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Bereits 1993 gründete Sabine Braun die auf Nachhaltigkeit spezialisierte Beratung „akzente“ mit Sitz in München. Seitdem hat sie viele große Unternehmen wie Bayer, MAN oder Otto in Nachhaltigkeitsfragen beraten. Obwohl die Büros von „akzente“ und des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) nur wenige Kilometer entfernt liegen, findet das Interview coronabedingt per Videokonferenz statt.
 

Frau Braun, zunächst eine persönliche Frage: Was verbindet sie mit Genossenschaften?

Sabine Braun: Ich stamme von einem Bauernhof im Schwarzwald. Es war selbstverständlich, dass wir unser Konto und unseren Kredit bei der örtlichen Raiffeisenbank hatten. Auch meine Patentante hat dort gearbeitet und lange gehofft, dass ich in ihre Fußstapfen trete. Genossenschaftsbanken begleiten mich also mein Leben lang. Deshalb war es nur logisch, mein Geschäftskonto bei der Münchner Bank zu eröffnen, als ich 1993 akzente gegründet habe.

„Gerade junge Menschen rücken heute andere Themen in den Vordergrund als frühere Generationen.“

Werte wie Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sind fest im Geschäftsmodell von Volksbanken und Raiffeisenbanken verankert. „Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele.“ Nun fordern immer mehr Menschen eine gerechtere Wirtschaftsordnung, Nachhaltigkeit ist zum Megathema geworden. Inwieweit sind Genossenschaftsbanken und Nachhaltigkeit eine natürliche Kombination?

Braun: Genossenschaften und Nachhaltigkeit passen aus meiner Sicht sehr gut zusammen, keine Frage. Die Unternehmen mit dieser Rechtsform leisten seit über 100 Jahren einen sehr wichtigen Beitrag für die Menschen in so verschiedenen Bereichen wie der Kreditvergabe, dem Wohnungsbau oder auch in der Förderung sozialer Belange. Aber: Wenn es um neue Entwicklungen geht, sind die „Guten“ oft nicht die schnellsten. Man ruht sich auf dem aus, was man seit jeher Gutes tut. Aber die Unternehmen müssen sich heute schnell auf neue Anforderungen einstellen. Gerade junge Menschen, die Mitarbeiter und Konsumenten von morgen, rücken heute andere Themen in den Vordergrund als frühere Generationen. Schauen Sie sich die Fridays for Future-Demonstrationen an. Neben dem Klimaschutz fordern viele Teilnehmer deutlich mehr Einsatz für Biodiversität und für nachhaltige Landwirtschaft. Darauf einzugehen und sich klare sowie ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu setzen, halte ich für essentiell. Es gibt noch viel zu tun, wenn wir beispielsweise den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius begrenzen wollen.

Die genossenschaftliche FinanzGruppe hat sich deshalb das Ziel gesetzt, den Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu fördern und zusammen mit Kunden, Mitgliedern und Mitarbeitenden in Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft zu handeln. Warum ist es für regional tätige Kreditinstitute wichtig, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen?

Braun: Klimaschutz betrifft uns alle. Derzeit ist es absolut realistisch, dass sich die Erde bis ins Jahr 2100 um 4 Grad erwärmt. Und dann leiden nicht nur die Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländer darunter, was schon schlimm genug wäre, sondern auch die Menschen vor Ort in Bayern. Da kann auch eine kleine Regionalbank nicht sagen: Das Thema Nachhaltigkeit ist etwas, das ist weit weg, etwas für Großunternehmen. Beim Klimawandel sind alle gefragt, auch auf regionaler Ebene. 62 Prozent der gesamten Methan-Emissionen, 79 Prozent der Lachgas-Emissionen sowie 7,4 Prozent der CO2-Emmissionen in Deutschland gehen beispielsweise auf die Landwirtschaft zurück. Das bedeutet zwangsläufig, dass sie sich ändern muss. Jeder Landwirt muss sich fragen, wie er sein Geschäft künftig gestaltet. Und die Bank kann ihm dabei beratend zur Seite stehen. Oder nehmen Sie den Gebäudebereich: In Zukunft müssen wir mit anderen Baustoffen wie beispielsweise Holz arbeiten und es wird auch nicht mehr möglich sein, dass sich jeder ein geziegeltes Einfamilienhaus in die Landschaft setzt.
 

Also müssen Banken darauf achten, ob die von ihnen vergebenen Kredite in nachhaltige Investitionen fließen?

