Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Herr Wendl, Anfang Dezember 2022 hat die 17-köpfige „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ein Krankenhauskonzept vorgelegt (Titelfoto). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant auf dieser Basis eine Krankenhausreform. Worum geht es?

Manfred Wendl: Schauen wir uns zunächst den Status Quo an. Derzeit rechnen Krankenhäuser auf Basis der sogenannten diagnosebezogenen Fallpauschalen ab. Das bedeutet: Pro Patient und Diagnose erhalten sie eine bestimmte pauschale Vergütung. Die Höhe richtet sich nach der Krankheitsart, der Schwere der Erkrankung sowie der erbrachten Leistung.
 

Dieses Vorgehen steht in der Kritik…

Wendl: … ja, die Kommission kritisiert, dass das derzeitige Vergütungssystem erhebliche Fehlanreize erzeuge. Der ökonomische Druck würde dazu führen, möglichst viele Behandlungen möglichst kostengünstig durchzuführen. Gleichzeitig möchte die Kommission mit der Reform die Leistungsanreize nicht komplett streichen. Denn eine ausschließlich leistungsunabhängige Vergütung würde, nach Auffassung der Kommission, Risiken für eine patienten- und bedarfsgerechte Versorgung bergen. Dazu kämen unkalkulierbare finanzielle Risiken für die Kostenträger.
 

Wie sieht also der Lösungsvorschlag aus?

Wendl: Die Regierungskommission schlägt vor, die Finanzierung der Kliniken zukünftig nur noch zum Teil nach Fallpauschalen zu vergüten. Neben den Fallpauschalen sollen die Kliniken zusätzlich ein sogenanntes Vorhaltebudget erhalten. Dadurch würden Kosten berücksichtigt, die durch das Vorhalten etwa von Personal und medizinischen Geräten unabhängig von der Zahl der behandelten Patienten entstehen. Außerdem sollen die Kliniken in drei Versorgungslevels eingeordnet werden, um die Versorgung besser zu steuern. Kliniken des ersten Levels sind für die Grundversorgung da, Kliniken des zweiten Levels bilden die Schwerpunktversorgung ab, Kliniken des dritten Levels bieten umfassende Leistungen. Zusätzlich sollen sogenannte Leistungsgruppen gebildet werden. Diese definieren Mindestanforderungen an personelle und technische Ausstattungen, die zur Erbringung der in den Leistungsgruppen abgebildeten Behandlungen notwendig sind. Zudem sind sie mit den Leveln verknüpft: Ist eine Leistungsgruppe zum Beispiel Kliniken des Levels Zwei vorbehalten, dürfen Level-1-Kliniken diese Leistung nicht erbringen und abrechnen.

Welche Auswirkungen hätte die Reform in der Praxis?

Wendl: Sollten die Regelungen umgesetzt werden, hätten sie erhebliche Auswirkungen auf die Kliniken. Denn Krankenhausplanung ist in Deutschland Ländersache. Mit der Reform möchte der Bund nun sehr genaue Vorgaben für diese Planung machen, unter anderem durch die Einführung der Versorgungslevel und der Leistungsgruppen. Es ist ungeklärt, welche Folgen es haben würde, wenn die Bundesländer ihre Planungen nicht entsprechend anpassen würden. In diesem Fall würden Vergütungsvorgaben und Zuordnung der Krankenhäuser im Krankenhausplan nicht zusammenpassen.
 

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Vorschläge zu den Versorgungslevels sowie den Leistungsgruppen?

Wendl: Grundsätzlich ist es das richtige Vorgehen, die Krankenhausplanung weiterzuentwickeln. Wir müssen nun analysieren, welche Vorgaben es für die Leistungsgruppen geben wird und welche Auswirkungen sie in der Praxis hätten. Das wird eine Zeit dauern, denn die Kommission hat insgesamt 128 Leistungsgruppen gebildet. Sie ist also sehr kleinteilig vorgegangen. Klar ist schon jetzt, dass es intensive Kontrollen geben soll, ob die Kliniken die Kriterien für Leistungsgruppen und Level erfüllen. Das würde den administrativen Aufwand weiter erhöhen.

Was ist Ihre Meinung zum Vorhaltebudget?

Wendl: Wir befürworten den Ansatz, die Vorhaltekosten zu berücksichtigen und den Finanzierungsanteil der Fallpauschalen zu reduzieren. Doch der Teufel steckt im Detail. Nach einer ersten überschlägigen Betrachtung gehen wir davon aus, dass das Vorhaltebudget in einer Klinik mit breitem Leistungsspektrum zwischen 45 und 50 Prozent liegen wird. Insofern wird auch weiterhin ein großer Anteil der Leistungen über rein mengenabhängige Fallpauschalen vergütet. Die Aussage des Bundesgesundheitsministers, dass mit dem neuen System die Leistungsanreize deutlich reduziert werden, ist daher zu relativieren.

„Es wird auch weiterhin Kliniken geben, die im neuen System nicht wirtschaftlich zu betreiben sind.“

Wie ist Ihr Fazit zu den Plänen der Regierungskommission?

Wendl: Dass Strukturveränderungen im deutschen Krankenhauswesen erforderlich sind, kann nicht bestritten werden. Deshalb begrüßen wir, dass die Finanzierung neu geregelt wird. Problematisch ist einerseits, dass die Vorgaben sehr kompliziert ausgestaltet sind. Andererseits müsste der Anteil der Vorhaltefinanzierung am Gesamtbudget deutlich höher ausgestaltet werden. Hinzu kommt, dass das Vorhaltebudget auf Basis der Planung für die Jahre 2022 und 2023 vorgenommen wurde. Dabei stand gerade das erste Halbjahr 2022 noch sehr stark im Zeichen der Corona-Pandemie. Als Konsequenz wird die Budgetfindung für das einzelne Krankenhaus deutlich komplizierter. Und es wird auch weiterhin Kliniken geben, die im neuen System nicht wirtschaftlich zu betreiben sind.
 

Was fordern Sie?

Wendl: Das Grundproblem ist Folgendes: Die Maßnahmen der Kommission gehen durchaus in die richtige Richtung, auch wenn über die Ausgestaltung der einzelnen Punkte noch diskutiert werden muss. Doch die Finanznot der Kliniken wird die Reform nicht beheben. Denn es kommt kein zusätzliches Geld in das System, sondern das Budget wird nach anderen Kriterien an die Kliniken verteilt. Bereits heute macht über die Hälfte der Kliniken Verluste. Die aktuelle Entwicklung mit hohen Kostensteigerungen und zurückgehenden Einnahmen verschärft diese Situation zusätzlich.  Gerade die Notaufnahmen und die Kinderkliniken sind vielerorts chronisch überlastet. Wir brauchen kurzfristig Finanzierungssicherheit, anstatt die strukturelle Unterfinanzierung zu zementieren. Ansonsten ist zu befürchten, dass die gesundheitliche Versorgung noch vor dem Inkrafttreten der Reform kollabiert.
 

Herr Wendl, vielen Dank für das Gespräch!

Artikel lesen
Praxis