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Es war einer der regenreichsten Tage in diesem Spätsommer, als die Tagwerk-Genossenschaft auf dem Biohof Lex bei Erding ihren 40. Geburtstag feierte. „Die Stimmung war gut. Obwohl bei dem Wetter leider weniger Leute kamen, waren die einzelnen Erzeuger an ihren Ständen zufrieden“, sagt Klaus Hutner, neben Beatrice Rieger einer der Vorstände von Tagwerk. „Wir haben uns bestärkt gefühlt.“

Im August 1984 hatten knapp 50 Mitglieder die Genossenschaft Tagwerk gegründet. „Das war damals, als die Planungen konkret wurden, im Erdinger Moos einen Flughafen zu bauen“, sagt Hutner, der selbst 1999 zu Tagwerk kam und seit den Nullerjahren im Vorstand ist. Wie viel Land würde ein riesiger Flughafen mit Start- und Landebahnen den Menschen in der Erdinger Region wegnehmen? Die Anwohner waren beunruhigt, gingen auf die Straße und kämpften für ihre Region.

„Mit der Gründung von Tagwerk wollten sie etwas Positives in die Welt setzen“, sagt Hutner. Den Flughafen-Bau hatten die Protestierenden nicht verhindern können, so steckten sie ihre Energie in andere Projekte. Ihr Ziel: die Menschen in der Region mit Lebensmitteln von Bio-Landwirten zu versorgen und dabei regional, solidarisch und transparent zu sein. Die Liebe zur Natur verband sie bei ihrem Engagement.

Idealisten gründen mit viel Idealismus Genossenschaft

„Von Anfang an schwang bei Tagwerk also etwas Politisches mit“, betont Hutner. Die Gründungsmitglieder zeichnete der starke Wille aus, sich für die Umwelt und einen ökologischen Anbau einzusetzen. Zu einer Zeit, in der die Grünen 1983 frisch in den Bundestag eingezogen waren und sich 1986 die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ereignete.

„Mit viel Idealismus haben viele Idealisten die Genossenschaft gegründet“, fasst Hutner zusammen. Die Rechtsform eG passte von Anfang an perfekt zu den Erzeugern, Verarbeitern und Verbrauchern: Demokratie und Solidarität sind ihnen wichtig, zusammen können sie etwas gestalten. „Im Vordergrund stehen keine privaten Profitinteressen“, so der Genossenschafts-Vorstand. Ihre Idee konnten die Genossinnen und Genossen damals verwirklichen, ohne großes Kapital zu haben. Es waren ihre jeweiligen Anteile, die ihnen halfen, durchzustarten. Pro Mitglied waren das bei der Gründung 100 DM. Als neugegründete Genossenschaft konnten sie sich damit einen gebrauchten Lieferwagen leisten. Und 1986 öffnete in Dorfen der erste Tagwerk-Laden. Die Zeit, in der private Garagen oder Kellerräume herhalten mussten, war mit der Gründung der Genossenschaft vorbei.

Die Genossenschaft als Zentrale eines Netzwerks

Mittlerweile fungiert die Tagwerk-Genossenschaft als Zentrale für ein ganzes Netzwerk.  „Die Erfordernisse haben es mit sich gebracht, dass wir diese Netzwerk-Struktur entwickelt haben“, erklärt der Genossenschafts-Vorsitzende beim Gespräch im Dorfener Tagwerk-Laden. Der Laden gehört zu den sieben Tagwerk-Vollsortimentern. „Für jeden Laden gibt es einen Verantwortlichen“, erklärt Hutner. Den Laden in Dorfen leitet Christian Empl. Weitere Tagwerk-Biomärkte gibt es in Traunstein, Erding, Freising, Landshut, Moosburg und Ottobrunn.

„Es war sinnvoll, diese Einzelhandel-Betriebe auszugliedern und sie mit einem Lizenzmodell mit unserer Genossenschaft zu verbinden. Wir alle aber teilen dieselben grundsätzlichen Ziele und Wertvorstellungen“, betont der Vorstand. „Trotz der Ausgliederungen haben wir eine genossenschaftliche Struktur und es ist uns ganz wichtig, dass wir in diesem genossenschaftlichen Zusammenhang arbeiten, ob das unsere Großhandel GmbH, die Lieferbetriebe oder die Bio-Metzgerei sind.“ Letztere gehört zu 100 Prozent der Genossenschaft, die Großhandel GmbH zu 50 Prozent.