Braun: Das sollten sie aus meiner Sicht tun – und zwar aus Eigeninteresse. Um bei dem Immobilienbeispiel zu bleiben: Bei Neubauten soll es ab 2022, zumindest für gewerbliche Anlagen, eine Pflicht für Photovoltaik-Anlagen geben. Ist es sinnvoll, jetzt ein Neubauprojekt ohne PV-Anlage zu finanzieren? Im schlimmsten Fall ist das Gebäude in wenigen Jahren nur noch ein Bruchteil des Investitionsvolumens wert, weil es sich ohne PV-Anlage nicht mehr verkaufen lässt.

Auch der Gesetzgeber geht in die Richtung, das Kreditgeschäft von Banken stärker zu regulieren...

Braun: Ja, die Politik will das Kerngeschäft immer mehr auf nachhaltige Investments ausrichten. Die gerade geschilderten Beispiele aus der Landwirtschaft und dem Gebäudebau zeigen deshalb anschaulich, dass es schon jetzt absolut sinnvoll ist, darüber nachzudenken, ob das Geld in nachhaltige Projekte fließt. Ansonsten sitzen Banken im schlimmsten Fall in einigen Jahren auf einem Berg voller Kreditrisiken. Dazu kommt: Das Thema wird vor allem auf dem Land zu Verunsicherung führen. Da kann es Sinn machen, als Bankmitarbeiter zu beraten und aufzuzeigen, wie Bank und Landwirt oder Bank und Unternehmen die Herausforderungen gemeinsam meistern können.
 

Also sollte sich jeder Bankmitarbeiter zum Thema Nachhaltigkeit weiterbilden?

Braun: Das muss natürlich jeder selbst entscheiden, aber der Trend geht in die Richtung, dass das Thema für immer mehr Menschen wichtig ist. Dazu kommt: Bald müssen Bankberater bei der Geldanlage nachfragen, ob die Kunden ihr Geld in nachhaltige Produkte investieren möchten. Hier sollten die Bankberater mit der entsprechenden Sensibilität und Fachwissen beraten können.

„Die Möglichkeiten für nachhaltiges Engagement sind gewaltig.“

Bisher haben wir vor allem über Kredite und Investments in nachhaltige Produkte geredet. Was sind konkrete Schritte für Banken, um selbst nachhaltiger zu werden?

Braun: Das fängt bei Themen wie Papier- und Energieverbrauch an. Oft sind es auch kleine Schritte mit Signalwirkung. Relativ leicht ist es beispielsweise, nur noch Kaffee aus fairem Anbau zu kaufen. Es gibt aber zahlreiche weitere Beispiele wie das Gebäudemanagement: Jedes Gebäude sollte eine Wärmedämmung sowie Solaranlagen auf dem Dach haben. Oder Neubau: Warum nicht als erstes Unternehmen im Ort auf eine Holzkonstruktion setzen, um ein Leuchtturmprojekt zu schaffen? Daneben gibt es zahlreiche Felder jenseits des Klimaschutzes. Etwa bei den Mitarbeitern: Agiles Arbeiten, Home Office, Wissensmanagement, die Förderung von Frauen in Führungspositionen. Oder: Spenden in nachhaltige Projekte, Corporate Volunteering, also das Mitarbeiterengagement vor Ort, fördern. Die Möglichkeiten sind wirklich gewaltig.

Angenommen, eine Bank möchte das Thema Nachhaltigkeit verstärkt verfolgen. Wie lassen sich entsprechende Ziele am besten in der Unternehmensstrategie verankern?

Braun: Vorweg ist es wichtig festzuhalten, dass es keine eigene Nachhaltigkeitsstrategie braucht. Vielmehr sollten Banken Nachhaltigkeitsziele in ihrer bestehenden Unternehmensstrategie verankern. Konkret empfehle ich, zunächst eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen. Anschließend lassen sich dauerhafte und ehrgeizige Ziele setzen – immer in einem partizipativen Prozess, der von einem Team aus Führungskräften und Mitarbeitern gesteuert wird. Dieses trifft sich etwa vierteljährlich und stellt fest, wo die Ziele erreicht wurden und wo nachgeschärft werden muss. Das ist mir besonders wichtig: Der Weg zur Nachhaltigkeit gelingt nur gemeinsam mit den Mitarbeitern. Positiver Nebeneffekt: Es stärkt die Unternehmenskultur erheblich, wenn sie mitentscheiden können.

„Der erste Nachhaltigkeitsbericht muss kein Monumentalwerk sein, wichtig ist die Botschaft.“

Immer mehr Volksbanken und Raiffeisenbanken erstellen Nachhaltigkeitsberichte, um ihr Handeln zu dokumentieren. Welchen Ratschlag haben Sie für ein gutes Reporting?

