Geld zurückerstattet. Kommt es zu keiner Lösung, tritt ein Vermittler und damit erstmals eine reale Person auf, um den Konflikt zu schlichten. Der große Vorteil von CodeLegit: Alle Schritte sind in der Blockchain gespeichert und damit einsehbar. Hat der chinesische Produzent etwa Geld zurückbezahlt, kann der Augsburger Händler nicht behaupten, keins erhalten zu haben.
Was ist eine Blockchain?
Eine Blockchain ist eine Datenbank, auf der Transaktionen gespeichert werden und für jeden Nutzer einsehbar sind. Das funktioniert wie bei einem Kassenbuch: Überweist Person A an Person B Geld, wird diese Information in einen Block eingetragen. Ist ein Block voll, kommt ein neuer Block hinzu. So entsteht eine Kette aus Blöcken – die Blockchain. Grundsätzlich lassen sich mit einer Blockchain auch andere Werte aufbewahren und transferieren – zum Beispiel Verträge oder Grundbucheinträge. Das Besondere an der Datenbank ist, dass sie dezentral organisiert ist. Jeder Teilnehmer hat eine Kopie auf seinem Rechner. Dadurch könnten Hacker die Datenbank höchstens manipulieren, wenn sie über 50 Prozent der Rechenleistung kontrollieren würden. Die erste Blockchain wurde 2008 für die digitale Währung Bitcoin angelegt.
2. Ein neuer Strommarkt
Wuppertal in Nordrhein-Westfalen ist vor allem für seine Schwebebahn bekannt. Und vielleicht kommt in Zukunft etwas Neues hinzu: Seit November 2017 bieten die dortigen Stadtwerke als erster kommunaler Energieversorger eine Handelsplattform für Ökostrom an, die per Blockchain funktioniert. Bürger der Stadt können sich auf der Plattform „Tal.Markt“ registrieren und anschließend ihren Energiemix selbst zusammenstellen. Die Stromlieferungen sind manipulationssicher in der Blockchain hinterlegt. So lässt sich zu jeder Zeit nachvollziehen, welcher Kunde von welchem Energieproduzenten Strom bezogen hat.
Der große Vorteil einer Blockchain-Plattform im Energiemarkt ist, dass die Verbraucher eine direkte Lieferbeziehung zu den verschiedenen Stromproduzenten eingehen. Das könnte die klassischen Grundversorger überflüssig machen. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Dass die Nutzer – wie in Wuppertal – entscheiden, von wem sie Strom beziehen, ist nur der Anfang. Beispielsweise könnten Verbraucher zudem einstellen, dass ihre Waschmaschine nur dann läuft, wenn der Strom gerade preiswert ist.
Andreas Engl, Vorstandsvorsitzender der Erzeugergemeinschaft für Energie in Bayern eG, ist von der Blockchain überzeugt. „Es hat das Potenzial, den Strommarkt zu revolutionieren, wenn man sie richtig einsetzt“, sagt er. Deshalb beteiligt sich die Genossenschaft am Forschungsprojekt „SMECS – Smart Energy Communities“ des Bundeswirtschaftsministeriums. Ziel ist unter anderem, ein marktfähiges Konzept für eine Blockchain-Handelsplattform zu entwickeln. Sie soll den erneuerbaren Energien zur Marktreife verhelfen und den Bürgerenergiegesellschaften auch nach Auslaufen der EEG-Vergütung ausreichende Einnahmen für einen wirtschaftlichen Weiterbetrieb ermöglichen. So könnten damit die Post-EEG-Anlagenbetreiber nicht nur den Strom vermarkten, sondern zudem alle möglichen Eigenschaften der Stromproduktion oder eine Markenidentität und auch Systemdienstleistungen. „Unsere Vision ist, dass die Stromerzeuger mehr Geld bekommen, während die Verbraucher gleichzeitig weniger zahlen“, sagt Engl.
3. Patientendaten vernetzen
Seit vielen Jahren nutzen medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser und Arztpraxen digitale Systeme, um Patientendaten zu speichern. Doch die IT-Plattformen sind häufig nicht kompatibel, eine bundesweite Vernetzung der einzelnen Häuser ist Illusion. Die Folge: Informationen über Patienten liegen auf verschiedenen Plattformen verstreut und sind im schlimmsten Fall nicht zugänglich, wenn sie im Notfall dringend gebraucht werden. Es fehlt eine Infrastruktur, um die verschiedenen Systeme zu vernetzen.
Eine mögliche Lösung: die Blockchain. Wenn der Patient zustimmt, könnten etwa Informationen über seine Krankheitsgeschichte und verschriebene Medikamente in einer Datenbank gespeichert werden. Tritt ein Notfall auf, können Ärzte von überall auf die Informationen zugreifen. Weiterer Vorteil der Blockchain: Die Patientendaten sind manipulationssicher und lückenlos dokumentiert. Dabei muss das System einen einfachen Austausch zwischen Patienten, Ärzten und Krankenkassen ermöglichen, ohne gegen Datenschutz-Bestimmungen zu verstoßen oder anfällig für Hacker-Angriffe zu sein.
Während das noch Zukunftsmusik ist, können andere Unternehmen aus der Pharmabranche schon konkrete Ergebnisse vorweisen: In Deutschland haben etwa der Pharmakonzern Merck und das Unternehmen CryptoTec jüngst eine Lösung gegen Medikamentenfälschung auf Blockchain-Basis entwickelt. Das soll so funktionieren: Merck druckt auf die Verpackung jedes Medikaments eine Seriennummer mit einer speziell identifizierbaren Tinte. Die Kombination der beiden Sicherheitsmerkmale wird nun in einer Blockchain gespeichert. Endabnehmer wie Krankenhäuser können diese Verbindung überprüfen. So wissen sie, ob es sich um ein Original oder eine Fälschung handelt.