Die Tagwerk-Region – im Radius von 100 Kilometern

Um ihre Regionalität zu betonen, haben sie einen Radius von 100 Kilometern festgelegt, innerhalb dessen sie hauptsächlich agieren. „Den Radius ziehen wir von Erding aus“, erklärt Hutner. „Wir sind da strikt: Erzeuger, die Rohstoffe für unsere Tagwerk-Produkte herstellen, sind maximal 100 Kilometer von Erding entfernt zu finden. So halten wir die Transportwege kurz.“ Rund 150 Erzeuger gehören zum Tagwerk-Netzwerk. „Alle Erzeuger, die Rohstoffe für unsere Markenprodukte herstellen, müssen Mitglied bei der Tagwerk-Genossenschaft sein. Es gibt Landwirte, die Mitglied bei Tagwerk sind, aber nicht über Tagwerk vermarkten. Diese unterstützen uns aus ideellen Gründen“, sagt Hutner.

Region sei eben ein vager Begriff, indem sie aber diesen Radius ziehen, definieren die Tagwerk Genossinnen und Genossen ganz klar, was für sie Regionalität bedeutet. „Das ist auch leicht nachvollziehbar und transparent und spiegelt sich in der Vermarktung wider“, betont Hutner und ergänzt: „Unsere Strategie ist es, auf diese Weise mehr Verbindlichkeit darzustellen.“

Vieles sei allerdings in letzter Zeit schwieriger geworden, insbesondere seit dem Ukraine-Krieg, und bedingt durch die Inflation. „Wir beobachten, dass die Menschen stärker darauf achten, wie viel Geld das Einkaufen sie kosten darf. Auf der einen Seite sind den Menschen Nachhaltigkeit und eine artgerechte Tierhaltung wichtig, auf der anderen rücken diese Themen aus ihrem Fokus beim Einkaufen raus“, sagt Hutner. „Wie eine Schere klafft das dann doch auseinander.“

Die Corona-Zeit dagegen war für Tagwerk profitabler. „Während Corona haben sich alle viel mehr damit beschäftigt, was sie essen. Fürs Kochen und Backen wurde mehr Zeit verwendet. Und die Menschen haben mehr Geld für Lebensmittel ausgegeben, weil man zu dieser Zeit das Geld ja auch anders schlechter ausgeben konnte.“

Es sei ein Auf und Ab, das ihre Arbeit über die Jahrzehnte prägt. Allein deswegen, weil sich die Bio-Szene sehr verändert hat. Bio-Produkte gibt es heutzutage auch in Discounter-Märkten. „Auch wenn die Genossenschaft die Tagwerk-Läden nicht mehr selbst führt, leben wir die genossenschaftliche Philosophie“, betont Hutner. „Wir sind nicht nur eine Erzeuger-Genossenschaft, wir sind eben eine Erzeuger- und Verbraucher-Genossenschaft. Die Mehrzahl unserer Mitglieder sind Verbraucher, die regionale Strukturen auf diese Weise unterstützen wollen.“

Förderverein vermittelt Wissen

Zudem spielt die Stärkung des Bewusstseins für den ökologischen Landbau und regionale Warenflüsse für Tagwerk eine große Rolle. Projekte, bei denen es um das politische und gesellschaftliche Engagement geht, werden vom Tagwerk-Förderverein organisiert. „Unser gemeinnütziger Verein trägt unsere Ziele nach außen und informiert zum einen die Verbraucher“, erklärt Hutner. Zum Beispiel berichtet der Verein in Schulen oder bei Hofführungen über gesunde Böden und Lebensmittel sowie den Arten- und Naturschutz.

Zum anderen ist es Tagwerk ein großes Anliegen, den Austausch unter den Erzeugern zu fördern: „Wir bemühen uns um Bildungsarbeit für Landwirte und greifen dort in Erzeugerarbeitskreisen Themen auf, die ihnen unter den Nägeln brennen. Zum Beispiel kann es da darum gehen, wie Böden beschaffen sein müssen, um resilient gegen extreme Trockenheit oder starken Regen zu sein. Auch ein Thema wie die Regelung der Hof-Nachfolge bewegt die Landwirte.“

Seit 40 Jahren ist die Wertschöpfung der Region der Ansporn für Tagwerk. „Uns verbindet die Liebe zu einer gesunden Natur, einer lebenswerten Region und das Bewusstsein, dass solidarisches Miteinander dies möglich macht“, definiert Tagwerk als Credo auf der Webseite. Es mag sich 40 Jahre nach ihrer Gründung in der Bio-Szene viel getan haben. Die Tagwerk-Genossenschaft bleibt ihren Grundsätzen treu: Sie bleibt stark in der Region um Erding verankert, handelt solidarisch und sorgt für faire Erzeugerpreise. Überdies legt Tagwerk ihren Augenmerk stets darauf, in der Öffentlichkeit immer wieder aufs Neue hervorzuheben, warum sich ein ökologischer Anbau und die Konzentration auf Regionalität langfristig lohnen.

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