Braun: Knapp, prägnant und ehrlich. Hier kann man sich Leitfaden für KMU des Deutschen Nachhaltigkeitskodex orientieren. Zudem rate ich zu Gelassenheit. Der erste Bericht muss kein Monumentalwerk sein, acht bis zehn Seiten mit den wichtigsten Informationen oder Kennzahlen reichen für den Anfang vollkommen aus. Wichtig ist die Botschaft: Das Unternehmen zeigt, dass es das Thema ernst nimmt und sich verbessern möchte.
 

Auch andere Banken haben sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben. Wie können sich Volksbanken und Raiffeisenbanken aus Ihrer Sicht profilieren?

Braun: Nach dem bekannten Motto „Tue Gutes und sprich darüber“ kann ich verstehen, dass Unternehmen das Thema besetzen möchte. Aber: Die Einstellung, sich nachhaltig aufzustellen, nur um damit seine Reputation zu stärken, geht schief. Denn gerade junge Leute merken schnell, wenn ein Unternehmen mit ein paar blumigen Sätzen hausieren geht, aber nichts Konkretes dahinter steckt. Und wenn sich herumspricht, dass selbst die Mitarbeiter nicht hinter den Maßnahmen stehen, wird es richtig peinlich. Nachhaltigkeit gehört nicht ins Marketing, es ist ein strategisches Thema für die Unternehmensführung. Erst wenn alle Mitarbeiter vom Vorstand bis zum Azubi ihr Handeln entsprechend ausrichten und passende Maßnahmen ergriffen haben, lässt sich das Thema nach außen transportieren. Und da sehe ich die Volksbanken und Raiffeisenbanken durchaus in einer guten Position: Bestehende Werte wie Gemeinschaft und Gemeinwohl mit einem gesamtheitlichen Konzept zur Nachhaltigkeit zu kombinieren erscheint mir vielversprechend.

Sich intensiv mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen kostet Geld und bindet Mitarbeiter. Wieso kann sich die Investition langfristig lohnen?

Braun: Diese Frage höre ich seit Jahren. Und ich kann darauf nur antworten: Viele Menschen haben mittlerweile ein Bewusstsein entwickelt, dass unsere Erde im Jahr 2100 nicht mehr lebenswert ist, wenn wir jetzt nichts unternehmen. Schon 2050 möchte die EU klimaneutral sein. Das ist nicht mehr so weit weg. Und das Argument Geld greift dabei zu kurz. Ja, Zukunftsfähigkeit kostet Geld, das stimmt. Aber welche Alternative haben wir? Wenn wir es nicht schaffen, die Wirtschaft klimaneutral umzubauen, dann sieht es furchtbar aus für die nächsten Generationen.
 

Andererseits müssen Banken auch im Jetzt erfolgreich wirtschaften und können nicht einfach pauschal Kredite für grüne Projekte vergeben…

Braun: Natürlich müssen Banken weiterhin ihr Kreditrisiko im Griff behalten, keine Frage. Allerdings erlebe ich so viel Dynamik wie noch nie im Mittelstand, selbst traditionelle Unternehmen entdecken das Thema Nachhaltigkeit für sich. Denken sie nur an die Rügenwalder Mühle, die vegetarische Fleischersatzprodukte früh produziert hat und mittlerweile davon mehr verkauft als von klassischen Fleischwaren. Solche Trends gilt es frühzeitig zu erkennen. Und Fakt ist, dass Nachhaltigkeit immer wichtiger wird und zwar in allen Dimensionen: Klimaschutz, Mitarbeiterpartizipation, Frauenförderung, und so weiter. Nachhaltigkeit zu finanzieren ist kein Luxus für Banken, sondern pure Notwendigkeit, um sich zukunftsfest aufzustellen. Und wir in Europa sollten zusehen, dass wir bei den Zukunftstechnologien dabei sind, andernfalls überholen uns die asiatischen Länder. Nicht umsonst hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Green Deals folgendes gesagt: „Unser Ziel ist, unsere Wirtschaft mit unserem Planeten zu versöhnen und dafür zu sorgen, dass es für unsere Menschen funktioniert.“ Und das passt doch perfekt zu Genossenschaftsbanken – die sind ja auch nicht alleine zum Geld verdienen da, sondern gegründet worden, um ihre Mitglieder langfristig zu fördern.
 

Frau Braun, vielen Dank für das Gespräch!

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